Streit um Unterkunft für Asylbewerber:Grüß Gott in Brunnthal

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Der Landkreis München sucht eine Unterkunft für Asylbewerber - in einem alten Wirtshaus in der Ortsmitte von Brunnthal könnte man sie unterbringen. Nicht mit uns, wehren sich die Bewohner. Der JU-Chef will die Flüchtlinge gerne ins Gewerbegebiet schicken. Ein Ortsbesuch.

Bernd Kastner

Das Dorf ist ordentlich sortiert. Schon von Weitem erkennt man, von links nach rechts, Neubauten, Kran, Maibaum, Kirchturm, Sportplatz. Drum herum Wiesen und Äcker, ganz links die Alpen, und am Dorfeingang eine Tafel: "Grüß Gott in der Gemeinde Brunnthal." Neben dem Rathaus steht ein altes Wirtshaus, der "Lutterschmid". Es ist zugesperrt, seit Jahren schon, der alte Wirt ist verstorben. Dem Lutterschmid, der auch Fremdenzimmer vermietet hat, trauern hier viele nach. Seit kurzem diskutieren sie ganz besonders heftig über die Zukunft dieses Gebäudes - und dabei auch über Flüchtlinge. Zu beobachten ist ein Spiel mit dem Feuer.

Die Zukunft des leer stehenden Gasthofes Lutterschmid liegt vielen Brunnthalern am Herzen. Asylbewerber dürften darin nach Meinung vieler Bürger keinesfalls untergebracht werden.  (Foto: Claus Schunk)

Über dem Ort liegt ein Rauschen, es kommt von der A8, ein Autobahnkreuz hat das Dorf ja auch in halb Deutschland zu einem Begriff gemacht. Daniel Brenner wohnt in Sichtweite der Salzburger Autobahn, was aber nicht schlimm sei. "An die gewöhnt man sich." Am Telefon hat der junge Mann gesagt, er freue sich auf das Gespräch, weil er sich bislang nicht ganz fair wiedergegeben fühle. Er hat großen Anteil daran, dass die 1500 Brunnthaler gerade so heftig diskutieren.

Vor gut zwei Wochen hat Brenner ein kleines Flugblatt an alle 900 Haushalte im Dorf verteilt, versehen mit dem Logo der Jungen Union, denn Brenner ist JU-Ortsvorsitzender. 14 Ausrufezeichen hat er in seinen Text getan, als wollte er seine Mitbürger wachbrüllen. An einem Samstagvormittag Anfang September habe er den Text geschrieben, erzählt er, und am Nachmittag in die Briefkästen gesteckt.

"Achtung - wichtige Information" steht in roten Großbuchstaben darüber. Der Landkreis wolle angeblich bis zu 50 Flüchtlinge im Lutterschmid unterbringen, was ja überhaupt nicht gehe. Weil diese Menschen, "hoch traumatisiert", medizinische Hilfe bräuchten, die es in Brunnthal nicht gebe; auch der magere öffentliche Verkehr sei ihnen nicht zuzumuten.

"Natürlich darf man das nicht laut sagen"

Noch mehr aber sorgt sich Brenner um seine Mitbürger: "Wir müssen uns aber auch vor Augen halten, was das für uns persönlich bedeutet! Grund- und Immobilienpreise verlieren auf einen Schlag an Wert! Geld, dass Sie sich jahrelang hart erarbeitet oder erspart haben, geht von jetzt auf gleich verloren! 50 Menschen auf kleinem Raum, unterschiedlicher Nationalität, unterschiedlicher Kultur, andere Sitten - das wird sich auch in unserer Kriminalstatistik bemerkbar machen. Natürlich darf man das jetzt nicht laut sagen - ich tue es trotzdem, weil es so ist! Viel schlimmer jedoch ist das subjektive Sicherheitsgefühl vor allem wenn es um unsere Großeltern und Kinder geht. Auch wenn es vielleicht unbegründet sein mag, aber solche Befürchtungen kann man niemandem nehmen und sind nur zu gut verständlich."

Genau so hat er es geschrieben in Absatz drei. Die Worte und Sätze holpern, aber sie haben eingeschlagen. Zur Gemeinderatssitzung ein paar Tage später sind drei- bis vierhundert Brunnthaler gekommen, um der Landrätin von der SPD klar zu machen: Finger weg von unserem Lutterschmid.

