Studentenstadt:Beton und Freunde

In den Semesterferien ist das größte Münchner Studentenwohnheim eine Geisterstadt. Wer jedoch genau hinschaut, kann Spuren von studentischem Leben in den Betonriesen finden.

Ana Maria Michel

Die einzigen Farbtupfer zwischen den grauen Blöcken sind an diesem Tag im März die bunten Fensterrahmen der Häuser. Es ist kaum zu glauben, dass es bei den grauen Hochhausriesen in Münchens größtem Wohnheim so etwas wie studentisches Leben mit Partys oder Grillabenden geben soll.

Wie eine Geisterstadt

Die Studentenstadt ist menschenleer, denn in den Semesterferien fahren viele nach Hause oder in den Urlaub. Wie in einer Geisterstadt weht zwischen den Häusern ein kühler Wind und in den Fluren ist kein Student zu sehen. Es fehlen nur die Strohballen aus den Westernfilmen, die der Wind durch einsame Straßen fegt.

Man muss genau hinschauen, um doch noch Leben zu erkennen: Der Brotladen, den die Bewohner ehrenamtlich betreiben, ist seit 7 Uhr früh geöffnet. Das verrät, dass es hier doch mehr geben muss als grauen Beton und kalten Wind - auch in den Semesterferien.

Fabian Eckl läuft über den Platz. Er lebt bereits seit drei Jahren in der Studentenstadt, hat gerade nochmal sein Studienfach gewechselt und engagiert sich in der "Stusta" - wie die Wohnanlage liebevoll genannt wird - als Tutor und Haussprecher.

2500 Studenten leben hier in 14 Häusern. Die niedrigeren Wohneinheiten der "Altstadt" stehen seit den sechziger Jahren. In den hohen Häusern der "Neustadt", die in den siebziger Jahren erbaut wurden, leben jeweils bis zu 600 Bewohner. "Im grünen Haus wohnen 32 Leute auf einem Stockwerk", erklärt Eckl, der dort sein Zimmer hat.

In den Wirren der Straßen, Häuser, Stockwerke und Flure ist es leicht, sich zu verlaufen. Das passiert auch Eckl, der ein Zimmer vorführen will, aber das falsche Haus erwischt hat. Ein schlaftrunkener Bewohner ohne T-Shirt öffnet ihm mit fragendem Blick die Zimmertür. Eckl entschuldigt sich, der Bewohner nimmt es ihm nicht übel.

"In den ersten Jahren nach dem Bau gab es keine Gemeinschaftsräume. Das war fatal, weil viele in der Anonymität untergegangen sind", erklärt Nico Rasmussen, Mitarbeiter der Hausverwaltung. Es habe in dieser Anfangszeit einige Selbstmorde gegeben. Inzwischen gibt es Plätze, an denen sich die Bewohner treffen und austauschen können.

Fährt man im grünen Haus mit dem Aufzug in den 19. Stock, kommt man zur Dachterrasse des Manhattan, einer der beiden Kneipen der Anlage. Die Terrasse gilt als der höchste Biergarten Münchens. Hier treffen sich die Bewohner im Sommer, trinken Bier aus Plastikbechern und schauen über die Stadt.

Glasflaschen sind verboten: "Selbst ein Apfelbrutzen kann aus großer Höhe schwer verletzten", heißt es in der Info-Broschüre des grünen Hauses. An diesem Vormittag ist dort oben nicht viel los. Nur die vergessenen Plastikbecher tanzen im Wind.

Neuankömmling versus Betonklotz

Neuankömmlinge müssen sich verloren vorkommen, wenn sie in den Semesterferien hier einziehen, den Betonklötzen gegenüber stehen und sich fragen, ob sie hinter den vielen kleinen Fenstern Freunde finden werden. "In meinem ersten Semester habe ich auf dem Flur insgesamt drei Leute getroffen", erklärt Eckl.

Glasflaschen verboten

Da das nicht so weitergehen konnte, besorgten Eckl und seine Flurnachbarn Farbeimer und gestalteten in einer Gemeinschaftsaktion die Flure: Dort läuft Pink Panther umher, in einem anderen Gang tanzen die Schatten der Bewohner im Diskolicht.

Wer Anschluss finden will, kann jederzeit in den Gemeinschaftsappartements - den "GAPs" - vorbeischauen, deren Türen meistens offen stehen. Die "GAPs" sind der zentrale Knotenpunkt auf jedem Stockwerk. Hier gibt es eine Gemeinschaftsküche und eine gemütliche Eckcouch. Die Einrichtung entspricht zwar nicht dem Schöner-Wohnen-Prinzip, schafft aber eine studentische Atmosphäre.

Wohnheim mit Parkanlage

Viele Beweber wollen jedes Jahr einen der begehrten Plätze im Wohnheim ergattern. Die Studentenstadt ist wegen ihrer Lage beliebt. Mit dem Fahrrad oder der U-Bahn ist es zur TU in Garching und auch zur LMU nicht weit. Direkt hinter dem letzten Haus der Studentenstadt beginnt der Englische Garten.

Die Miete für ein Zimmer beträgt in der Studentenstadt durchschnittlich 250 Euro. Der Mietpreis hängt immer auch von Größe und Zustand der Zimmer ab. Die meisten Bewohner leben auf 16 Quadratmetern.

Die Einrichtung ist spartanisch: Bett, Tisch und Schrank werden den Bewohnern neben einer kleinen Küchenzeile und einer winzigen Nasszelle zur Verfügung gestellt. Es ist alles da, was ein Student braucht. Was er aus dieser Grundausstattung macht, ist jedem selbst überlassen.

Leben und Lernen

Rücksichtnahme ist sehr wichtig, wenn so viele unterschiedliche Leute auf engem Raum zusammenleben. "Mich stört zum Beispiel, dass es im Sommer bis in den 18. Stock zu hören ist, wenn Leute im Atrium grillen. Das ist nicht schön, wenn man gerade lernen muss", sagt Eckl. "Für jemanden, der sein Studium schnell durchziehen will, ist das hier auf jeden Fall der falsche Ort", sagt er.

In der Studentenstadt gibt es vieles, was vom Lernen ablenkt. Sei es die ehrenamtliche Arbeit im Brotladen, die Organisation von Partys oder des jährlichen Kulturfestivals Stustaculum - in der Studentenstadt kann es schnell passieren, dass das Studium zu kurz kommt. Auch wenn das in den Semesterferien ganz anders aussieht.

"Wir befürchten aber, dass mit den neuen Bachelor- und Master-Studiengängen das Engagement aus Zeitmangel sinken wird", sagt Eckl. Das wäre schade, denn gerade dieses Engagement macht die grauen Betonriesen lebendig.

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