Fragen und Antworten:Münchens Kampf mit dem NSU-Prozess

Neuer Eklat vor dem NSU-Prozess in München: Sämtliche türkische Medien müssen vor der Tür bleiben - es gibt zu wenige Sitzplätze im Saal. Warum sucht sich das Oberlandesgericht München keinen größeren Raum? Warum darf Radio Arabella rein und "Hürriyet" nicht? Und warum wird der Prozess nicht einfach übertragen?

Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Es ist einer der wichtigsten Prozesse in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik: Am 17. April beginnt in München der Prozess gegen Beate Zschäpe und den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), deren Terror zehn Menschen zum Opfer fielen. Doch schon im Vorfeld sorgt das Vorgehen der Münchner Justiz für Ärger. Weil beim NSU-Prozess nicht alle, die dabei sein wollen, in den Gerichtssaal passen, hagelt es Vorwürfe.

Zunächst wurde bekannt, dass der türkische Botschafter keinen festen Platz in dem Verfahren bekommt, am Montag veröffentlichte das Oberlandesgericht (OLG) dann eine Liste mit den Namen der Medien, die den Prozess direkt im Saal verfolgen können - und steht nun erneut in der Kritik.

Demnach haben zwar lokale Radiosender Zugang zum Gerichtssaal, internationale Medien wie die New York Times oder BBC aber nicht. Keine garantierten Plätze haben zudem türkische Medien. Dabei waren die meisten Opfer der NSU Türken. Wird der Prozess bewusst möglichst klein gehalten? Fragen und Antworten zum bevorstehenden NSU-Prozess in München.

NSU-Prozesssaal

Vom 17. April an wird im Schwurgerichtssaal A 101 verhandelt.

(Foto: Jakob Berr)

Warum wird überhaupt in München verhandelt?

"Weil Bayern Schwerpunkt der NSU-Untaten war", hat ein Sprecher der Bundesanwaltschaft vor kurzem gesagt. Die Mordserie der NSU begann im Jahr 2000 in Nürnberg, auch in München gehen zwei Morde auf das Konto der Neonazis. Das Problem: In der bayerischen Landeshauptstadt gibt es keinen großen Verhandlungssaal für ein solches Mammutverfahren. Der Schwurgerichtssaal A 101 im Strafjustizsaal erwies sich bereits beim Prozess gegen den mutmaßlichen KZ-Aufseher John Demjanjuk als zu klein. Damals richtete die Justiz wegen des Andrangs "Sammelstellen" vor dem Gebäude ein - zum Entsetzen der Hinterbliebenen, die sich an die Sprache des Nazi-Regimes erinnert fühlten.

Derzeit wird das Gerichtsgebäude wegen des NSU-Prozesses umgebaut. Der Sitzungssaal an der Nymphenburger Straße soll auf 230 Plätze erweitert werden. Wegen der großen Zahl an Nebenklägern stehen davon allerdings nur je 50 Plätze Medienvertretern und der Allgemeinheit zur Verfügung. Zunächst wurde spekuliert, man könnte für diesen international so bedeutsamen Prozess ins Landesamt für Steuern ausweichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Militärregierung ihre Urteile dort gefällt. Doch das OLG erteilte einem Umzug eine Absage.

Warum sucht sich das OLG keinen größeren Saal?

Auch für den bevorstehenden Loveparade-Prozess rechnen die Behörden mit großem Andrang. Derzeit besichtigt das Gericht Hallen und Säle in Duisburg und Düsseldorf. Für den NSU-Prozess in München gebe es keine Alternative, hatte der OLG-Gerichtspräsident Karl Huber kürzlich auf einer Pressekonferenz erklärt. "Wir sind dafür verantwortlich, dass dieses Verfahren sicher durchgeführt werden kann", sagte Huber. Kein anderer Saal sei so gut gegen Angriffe von außen gesichert. Zudem könne ein Wechsel in ein Audimax der Universität oder eine Stadthalle ein Revisionsgrund sein. Das dürfe bei einem solchen Verfahren mit möglicherweise mehr als zweijähriger Dauer nicht riskiert werden.