Johanna Rumschöttel, die Landrätin, sucht seit Monaten nach Quartieren für Flüchtlinge, die ihr die Regierung von Oberbayern gemäß Quote zuteilt. Im Münchner Speckgürtel aber ist die Bereitschaft, Flüchtlingen zu helfen, gering ausgeprägt. 34, nicht 50, Asylsuchende wolle sie in Brunnthal unterbringen, für einige Monate nur, sagt Rumschöttel. Ihre Ultima Ratio ist, irgendwo Zelte aufzustellen - das wäre ein ganz besonderes Zeichen aus der Münchner Schotterebene an die Welt.

Zu einer Gemeinderatssitzung kamen Hunderte Bürger, um zu verhindern, dass die Landrätin im Lutterschmid vorübergehend 34 Flüchtlinge unterbringt. (Foto: Claus Schunk)

Jetzt, in seinem Wohnzimmer, sagt Daniel Brenner, er habe "sehr viel positives Feedback" auf sein Papier bekommen. Und dass es "schade" sei, dass alle nur über die Sätze mit den Immobilien und der Kriminalität redeten. Er schreibe doch auch, dass man sich der "Verantwortung nicht verschließen" wolle, dass man "Platz für ein bis zwei Flüchtlingsfamilien" sicher finden werde, bloß nicht im Lutterschmid. Dort solle wieder ein Wirtshaus rein, Bäckerei, Metzgerei, Bistro oder Apotheke könne er sich auch vorstellen, auch Wohnungen für Senioren und junge Brunnthaler. "Viel Zukunftspotenzial" habe das Anwesen, hat er geschrieben. "Das dürfen wir uns vom Landkreis nicht kaputt machen lassen. Wir von der JU und CSU können Ihnen versprechen, wir werden handeln!"

Jung, engagiert und Ängste schürend

Man darf annehmen, dass Brenners Meinung zählt im Ort. Zwar ist er erst 26 Jahre alt, aber schon seit elf Jahren in der JU aktiv, seit eineinhalb Jahren ihr Chef. Der CSU-Nachwuchs organisiert den Dorflauf mit Grillfest und das Ramadama in den Wäldern und Fluren. Brenner gehört dem CSU-Ortsvorstand an und wäre 2008 beinahe in den Gemeinderat gewählt worden. Er ist Gruppenführer der Freiwilligen Feuerwehr, und dass er Beamter der Münchner Polizei ist, dürfte auch kein Geheimnis sein.

Wenn ein Polizist vor angeblicher Kriminalität durch Flüchtlinge warnt, wenn er die Sicherheit von "Großeltern und Kindern" ins Spiel bringt und ausspricht, was man angeblich nicht laut sagen dürfe, dann hat das Wirkung. Statt Ängste zu schüren, hätte er den Nachbarn Ängste nehmen können. Hätte bei seinen Kollegen im Polizeipräsidium nachfragen können und erfahren, dass es im Kreis München keine Probleme mit Asylsuchenden gebe. Wer muss sich vor wem fürchten in Brunnthal? Die Dörfler vor den Flüchtlingen? Oder eher umgekehrt?

"Unsere Welt soll in Ordnung bleiben"

Daniel Brenner klingt, als habe er inzwischen nachgedacht über seine Sätze, wohl auch, weil selbst Parteifreunde nicht begeistert waren. "Unglücklich" nennt er sie jetzt und betont, dass die Formulierung von ihm selbst stamme, auch wenn er auf dem Papier ausdrücklich der CSU-Ortschefin für ihre Unterstützung dankt. Die habe ihm aber nur beim Ausdrucken geholfen und lässt jetzt ausrichten, dass sie nicht sprechen wolle über das Thema. "Ich würde diesen Absatz so vermutlich nicht mehr schreiben", sagt Brenner. "Eine objektive und sachliche Argumentation wäre angebrachter gewesen."

Auf den Flyer hat Brenner ein Foto von sich gedruckt. Für die Zeitung will er sich nicht fotografieren lassen, man könne sein Bild ja auf der JU-Seite betrachten. Dort schreibt er: "Ich bin froh, dass mein Sohn hier in Brunnthal aufwachsen wird. Denn bei uns ist die Welt noch in Ordnung! Dass das so bleibt, ist in jeder Hinsicht mein politischer Antrieb. Ich möchte die Zukunft nicht einfach dem Zufall überlassen."

