Studentenleben in München:Biedersteiner auf den Barrikaden

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Das Biedersteiner Wohnheim ist das letzte Kleinod wilden Studentenlebens in München. Es droht zu verschwinden, doch die Studenten kämpfen.

Julia Häglsperger

Elf Studenten sitzen in einer knallgrün gestrichenen Küche und essen Pizza. Sie unterhalten sich, es wird viel gelacht. Die alte, weiße Eckbank knarrt, das kleine Hirschgeweih an der Wand vibriert. "Also, woher kommt ihr denn eigentlich?" fragt plötzlich einer. Denn dies ist kein Abend mit alten Bekannten, sondern ein Vorstellungsgespräch im Biedersteiner Wohnheim in Schwabing. Fünf Bewohner des Wohnheims suchen für ein freies Zimmer den passenden Mitbewohner für ihre WG. Das Biedersteiner Wohnheim ist das letzte, in dem die Studenten selber bestimmen, mit wem sie in einer Wohnung zusammenleben wollen - zumindest noch.

Von November an soll ihnen dieses Selbstbelegungsrecht genommen werden. Das Biedersteiner Wohnheim, für viele ein letztes Kleinod wilden, studentischen Lebens in München, soll dem Standard zum Opfer fallen. Neben dem Ende des Selbstbelegungsrechtes gibt es im Zuge einer Umbaumaßnahme, die eigentlich nur der Verbesserung des Brandschutzes dienen sollte, Normbetten und Waschbecken für jedes Zimmer.

Im Moment ist im traditionsreichen Wohnheim aber noch alles beim Alten. Ulrike tapst barfuß in die grün gestrichene Küche, macht sich ihr Mittagessen warm und gesellt sich zu ihrem Mitbewohner Andreas Sandmeyer an den Esstisch. Seit Anfang August ist Sandmeyer Haussprecher für Haus 2 und 3 des Wohnheims. Kein leichtes Erbe hat der 24-jährige Lehramtsstudent damit angetreten, denn bereits seine Vorgänger hatten viel Ärger im Konflikt um das Wohnheim. Nach langem Hin und Her mit dem Studentenwerk, mischte sich schließlich sogar das Bayerische Staatsministerium des Innern ein und entschied, dass die studentische Mitbestimmung bei der Vergabe von Wohnplätzen zu beenden sei.

Den Entschluss des Ministeriums wollen sie aber nicht so einfach hinnehmen. Die Studenten sind gerade dabei, den Verein "StudentInnen am Biederstein" zu gründen. Ehemalige Hausbewohner, die Jura studiert haben, helfen dabei, eine Satzung auszuarbeiten. Anstelle eines losen Zusammenschlusses von Personen würde dann ein Verein die Interessen der Studenten vertreten. Als Vereinszwecke will man die studentische Interessenvertretung angeben, die unter anderem dafür sorgen soll, Biedersteinsche Traditionen wie das Selbstbelegungsrecht oder etwa den Biedersteiner Fasching zu erhalten.

Studentenleben in München
:Biedersteiner auf den Barrikaden

Das Biedersteiner Wohnheim ist das letzte Kleinod wilden Studentenlebens in München. Es droht zu verschwinden, doch die Studenten kämpfen.

Julia Häglsperger

Die Sprecherin des Studentenwerks Dr. Anke van Kempen ist über einen weiteren Vorstoß der Studierenden bislang nicht informiert. "So eine Geschichte wie mit den Biedersteinern haben wir beim Studentenwerk noch nicht erlebt", sagt sie. Zu weiteren Schritten wird sie den Studenten weder zu- noch abraten. Das Studentenwerk sei bereit gewesen, Kompromisse auszuhandeln, an den Beschluss des Ministeriums habe es sich aber genauso zu halten wie die Studenten. "Fest steht, dass Wohnheime soziale Einrichtungen sind und wenn man dort wohnen möchte, muss man sich auch an die vorgegebenen Spielregeln halten." Dass die Biedersteiner Studenten stets den besonderen Charakter des Wohnheims hervorheben, kann sie nicht verstehen: "Es tut mir richtig weh, wenn ich höre, dass sie denken, dass nur in ihrer Anlage studentisches Leben möglich sei."

Vom Fasching zum Schuhbaum - Biedersteinsche Traditionen

Das Biedersteiner Wohnheim stellt alljährlich den Biedersteiner Fasching auf die Beine, der seit bald einem halben Jahrhundert veranstaltet wird und zu einer festen Institution geworden ist. "Für diese Feiern brauchen wir aber das Engagement aller Mitbewohner", sagt Sandmeyer. Seine Wohnung wurde so letztes Jahr als riesige Garderobe missbraucht. Überall standen Kleiderständer, man konnte sich nicht mehr frei bewegen. "Diese Einschränkungen nehme ich gerne in Kauf. Wenn aber keine richtige Gemeinschaft mehr besteht, fehlt auch die Basis für den Fasching."

Fabian Geiselbrecht sitzt noch ein wenig verschlafen bei einem späten Frühstück in der WG-Küche. Auf die bevorstehenden Änderungen im Wohnheim angesprochen, wird er sofort munter. "Die Waschbecken und die Normbetten braucht doch niemand hier", meint er zur geplanten Umstrukturierung. Den Charme des Wohnheims mache es unter anderem aus, dass jeder sein Zimmer individuell gestalten kann. Und, dass sich alle hier so gut verstehen. "Das funktioniert nur, weil wir bis jetzt nicht irgendwelche Mitbewohner vor die Nase gesetzt bekamen."

Kunststudentin Elisabeth Wieser bekam vor zwei Jahren kurzfristig einen Studienplatz in München. Die erste Nacht verbrachte sie bei einem Bekannten im Biedersteiner. Ihr gefiel es und so bewarb sie sich auch um einen Wohnheimplatz. Ihr Zimmernachbar ist ihr bester Freund geworden. In ihrem Raum hängen selbstgemalte Bilder, durch die Balkontür kann man den großen Garten sehen. Dort steht der sogenannte Schuhbaum, eine weitere Tradition im Biedersteiner Wohnheim. Jeder, der auszieht, muss ein Paar Schuhe über einen Ast werfen. Als Erinnerung an den ehemaligen Bewohner.

Dass sich die Zeiten ändern, weiß Sandmeyer. So ist er sich im Klaren darüber, dass das Selbstbelegungsrecht, wenn überhaupt, nur in einer modifizierten Version erhalten bleiben kann. Um die Vorwürfe, dass an den Wartelisten vorbei belegt werde oder dass es zu wenige ausländische Studenten gebe, abzuweisen, will man vorschlagen, dass sich die einzelnen Wohngemeinschaften unter den ersten fünf Kandidaten der Warteliste frei entscheiden dürfen.

Mit einem solchen Kompromiss hofft man, alle Parteien zufrieden stellen zu können. Dann würde es im nächsten Jahr beim Biedersteiner Fasching auch wieder etwas zu feiern geben. Sandmeyer hat sich zusammen mit seiner Mitbewohnerin schon eine passende Verkleidung überlegt. Sie wollen als Asterix und Obelix gehen. Die beiden Gallier schafften es als Einzige, dass ihr Dorf nicht von den übermächtigen Römern besetzt wurde.

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