Studenten-Wohnheim in München:Gemeinschaft der Küchenschweine

Tanzen für einen Wohnheim-Platz: Im Maßmann-Heim leben die Studenten wie in einer Kommune und verwalten sich selbst. Wer dort wohnen will, muss erst ein Casting durchlaufen - damit alle 125 Bewohner auch gut zusammenpassen.

Deniz Aykanat

Studenten-Wohnheim in München: Dutzende Studenten wollen jedes Semester Teil des Maßmann-Kosmos werden.

Dutzende Studenten wollen jedes Semester Teil des Maßmann-Kosmos werden.

(Foto: Wohnheimsiedlung Maßmannplatz)

Würdest du nackt vom Bad in dein Zimmer laufen? Kiffst du? Hast du eine Freundin? Diesen und ähnlichen Fragen musste sich Simon Müller stellen. Er wollte einen Platz im selbstverwalteten Maßmann-Wohnheim in München ergattern.

Der 22-Jährige ist Neu-Zugang im Studentenheim in der Maxvorstadt. Er sitzt mit einer Tasse Tee in der Küche. Auf einem Couchtisch steht ein Karton gefüllt mit Semmeln, Brezen und Donuts. Ein Bäcker um die Ecke überlässt den Studenten seine Reste, die er nicht mehr verkaufen konnte. Auf dem Küchentisch liegen ausgebreitet mehrere Tageszeitungen. Es ist kurz nach neun Uhr am Morgen, Simon hat noch ein wenig Zeit bis er in die Uni muss.

Seit September wohnt er hier - nach zwei Tanzeinlagen, spontanen Ständchen und unzähligen Fragen beim Auswahlverfahren. Das Ganze dauerte sieben Stunden, draußen im Innenhof des Wohnheims. Die Studenten hatten Sofas rausgestellt, es gab reichlich Freibier. "Davon habe ich aber nicht viel getrunken, ich musste mich ja auf die Gespräche und Aufgaben konzentrieren", sagt Simon. Das Prozedere, mit dem die Maßmann-Bewohner neue Mitbewohner rekrutieren, erinnert an eine Sitzung beim Psychologen, wie man sie aus älteren Filmen kennt: Tintenklekse interpretieren, Assoziationen zu Bildern beschreiben - Seelen-Striptease eben.

Das private Wohnheim wurde 1952 von deutschen Kriegsheimkehrern gebaut. Es liegt idyllisch am Maßmannpark, zur Uni kann man schnell per Rad oder zu Fuß gelangen. So war das schon damals in den Fünfzigern. "Wir waren verschrien als das linke Haus in München", sagt Robert Doerner. Nicht ohne Stolz erinnert sich der 77-Jährige an seine Zeit im Maßmann. Es sei auch schon damals darauf geachtet worden, dass die Mischung passte. "Wir wollten so viele Nationen, Berufe und Studiengänge wie möglich unter einem Dach vereinen."

Robert Doerner war Maßmann-Bewohner der ersten Stunde, er lebte dort von 1954 bis 1960. Als einen Ort der Umwälzung und des Aufbruchs hat er es in Erinnerung. Damals zwei Jahre vor seinem Einzug kamen Männer aller Schichten aus dem Krieg zurück nach München. Ohne Unterkunft nisteten sie sich zunächst in Zelten im Maßmannpark ein, einem ehemaligen Truppenübungsgelände. Als der Winter kam und es kalt wurde, fingen sie an, an den Rand des Parks kleine Häuser zu bauen. Das Treiben blieb von den Nachbarn nicht unbemerkt. Bald beschwerten sich die ersten über die jugendlichen Störenfriede. Die amerikanische Militärregierung aber erlaubte den Bau.

Die jungen Männer wollten nicht wie früher leben, abgegrenzt nach Status und Milieu. "Studenten, Arbeiter, Auszubildende, Akademiker - alle Gesellschaftsschichten sollten zusammen wohnen", sagt Doerner. Dass das Maßmann-Wohnheim irgendwann nur noch von Studenten bewohnt wurde, lag daran, dass die Arbeiter und Auszubildenden, die mit den Studenten lebten, Gefallen an deren Leben fanden und dann auch zu studieren begannen.

