Süddeutsche Zeitung

Streit um Wildbestand zwischen Bayerns Jägern und Waldbesitzern:Verbiss, Unfälle - und Jägerlatein in den Abschusslisten

Was die Häufigkeit von Wildunfällen und das Verbissgutachten über den Fleiß und die Ehrlichkeit der Waidmänner verraten

"Streit ums Reh" vom 3. September:

Zu dem Beitrag über das neue Bundesjagdgesetz möchte ich ein paar Sätze ergänzend beitragen. Das Verbissgutachten zeigt ja alle drei Jahre wieder auf, wo der Verbiss durch Rehwild noch zu hoch ist. In diesen Revieren ist auch die Unfallhäufigkeit durch Rehwild viel zu hoch. Den Schaden trägt die autofahrende Bevölkerung über die höheren Versicherungsbeiträge in der Teilkaskoversicherung. Der Unterschied kann bis zu 100 Euro je versichertes Auto betragen.

Der Vizepräsident des Bayerischen Jagdverbands (BJV) sagt: "Waldumbau mit der Büchse funktioniert nicht." Wie sollen denn Neuanpflanzungen geschützt werden? Ein Warnschild für Rehe, "Achtung, für Rehe ist der Zutritt verboten", wird wohl keinen Erfolg bringen. Dann bleibt nur noch die Einzäunung - dieses Phänomen hatten wir ja bis vor 20 Jahren, als die bayerischen Zäune ( mit Steuergeld subventioniert) aneinander gereiht bis nach Peking gereicht hätten.

Ein Blick in die Landkreisunfallkarte der Polizei zeigt sofort auf, wo ordentlich gejagt wird und wo die Abschüsse nicht ausreichend getätigt wurden. Das Verbissgutachten gibt es ja bereits einige Jahrzehnte, doch die Reviere mit zu hohem Rehwildbestand sind seit Jahrzehnten die gleichen. Ich habe mit 75 Jahren die Jagd eingestellt und in 44 Jagdjahren weit mehr als 1000 Stück Schalenwild erlegt. In meinem damaligen Pachtrevier hatten wir acht Rehe je 100 Hektar Pachtfläche auf dem Abschussplan. Wir haben die Abschusszahl eigenmächtig auf zehn bis zwölf Stück Rehwild je 100 Hektar erhöht. Der Wald zeigt, wohin das geführt hat: Es sind dort hektarweise Natur-Verjüngungen aus Tanne, Douglasien und Eiche zu finden. In den Altbeständen hat sich eine Verjüngung entwickelt, die nach dem Einschlag keine Pflanzung erforderlich macht.

In meinen Pächterjahren sind interessierte Waldbauern mit Bussen aus ganz Bayern und sogar aus Oberösterreich zur Besichtigung der reichen Tannen-, Eichen- und Douglasien-Verjüngung gekommen. Die Reh-Unfallzahlen sind von 16 Stück am Anfang meiner Tätigkeit als Jagdpächter nach kurzer Zeit auf null bis einen Unfall je Jahr zurückgegangen. In einem Rotttaler Revier, das ich als verantwortlicher Jagdleiter drei Jahre betreut habe, sind die Unfallzahlen von zwölf per anno auf drei beziehungsweise ein Unfallreh pro Jahr zurückgegangen. Wir haben aber nur den vorgegebenen Abschuss von zehn Rehen je 100 Hektar erfüllt.

Die Moral aus der Geschichte: Die Vorpächter hatten zwar die Abschussliste als "voll erfüllt" abgeliefert, die "toten" Rehe liefen aber lustig weiter im Wald herum.

Zur Verhinderung solcher Papierabschüsse müssen die Jäger den Jagdgenossen in all den Revieren, die beim Verbissgutachten das Urteil "Verbiss zu hoch" oder gar "deutlich zu hoch" haben, den im Jagdgesetz bereits heute vorgesehenen "körperlichen Nachweis" erbringen. Das heißt, die erlegten Rehe müssen einem Vertrauensmann der Jagdgenossen vorgelegt werden und mit einem kleinen Scherenschnitt in den Ohren entwertet werden, damit nicht das gleiche Stück im Nachbarrevier nochmal vorgezeigt werden kann. Ich habe solche Vorzeigespiele selbst in der Nachbarschaft erlebt.

Wenn Herr Lechner von der Waldbesitzervereinigung Holzkirchen sagt, "die Jagd muss schärfer werden", würde mir schon ein "die Jagd muss ehrlicher werden" genügen.

Ich bin wegen meiner rechtlich abgesicherten Bejagungsweise von den konservativen Jägern sehr heftig angegriffen worden. Sätze wie, "da sind bald keine Rehe mehr da" sind da öfters gefallen. Wir Jäger haben aber auch das gesamte Revier mit circa 200 Hektar Wald am Ende zaunfrei gehabt, den Abbau haben wir Jäger selbst nach Absprache mit dem Waldbesitzer vorgenommen. Mein Leitsatz zum Abschuss war immer: Solange ich den vorgegebenen Abschuss noch erfüllen kann, sind auch noch genügend Rehe im Revier. Herbert Raßhofer, Frontenhausen

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Quelle:
SZ vom 10.09.2020
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