Es sitzt ein freundlicher junger Mann am Esstisch, die kurzen Haare mit Gel ordentlich zerzaust. Er sagt, dass weder Brunnthal, noch die JU, noch er was gegen Fremde hätten. Die JU organisiere seit Jahren Kleiderspenden nach Rumänien und Ungarn - "so viel zum Thema Fremdenfeindlichkeit". Er teile die Sorgen vor den Fremden selbst nicht, aber: "Ich verstehe die Ängste." Eine davon sei diese: "Ich kann dann doch meine Kinder nicht mehr raus lassen." So redeten die Leute im Ort, sagt Brenner, und dass sich Senioren angeblich nachts nicht mehr raus trauen würden, wären die Flüchtlinge da. Man müsse, sagt Brenner, darüber reden dürfen.

Er und seine Mitstreiter haben sich überlegt, wie Brunnthal "Verantwortung" übernehmen könnte für die "armen, verfolgten Menschen", wie er sie nennt. Man nehme "sehr gerne in gewissem Maß Flüchtlinge auf", ein paar Familien könnte man "super integrieren", auch im Dorf selbst. "Die optimale Gegend für die Flüchtlinge" aber wäre Brunnthal-Nord. Weil dieser Ortsteil über eine "super Infrastruktur" verfüge, gute Busverbindungen, viele Läden.

Der Weg nach Brunnthal-Nord führt kilometerlang über Wiesen und Felder, vorbei an Wäldchen und an einer "Golf Range", durch Kirchstockach und die Gudrunsiedlung hindurch, vorbei an einem Spielplatz, der "Indianer City" heißt. Auf einer Tafel ist der "Erste Häuptling" aufgeführt, er heißt Stefan Kern. Der ist 43, seit zehn Jahren Bürgermeister der Gemeinde Brunnthal mit ihren insgesamt 5000 Einwohnern. Kern gehört auch der CSU an und nennt das Flugblatt "ein Stück weit unglücklich".

Aber auf die Landrätin ist er auch nicht gut zu sprechen, glaubt er doch, dass die im Lutterschmid aus einer Kurzzeitlösung für ein paar Flüchtlinge eine Langzeitlösung für sehr viele machen wolle, wenn die Not groß sei. Grundsätzlich, sagt der Bürgermeister, nehme man selbstverständlich Asylsuchende auf, man habe ja auch ein paar Alternativen zum Wirtshaus präsentiert. Einen leeren Bauernhof in Englwarting zum Beispiel, ein Gewerbeobjekt im Nachbarort Ottobrunn. Oder ein leer stehendes Gebäude, das im kommenden Jahr abgerissen werden solle, es liegt in Brunnthal-Nord. Dort sei zwar die Integration der Flüchtlinge schwierig, aber was die Infrastruktur betreffe, sagt Kern, sei dieser Ortsteil "in höchstem Maße" geeignet.

Alternativvorschläge sind zynisch

Brunnthal-Nord ist ein reines Gewerbegebiet. Die Münchner kennen es, weil dort Ikea gebaut hat und die Metro ist. Von hier aus, sagen Kern und Brenner, könnten die Flüchtlinge sogar zu Fuß in den nächsten Ort gehen, nach Ottobrunn. Gewerbegebiete gibt es, weil man dort ansiedelt, was in einer Wohnsiedlung stören würde. Weil es laut ist oder hässlich oder viel Verkehr anzieht. Brunnthal-Nord ist eingeschlossen von zwei Autobahnen und einer Bundesstraße. Kaufen kann man hier tatsächlich viel, beim Lidl und beim McDonald's, im Obi mit seinem Gartenparadies, und sogar Käfer betreibt einen Delikatessen-Markt. "Einfach gut drauf sein", lautet der Slogan eines Fitnessstudios.

"Zynisch" nennt die Landrätin den CSU-Vorschlag, hier Asylsuchende einzuquartieren. Wie würde so ein Konsumgebiet wohl wirken auf Menschen, die kaum Geld haben, weil der Staat sie über lange Zeit nicht arbeiten lässt? Wie wäre es für diese Entwurzelten, eingewiesen zu werden in ein Areal, das nachts menschenleer ist, weil hier keiner wohnt? Nein, sagt die Landrätin, hierher schicke sie niemanden, und überhaupt klingt es, als hätte so mancher in Brunnthal sein Ziel erreicht: In eine feindselige Umgebung wolle sie keine Flüchtlinge einquartieren.

© SZ vom 26.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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