Streitgespräch:Im Wachstumsstress

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Cornelius Mager, Chef der Baugenehmigungsbehörde, und Christian Hierneis vom Bund Naturschutz (hinten). (Foto: Robert Haas)

Auf den Boom haben Cornelius Mager von der Stadt und Christian Hierneis vom Bund Naturschutz unterschiedliche Antworten

Von Alfred Dürr

München gibt sich weltoffen, ist attraktiv und hat wirtschaftlichen Erfolg. Die Wachstumsdynamik ist enorm: 1957 wurde München Millionenstadt, 1,5 Millionen Einwohner waren es im Jahr 2015 und 2030 werden es mehr als 1,7 Millionen sein. Doch sind die Grenzen des Booms nicht längst erreicht? Immer mehr Flächen werden betoniert, auf den Straßen herrscht Dauerstau und die Wohnungen sind für viele nicht mehr erschwinglich. Bürger wehren sich zunehmend gegen einen solchen Wachstumsstress. Der Leiter der städtischen Baugenehmigungsbehörde, Cornelius Mager, und der gerade in den Landtag gewählte Grünen-Abgeordnete für den Stimmkreis Schwabing, Christian Hierneis, trafen sich zu einem Streitgespräch zu diesem Thema. Eingeladen hatten der Landesbund für Vogelschutz und die Evangelische Studentengemeinde der Ludwig-Maximilians-Universität.

Von Stress war Cornelius Mager, der als Beamter an einer zentralen Schaltstelle der Verwaltung sitzt, nichts anzumerken. Sorgfältig sei geprüft worden, wo man im Stadtgebiet durch Aufstockungen oder Erweiterungen bestehender Häuser "nachverdichten" könne: "Wir haben das sehr anständig gemacht." Platz für zusätzliche Wohnungen habe man auch durch Umstrukturierung ehemaliger Industrieareale geschaffen, zum Beispiel auf dem Rodenstock-Gelände oder dem Osram-Areal. An der nördlichen und östlichen Stadtgrenze sollen die letzten großen Freiflächen für den Wohnungsbau aktiviert werden - bei den Bewohnern der betroffenen Viertel kommt das aber gar nicht gut an.

Christian Hierneis, Umweltberater und langjähriger Vorsitzender des Bundes Naturschutz in München, hat Verständnis für den Unmut. "Wachstum schadet uns, es reduziert die Lebensqualität", lautet sein Credo. Die Bauaktivitäten bedrohten Grün- und Freiflächen, sagt er, die Vielfalt der Natur und der Arten gehe unwiederbringlich verloren, die Klimaprobleme seien durch die Versiegelung des Bodens gravierend.

Mauern um die Stadt, den Zuzug radikal begrenzen? Soweit will Hierneis nicht gehen. Für ihn ist die Frage der Arbeitsplätze das wichtigste Kriterium: Sie sollten nicht nur in den Metropolen entstehen. Nicht alle bräuchten ihren Schreibtisch in der Stadt zu haben, die Politik müsse Anreize für das Leben in ländlichen Regionen bieten. Heim-Arbeitsplätze am Computer seien eine Möglichkeit, nicht alles auf die Stadt zu konzentrieren. Wohnungen in München sollten nur noch nach dem Kriterium entstehen, ob sie auch bezahlbar sind, und ohne Beteiligung von privaten Investoren, fordert Hierneis. Die Stadt oder Genossenschaften sollen also eine stärkere Rolle spielen.

Den Vorwurf, die Stadt reagiere nicht mit einer Gegenstrategie auf die zunehmende Versiegelung ihrer Grün- und Freiflächen, lässt Mager nicht auf sich sitzen. Hier würden Ängste geschürt, sagt er. Das Planungsreferat habe klare Richtlinien: Grünzüge blieben erhalten, auch die Frischluftschneisen. "Wir bearbeiten das auf einem sehr hohen Niveau", sagt der Chef der Lokalbaukommission, dem auch die Bereiche Denkmal- und Naturschutz in der Stadt unterstehen.

Einig sind sich Mager und Hierneis darin, dass der öffentliche Nahverkehr stärker ausgebaut werden müsse. "Wir haben viel zu lange über den Nordring diskutiert, oder ob die zweite Stammstrecke für die S-Bahn kommen soll oder der Südring", klagt Mager. Oft fehle es der Politik an Mut, grundlegende Entscheidungen zu treffen, sagt ein Besucher im Publikum. Themen gäbe es genug: Bodenrechtsreform, Überschreitung der bisherigen Hochhaus-Grenze, autofreie Zonen. "Einfach ist das nicht", sagt Mager, "wir stoßen bei der betroffenen Bevölkerung immer wieder auf Widerstand".

© SZ vom 14.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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