Die Kriegsheimkehrer bauten das Maßmann-Wohnheim um einen Innenhof herum. Ein knorriger Baum erhebt sich auf einem Hügel links vom Eingang, Wurzeln graben sich von dort in den ganzen Garten. Neben dem Baum steht ein Maibaum, auf dem mit Wimpeln alle Nationalitäten des Wohnheims zu sehen sind. Auf den Balkonen liegen Surfbretter, Hängematten sind von Balken zu Balken gespannt. Vor den Grillplätzen am Hintereingang stapeln sich die Bierkästen.

Studenten-Wohnheim in München: Das Maßmann-Wohnheim ist um einen Innenhof mit Bäumen gebaut. Dort wird regelmäßig gegrillt und gefeiert.

Das Maßmann-Wohnheim ist um einen Innenhof mit Bäumen gebaut. Dort wird regelmäßig gegrillt und gefeiert.

(Foto: Deniz Aykanat)

Das Maßmann-Wohnheim wirkt auf Besucher wie eine Zeitmaschine, die einen in die Hippie-Kommunen der sechziger Jahre zurück versetzt. Überall hängen Fotos vergangener Feste, Müll-, Koch- und Putzlisten. Auf jedem Gang gibt es etwa sechs kleine Zimmer, dazu ein Bad mit zwei Duschen und Toiletten. Mädels und Jungs natürlich gemischt.

Früher war das undenkbar. Da musste der Damenbesuch schon mal durch den Notausgang verschwinden. "Mein Gott gab es da Diskussionen, wie lang oder ob überhaupt Frauen zu Besuch kommen dürfen", erinnert sich Doerner. Erst in den sechziger Jahren wurde das Maßmann-Wohnheim auch für Frauen geöffnet.

Was auf Dating-Seiten im Internet mit Hilfe von seitenlangen Fragebögen abgeglichen wird, erledigt das Auswahlverfahren bei der Mitbewohner-Suche: Zwischen den Studenten stimmt einfach die Chemie. Sogar einige Ehepaare fanden schon zueinander, im Juli gab es die erste Hochzeit auf dem Maßmann-Gelände. Ute Malkusch, 26, wohnt seit 2009 im Maßmann und lernte dort ihren Mann kennen. Jahrelang wohnten sie Tür an Tür. Das Wohnheim mit seinem riesigen Garten mitten in der Stadt hat sich zum Hochzeit feiern angeboten. "Außerdem sind alle hier Party-erprobt."

Party mit Plan

Party - das assoziieren viele Münchner Studenten sofort mit dem Maßmann-Wohnheim. Zu recht: Jeden Donnerstag öffnet die Kellerbar ihre Pforten. Dort stinkt es, es ist eng, die Farbe blättert von den Wänden ab. Hinter der Theke stehen zwei Getränke-Kühlschränke bis zum Anschlag gefüllt mit Bier. Man sieht dem Raum an, dass hier schon seit Jahren gefeiert wird. An einer Wand prangt das irrwitzig grinsende Portrait des Batman'schen Joker, das ein künstlerisch begabter Bewohner gemalt hat. Irrwitzig - so sind hier auch die Partys.

Studenten-Wohnheim in München: Der Platz unter der "Brücke" wird bei Partys zur Freiluft-Bar.

Der Platz unter der "Brücke" wird bei Partys zur Freiluft-Bar.

(Foto: Deniz Aykanat)

Doch wer jetzt glaubt, das Maßmann-Wohnheim sei nur eine Ansammlung Party-süchtiger Dauerstudenten, der irrt sich. Mit der wöchentlich stattfindenden Bar wird das Budget aufgestockt, damit werden Anschaffungen bezahlt. Mehrmals im Jahr finden große Feste auf dem gesamten Gelände statt mit mehreren Bands und Bars. Das erfordert viel Engagement neben Studium und Arbeit. Bis ins Detail sind diese Feste geplant, angefangen bei Werbung und Flyern bis zum Schichtplan an den Bars, den Sanitätern und den Aufräumarbeiten am Morgen danach.