Der OLG-Präsident betonte zudem, es gebe ein "erhebliches Gefährdungspotenzial" im Hinblick auf Anschläge. Auch wenn es derzeit keine "konkrete Gefahrenlage" gebe, so müsse dies sehr ernst genommen werden. Außerdem müsse der Gerichtssaal nicht nur maximal gesichert sein, sondern auch die nötige Infrastruktur bieten: Also Haftzellen, gesonderte Zugänge für Angeklagte, Nebenkläger, Prozessbeteiligte und Zuschauer.

Damals versicherte der OLG-Präsident aber auch: Er wolle sich darum bemühen, den Anliegen türkischer Vertreter möglichst Rechnung zu tragen. Für wen es reservierte Plätze gebe, betonte er, entscheide der Vorsitzende Richter.

Warum darf Radio Arabella rein und Hürriyet nicht?

Welche Medien dürfen dem Prozess folgen?

123 Medien und freie Journalisten haben sich für den NSU-Prozess in München akkreditieren lassen. Aber nur für die ersten 50 auf der Liste hat das OLG einen Sitzplatz reserviert. Nur wenn bis 15 Minuten vor Verhandlungsbeginn nicht alle Plätze besetzt sind, werden diese an weitere wartende Medienvertreter in der Reihenfolge ihrer Ankunft vergeben, heißt es in einer Pressemitteilung des OLG. Das dürfte - zumindest zum Prozessauftakt - wohl nicht der Fall sein.

Unter den Akkreditierten sind beispielsweise der regionale Radiosender Arabella. Zudem finden sich auf den ersten Plätzen neben großen Zeitungen wie der taz, der SZ oder der Bild mit dem WDR, dem SWR, dem BR, dem NDR und dem MDR gleich fünf ARD-Anstalten. Nur zwei der 50 Plätze gehen dagegen an ausländische Medien, darunter RTL Niederlande.

Keine festen Plätze bekommen demnach die Neue Zürcher Zeitung, al-Dschasira, die BBC oder die New York Times. Aber auch türkische Medien wie die Nachrichtenagentur Anadolu, die Tageszeitung Hürriyet und NTV Türkei stehen auf der Warteliste - und haben damit wohl keine Chance, die Verhandlung zu verfolgen.

Auf der Liste der Akkreditierten steht auch Mandoga Media, eine Agentur aus Weil am Rhein, die der Journalist Alexander Sandvoss betreibt und die auf ihrer Internetseite unter Referenzen vor allem Berichte über Partys und Promis listet. Nachdem er einen Kommentar zum Thema auf SZ.de gelesen hat, schreibt Sandvoss auf seiner Facebook-Seite: "In Solidarität mit anderen Medien verzichten wir gerne auf den zugeteilten Sitzplatz, wir haben diesen auch nicht respektiv beantragt. Wir konzentrieren uns auf die Erstellung von redaktionellem Bildmaterial außerhalb des Gerichtssaales. Die Pressestelle der Justiz ist bereits informiert."

"Ich kritisiere, dass man einen solch großen Prozess in einen solch keinen Raum gelegt wird", sagt Sandvoss zu Süddeutsche.de. Das Gericht sei überfordert. "Das sind halt keine Presseprofis, die die Bedürfnisse der Berichterstatter kennen." Das sei dann eben so gelaufen "wie auf einem Amt üblich". Laut Liste des Justizministeriums würde der Nordbayerische Kurier, derzeit auf Platz 51, nachrücken.

Die Bild-Zeitung kündigte auf ihrer Website an, ihren reservierten Platz an die türkische Tageszeitung Hürriyet abtreten zu wollen. Gerichtssprecherin Margarete Nötzel sagte jedoch, ein solcher Tausch sei nicht möglich. "Wir können nicht im Nachhinein die Akkreditierungsbedingungen ändern."

Warum darf Radio Arabella rein und Hürriyet nicht?

Das Gericht hat die reservierten Sitzplätze nach eigenen Angaben nach der Reihenfolge vergeben, in der die Anträge eingingen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, sagt die Justizpressestelle. Verständnis dafür fehlt nicht nur Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU-Terrors: "Der Prozess wird nicht nur in der Türkei aufmerksam verfolgt", sagte sie der Mitteldeutschen Zeitung. "Auch viele Türkischstämmige in Deutschland lesen noch türkische Zeitungen oder schauen türkisches Fernsehen." Darum sei es wichtig, dass türkische Journalisten Zutritt hätten.

