Streitgespräch CSU/SPD:"Steuern runter" - "Nicht bei Reichen"

Die Münchner Bundestagskandidaten Johannes Singhammer (CSU) und Axel Berg (SPD) diskutieren über kalte Progression und falsche Staatshilfen.

Jan Bielicki

SZ: Sie beide haben nun eine ganze Wahlperiode in der trauten Gemeinsamkeit der großen Koalition verbracht. Wollen Sie die Zusammenarbeit fortsetzen?

Streitgespräch CSU/SPD: Die beiden Kandidaten für den Wahlkreis München Nord diskutieren über Koalitionen und die Wirtschaftspolitik.

Die beiden Kandidaten für den Wahlkreis München Nord diskutieren über Koalitionen und die Wirtschaftspolitik.

(Foto: Foto: Rumpf)

Axel Berg: Sicher nicht. Ich muss den Unionisten zugutehalten, dass es in dieser Koalition zwar relativ professionell zugegangen ist. Doch in der Energie-und Umweltpolitik habe ich vier Jahre Abwehrschlacht gegen Ansinnen der CDU/CSU-Fraktion hinter mir.

SZ: Herr Berg will also nicht. Wollen Sie, Herr Singhammer?

Johannes Singhammer: Nein, keinesfalls. Die Sozialdemokraten sind elf Jahre an der Regierung, und jetzt wird es Zeit für einen Wechsel. Die große Koalition hat ihre Aufgaben erledigt, sogar recht erfolgreich. Wir haben das Elterngeld eingeführt, den Ausbau der Kinderbetreuung und das Betreuungsgeld auf den Weg gebracht. Das war uns wichtig, und das haben wir durchgesetzt.

SZ: Was muss sich denn Ihrer Meinung nach ändern?

Singhammer: Die Sozialdemokraten zeigen nach elf Jahren Regierung Erschöpfungssymptome. Wir brauchen eine neue Konstellation. Jetzt kommt es vor allem darauf an, aus der tiefen Krise herauszukommen. Und da hat die Union die richtigen Rezepte. Wir setzen zum Beispiel auf steuerliche Entlastung und nicht auf weiter steigende Steuern. Und das sind eben keine bloßen Wahlkampfversprechen, wie uns manche immer vorwerfen.

Selbst wenn man den derzeitigen, ungünstigen Wirtschaftsprognosen folgt, würden ohne Steuerreform die Einnahmen des Bundes bis 2013 um 53 Milliarden Euro steigen. Es wäre aber fatal, wenn diese kalte Progression so gnadenlos zuschlagen würde. Wir wollen doch, dass den Menschen wieder mehr bleibt und sie mehr ausgeben können. Wir schlagen vor, dass wir den Bürgern von diesen kalten Steuererhöhungen 13 bis 15 Milliarden zurückgeben. Das ist machbar.

Berg: Bei der kalten Progression stimme ich Ihnen zu. Aber was Sie sonst sagen, halte ich für ganz schön krass - vor allem, wenn man bedenkt, dass mit Frau Merkel und Herrn Westerwelle nun genau das Bündnis durchregieren möchte, das 1998 einen Scherbenhaufen hinterlassen hat. Sie verschweigen, dass die SPD 1998/99 die größte Steuerreform aller Zeiten durchgesetzt hat. Womöglich wollen Sie sogar die Steuern noch weiter runtersetzen, aber dann müssen Sie auch zugeben, dass Sie im sozialen Bereich kräftig sparen müssen, um solche Steuergeschenke zu finanzieren. Deswegen macht mir Schwarz-Gelb Angst.

"Wir müssen den Menschen mehr Geld im Beutel lassen"

Singhammer: Sind Sie nun dafür, die kalte Progression abzuschleifen, ja oder nein?

Berg: Da bin ich bei Ihnen.

Singhammer: Aber dann müssen wir es auch anpacken. Allein dadurch, dass wir den Menschen mehr Geld im Beutel lassen und der Konsum in Schwung kommt, kurbeln wir die Wirtschaft an, und das lässt doch die Steuern wieder fließen.

Berg: Deswegen war ich von Anfang an gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Beginn der Legislaturperiode. Ich war stattdessen immer für eine ökologische Steuerreform, um das Verhalten der Menschen und der Industrie zu beeinflussen.