Auch als den Studenten die alte Glotze leid war, organisierte Haus D kurzerhand ein Fest und kaufte vom Gewinn einen nagelneuen Flachbildfernseher. Die Grillplätze haben die Bewohner selbst gezimmert, hinterm Haus wird Gemüse angepflanzt.

In den Zeiten als Robert Doerner im Maßmann wohnte, ging es gemächlicher zu. Es wurden nächtelang Schach und indische Brettspiele gespielt. Berüchtigt waren allerdings schon damals die sogenannten Tee-Abende, bei denen es nicht nur Tee gab. Bei diesen Zusammenkünften wurde das Leben im Wohnheim organisiert und noch mehr diskutiert. "Vor allem, als es um die Wiederbewaffnung und die Wehrpflicht ging", erinnert sich Doerner.

Dutzende Studenten wollen jedes Semester Teil dieses Kosmos werden, nur 15 Plätze gibt es. Da bilden sich am Auswahl-Tag schon mal Schlangen, wenn jeder Kandidat mit den Komitees aller fünf Häuser des Wohnheims sprechen muss. Doch nicht nur das: Spontan müssen Bilder gemalt, lächerliche Hüte und Ritter-Helme aufgesetzt werden. Simon fühlte sich zeitweise wie beim Vorstellungsgespräch für einen Job "Wenn es um Wohnraum geht, dann geht es in München ja auch echt um viel."

Neben der guten Lage machen vor allem die Mietpreise das Maßmann-Wohnheim so beliebt. Das teuerste Zimmer ist für 227 Euro im Monat zu haben. Was das Wohnheim am Maßmann-Park allerdings eigentlich zu einem Unikat in der Studentenbuden-Landschaft macht, ist etwas anderes: Die Selbstverwaltung. Das Heim gehört dem Trägerverein ehemaliger Maßmann-Bewohner. Das bedeutet, dass abgesehen von einer Sekretärin, die sich um administrative Dinge kümmert, die Studenten selbst über die Aufnahme neuer Bewohner, Putzdienste, Anschaffungen und Reparaturen entscheiden. Sie verwalten auch ihre Finanzen eigenständig. "Wir sind wie ein kleines Dorf", sagt Simon.

125 Studenten auf einem Haufen, viel Party - da müsste doch eigentlich Anarchie ausbrechen? Tut es aber schon seit Jahrzehnten nicht. Ein ausgeklügeltes System an Zuständigkeiten, Regeln, Listen, Versammlungs- und Abstimmungs-Ritualen sorgen dafür, dass hier nicht das Chaos ausbricht. Wer in der Küche Dreck macht, bekommt einen Eintrag auf der Küchenschwein-Liste. Häuft sich das, muss man für das ganze Haus kochen. Das langwierige Aufnahme-Casting zahlt sich aus: Wer im Maßmann wohnt, will auch wirklich hier sein und verhält sich dementsprechend. Genug Gelegenheiten, sich zu engagieren, gibt es allemal. Ein halbjährlich gewählter Geburtstagsminister etwa bäckt für jedes Geburtstagskind einen Kuchen.

Und auch wenn jetzt im Herbst das Leben draußen Pause hat und sich alle in ihre Zimmer zurückziehen, muss man sich nicht Sorgen um die Gemeinschaft machen. Man kann zu jedem Keller und Balkon, zu jeder Küche und jedem Zimmer gelangen, ohne das Wohnheim einmal verlassen zu müssen. Alle Trakte sind miteinander verbunden, wie ein Schneckenhaus geht es einmal um den knorrigen Baum herum und - wenn man will - weiter durch die Windungen hinab in die Kellerbars. Mag auch in der kalten Jahreszeit weniger nach außen dringen, im Kern des Maßmann-Wohnheims wird auch dann selten geschlafen.

Studenten-Wohnheim in München: Zwei Seitentrakte des Wohnheims werden durch die sogenannte "Brücke" verbunden.

Zwei Seitentrakte des Wohnheims werden durch die sogenannte "Brücke" verbunden.

(Foto: Deniz Aykanat)
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