Streit um Zeche:Bierdeckel als Beweismittel

43 oder 61 Biere? Ein Stammgast ließ in einer Kneipe "Deckel schreiben". Nach zwei Monaten waren allerdings der Gast und die Wirtin sich uneins über die Zeche - nach einem Gerichtsurteil müssen nun beide draufzahlen.

Ekkehard Müller-Jentsch

Einen Bierdeckel mit 61 Strichen - mehr hatte eine Münchner Wirtin nicht in der Hand, als sie von einem weiblichen Stammgast 136 Euro einklagen wollte. Diese mochte nämlich nicht wahrhaben, in zwei Monaten so viel Bier in dieser Neuhauser Schenke getrunken zu haben: Höchstens 43 Gläser wollte sie zugestehen. Wer nun die Wahrheit sagt, war für die Amtsrichterin ziemlich aufwendig zu ermitteln - und für die Streithanseln teurer als die offene Rechnung.

Streit um Zeche: Kneipen-Strichcode: Auf Bierdeckeln anschreiben zu lassen, ist auch heute noch durchaus üblich.

Kneipen-Strichcode: Auf Bierdeckeln anschreiben zu lassen, ist auch heute noch durchaus üblich.

(Foto: Robert Haas)

Auch im Zeitalter moderner Kassensysteme ist das "Deckel schreiben" in Kneipen nicht aus der Mode gekommen. Und weil sie bis dahin ein guter Stammgast gewesen war, hatte eine Münchnerin in dem Neuhauser Lokal nicht jeden Abend die Zeche zahlen müssen. Als man ihr nach mehreren Wochen dann aber ein volles Bierfilzl präsentierte, winkte sie empört ab: "136 Euro sind nie im Leben angefallen", schimpfte sie.

Sie war nur bereit, allenfalls 96 Euro zu bezahlen. Aber das wollte die Wirtin nicht und zog lieber mit dem Bierdeckel vor Gericht. Die Kundin wehrte sich dort: "Bierdeckel sind leicht zu verfälschen", meinte sie, schließlich befänden sich nur Striche und keine Beträge darauf. "Deshalb ist das auch kein geeignetes Beweismittel." Die Wirtin blieb jedoch hartnäckig: "Ein Strich bedeutet ein Bier zum Preis von 2,20 Euro - und sie weiß natürlich, dass nichts verfälscht wurde."

Mitzecher als Zeugen

Weil Bierdeckel tatsächlich nicht sehr aussagekräftig sind, lud die Amtsrichterin drei Mitzecher als Zeugen. Die wussten natürlich nicht über jedes Glas Bier Bescheid. Aber immerhin konnten sie sagen, was üblicherweise konsumiert wurde; und auch, dass die Frau zu Zeiten da gewesen sei, in denen sie nach eigenen Angaben gar nicht in der Kneipe gewesen sein will. Nach der Beweisaufnahme einigten sich beide Seiten darauf, dass die Kundin 112 Euro bezahlt. Dazu kommen aber noch 255 Euro Prozesskosten, die sich beide teilen müssen. Dabei hatten sie noch Glück, dass die Mittrinker auf ihr Zeugengeld verzichteten - sonst wäre es noch teurer gekommen.

Übrigens gelten Striche auf Bierdeckeln vor Gericht als richtige Urkunden. Jedenfalls solange die Striche mit dem Einverständnis und unter den Blicken des Gastes vorgenommen worden sind. Die Zettel aus den modernen Kassenautomaten, die so offiziell aussehen, muss dagegen niemand widerspruchslos akzeptieren: Rechnungsstreifen von betriebsinternen Bonierungsautomaten haben keinerlei Beweiskraft. Denn ob falsch getippt worden ist, hat der Gast - im Gegensatz zum Bierdeckel - nicht im Blick.

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