Das OLG verteidigte in einer Pressemitteilung sein Vorgehen "im Hinblick auf die erheblichen Irritationen und Missverständnisse": "Auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte ist davon auszugehen, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit des Verfahrens gewahrt ist", heißt es darin. Demnach muss die Auswahl der Medien nach "objektiven und überprüfbaren Kriterien" erfolgen - also beispielsweise in der Reihenfolge ihres Eingangs oder durch ein Losgefahren. Das Vorgehen nach Reihenfolge sei von Anfang an allen Medien bekannt gewesen. Man wolle niemand vom Prozess ausschließen.

Dennoch haben türkische Medien nun das Nachsehen. Dabei hätte es durchaus Möglichkeiten gegeben, das zu vermeiden. Als der Wettermoderator Kachelmann wegen Vergewaltigung angeklagt wurde, stand das Landgericht Mannheim vor einem ähnlichen Problem. Auch damals übertraf die Nachfrage die Anzahl der Plätze, auch damals hatten ausländische Medien - insbesondere Schweizer, weil Kachelmann Schweizer Staatsbürger ist - ein großes Interesse. Das Gericht bildete deshalb bei der Akkreditierung einen eigenen "Topf" für die Schweizer Medien. Ein ähnliches Verfahren bei einem spektakulären Mordprozess vor dem Landgericht Ulm hatte das Bundesverfassungsgericht zuvor ausdrücklich abgesegnet. Dort hatte das Gericht drei "Töpfe" gebildet - einen für die regionale Presse, einen für die überregionale Presse und einen für Rundfunk und Fernsehen.

Warum wird der Prozess nicht übertragen?

Warum wird der Prozess nicht übertragen?

Norwegen hat es beim Prozess gegen den Massenmörder Anders Behring Breivik vorgemacht: Das halbe Gericht in Oslo wurde freigeräumt und der Ballsaal eines Hotels für die internationale Presse reserviert, zudem gab es Simultanübersetzungen ins Englische.

Auch in Deutschland sagen nun viele: Nichts hindert das Gericht daran, den Prozess zumindest per Video in einen zweiten Saal zu übertragen. OLG-Präsident Huber betont dagegen: "Das ist rechtlich ausgeschlossen" - und würde dazu führen, dass das Verfahren wegen Rechtswidrigkeit wieder aufgerollt werden müsse. "Wir legen Wert darauf: Wir führen ein rechtsstaatliches Verfahren und keinen Schauprozess für die Öffentlichkeit", hatte er im SZ-Interview betont. Laut § 169 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetze sind Ton- und Filmaufnahmen "zum Zweck der öffentlichen Vorführung" verboten. Ob eine Simultanübertragung für akkreditierte Journalisten eine "öffentliche Vorführung" ist, ist fraglich.

Gibt es bei den Zuschauern auch ein Platzproblem?

Allerdings. Zum Eklat war es bereits vor Veröffentlichung der Medienliste gekommen, als bekannt wurde, dass der türkische Botschafter und der Menschenrechtsbeauftragte des türkischen Parlaments keinen festen Platz im Saal bekommen. Das hatte das Gericht dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags mitgeteilt, der um Platzreservierungen für die politischen Würdenträger gebeten hatte. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy (SPD) sprach daraufhin von einem "Affront". "Der NSU hat sechs türkische Staatsbürger und zwei gebürtige Türken getötet", gab er zu bedenken.

Warum wird überhaupt so viel über den Prozess gestritten?

Der NSU werden zehn rassistisch motivierte Morde an türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer Polizistin zur Last gelegt. Doch der nun beginnende Prozess in München ist mehr als ein Mordprozess: Er soll richten, was bei den jahrelangen Ermittlungen versäumt wurde - lange war von "Dönermorden" die Rede, Angehörige beklagen noch immer, sie seien damals verdächtigt worden, selbst Teil der kriminellen Szene zu sein. Zudem wurden zahlreiche Hinweise übersehen und Akten über die NSU geschreddert. Bei dem Prozess geht es deshalb auch um Sensibilität. Und um Transparenz.

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