SZ: Hat der Staat, hochverschuldet und bei gewaltigen Einnahmeausfällen gerade in den Kommunen, überhaupt Spielraum für Steuersenkungen?

Singhammer: Ich glaube schon. Durch die Ankurbelung der Wirtschaft bekommt er ja wieder Geld in die Taschen. Tun wir dagegen nichts, wird nicht nur die Wirtschaft nicht wachsen, sondern vor allem wird die Arbeitslosigkeit eine Höhe erreichen, die uns alle frösteln machen wird. Zwar kann Kurzarbeit derzeit noch viele Entlassungen vermeiden, aber sie wirkt eben nur für eine begrenzte Zeit. Es wird also entscheidend darauf ankommen, die Arbeitsplätze zu stabilisieren. Das geht nur, indem wir die Wirtschaft stimulieren.

Berg: Bei den kleinen Leuten, die jeden Euro, den sie mehr im Geldbeutel haben, konsumieren, bin ich auch für Steuererleichterungen. Aber bei den Wohlhabenden würde nur die Sparquote steigen. Ich finde es natürlich auch gut, wenn Arbeitsplätze stabilisiert werden, aber es kommt immer auf den Preis an. Wenn wir nämlich Arbeitsplätze in nicht zukunftsfähigen Bereichen subventionieren, bleiben wir an den alten Strukturen kleben und werden unserem Land auf Dauer schaden.

Singhammer: Wir haben in München wunderbare Unternehmen, die weltweit Resonanz finden. Und ich möchte, dass die Arbeitsplätze dort sicher bleiben. Natürlich braucht es dafür neue Produkte. Aber die Menschen müssen auch Geld genug in der Tasche haben, sie zu kaufen. Mir ist dabei wichtig, Familien weiter zu entlasten, also das Kindergeld und den Kinderfreibetrag zu erhöhen.

Berg: Sie haben sechs Kinder, darum kann ich verstehen, dass Sie das fordern. Aber wir in der SPD sind überzeugt davon, dass es nicht so viel bringt, den Eltern einfach mehr Geld in die Hände zu drücken. Wir sagen: Lasst uns das Geld lieber in mehr und bessere Krippen, Kindergärten und Schulen stecken, da ist es besser aufgehoben.

Singhammer: Ich halte diesen Grundverdacht für fatal, Eltern könnten ihr Geld nicht sinnvoll für ihre Kinder ausgeben. Die allermeisten Eltern gehen sehr verantwortlich mit ihrem Geld und ihren Kindern um.

"Ich war gegen eine Abwrackprämie"

SZ: Um ganz konkret bei den Arbeitsplätzen zu bleiben: Halten Sie es für richtig, wenn der Staat Geld für die Rettung von Firmen wie Opel ausgibt?

Berg: Ich bin da relativ konsequent. Ich war gegen eine Abwrackprämie. Und ich bin auch dagegen, Steuergeld in Firmen wie Opel, Quelle, Arcandor oder Schaeffler zu pumpen.

SZ: Sie klingen wie Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU ...

Berg: Wenn ein Unternehmen wegen der Finanzkrise kurzfristig Schwierigkeiten hat, an frisches Geld zu kommen, habe ich kein Problem mit Staatshilfe. Es ist aber wichtig, langfristig in die richtige Richtung zu investieren. Ich bedauere es, dass nur wenige Prozent der Wirtschaftshilfen weltweit in erneuerbare Energien und andere zukunftsträchtige Infrastruktur fließen. Einfach nur staatlich zu unterstützen, was gerade nicht richtig läuft, halte ich für einen Fehler. Da bin ich auf Seiten von Guttenberg. Wobei Guttenberg daheim in Franken sich einen schlanken Fuß macht und zu Quelle oder Schaeffler lieber gar nichts sagt.

Singhammer: Wer Guttenberg lobt, ist schon mal auf einem richtigen Weg. Sie sollten auch noch Seehofer loben ...

Berg: Seehofer ist ein schwankender Autokrat!

Singhammer: Wenn Sie der vernünftigen Linie des Wirtschaftsministers folgen, sind Sie auf der richtigen Seite. Da gibt es auch keinen Unterschied zu Horst Seehofer. Es geht nicht darum, Unternehmen aufzupäppeln, die nicht erfolgreich sind, sondern darum, Unternehmen mit Perspektive nicht in den Strudel der Krise geraten zu lassen.

Berg: Dann sind wir ja doch einer Meinung.

SZ: Worauf setzen Sie denn im Kampf gegen die Krise?

Berg: Die Energiewende ist die größte Herausforderung der Menschheit und eine Riesenchance für uns Deutsche, weil wir die Technik anbieten, die die ganze Welt braucht. Ich hätte in die Überwindung des Verbrennungsmotors im großen Stil investiert, damit Unternehmen wie BMW noch jahrzehntelang gute Geschäfte machen.

Und ich hätte Vollgas gegeben bei der energiesparenden Sanierung von Gebäuden. 80 Prozent der deutschen Häuser sind nicht richtig isoliert. Wenn man das richtig angeht, wäre das ein riesiges Beschäftigungsprogramm für das deutsche Handwerk, für Anlagenbau, Heizungsbau und so weiter. Und es hätte langfristig den Bewohnern der Häuser genutzt, weil die Heizrechnungen nach unten gehen.

SZ: In welcher Koalition würden Sie denn gerne weiter regieren?

Berg: Rot-Grün, keine Frage. Das hat dem Land immer noch am besten getan.

Singhammer: Rot-Grün ist 2005 wegen der hohen Zahl der Arbeitslosen abgelöst worden. Es ist uns nun geglückt, diese Zahl zu verringern. Für uns sind die Freien Demokraten der Wunschpartner. Es gibt aber für die CSU auch zahlreiche Schnittmengen mit den Grünen.

SZ: Welche?

Singhammer: Es geht darum, finanzpolitisch nachhaltig zu wirtschaften und die großen Summen, die wir in der Krise in die Hand genommen haben, richtig einzusetzen und schließlich die Verschuldung schrittweise zurückzufahren.

Berg: Wenn Sie angeblich nachhaltig handeln wollen, warum wollen Sie dann die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern?

Singhammer: Die Kernenergie ist eine Übergangsenergie ...

Berg: Das behauptet die CDU/CSU seit zwanzig Jahren und wird es behaupten, bis das letzte Atomkraftwerk von allein zusammenfällt.

Singhammer: Ich möchte, dass wir unsere Abhängigkeit von Energie aus dem Ausland deutlich reduzieren. Darum müssen wir regenerative Energien fördern - in München etwa die Geothermie.

Berg: Sie verknüpfen manches Richtige zu einem chaotischen Ganzen, Herr Kollege. Auch Uran wird nicht in Deutschland gewonnen. Atomkraft ist zudem die teuerste Form, Strom zu erzeugen. Geothermie ist dagegen eine feine Sache, aber wird immer nur einen sehr kleinen Teil unserer Energieversorgung sicherstellen können.

Singhammer: Warum sind Sie denn so pessimistisch? Natürlich brauchen wir einen Mix. Aber wenn wir in München das einzigartige Glück haben, Erdwärme nutzen zu können, sollten wir es machen - wie es die Stadtwerke ja bereits tun.

Berg: Den Mix will ich auch, aber im Unterschied zu Ihnen ganz klar ohne Atomkraft und ohne Kohle und ohne Öl.

SZ: Welche Entscheidungen des Bundes werden speziell für den Münchner Norden wichtig sein?

Berg: Ich stehe seit Jahren zweimal in der Woche mit meinem Bus auf der Straße und sehe, wo die Leute der Schuh drückt. Es geht um viele Kleinigkeiten, aber auch darum, dass die Landesbank Wohnungen verkaufen muss oder dass wir eine Expressverbindung zum Flughafen hinbekommen, nachdem der Transrapid verhindert werden konnte.

Singhammer: Und diese Express-S-Bahn darf eben nicht auf der Linie der S 1 fahren, sonst sind hier die Schranken im Extremfall in der Stunde 50 Minuten lang geschlossen. Da braucht der Bürger auf dem Weg von der Lerchenau in die Fasanerie einen Passierschein.

Berg: Wir haben die Flughafenanbindung auf der S-8-Strecke schon gefordert, als Sie noch den Transrapid im Tunnel wollten. Ich will die Express-S-Bahn auch nicht auf der S-1-Strecke, aber das will ja auch sonst niemand - außer vielleicht Ihrer eigenen Landesregierung.

Singhammer: Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, dass die Express-S-Bahn nicht kommt auf der Strecke der S1. Das ist der klare Wille der Anwohner, wie ich aus vielen von mir durchgeführten Bürgerdialogen weiß.

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