Süddeutsche Zeitung

Streit um Stolpersteine:"Würdeloses Schauspiel"

Eigentlich sollte Charlotte Knobloch im Dezember zum Thema Stolpersteine bei einem Stadtrats-Hearing sprechen. Nun hat die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde angekündigt, dass sie nicht teilnehmen will - und die Aktion scharf kritisiert.

Von Dominik Hutter

Das geplante Stadtrats-Hearing zum Thema Stolpersteine wird von Charlotte Knobloch als demütigendes Tribunal empfunden. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde hat deshalb in einem sehr emotionalen Schreiben an Kulturreferent Hans-Georg Küppers ihre Teilnahme an der Veranstaltung infrage gestellt - einen eigenen Redebeitrag in einem solchen "Kreuzverhör" schließt sie kategorisch aus: "Ich werde nicht darum betteln, dass man den Anstand und die Besinnung haben möge, vertriebenen, gequälten und ermordeten Menschen nicht in einem profilneurotischen künstlerischen Show Act ein vermeintliches Andenken im Dreck zu schaffen."

Bei dem von den Grünen initiierten Stadtrats-Hearing am 5. Dezember sollten sechs Referenten ihre Haltung zum Thema Stolpersteine darlegen, darunter auch Charlotte Knobloch. Die kleinen Messingplatten mit den Namen von Holocaust-Opfern gibt es weltweit in fünfstelliger Zahl, nach Einschätzung der Befürworter sollte angesichts dieser Erfahrungen die 2004 formulierte Haltung des Rathauses überdacht werden. Damals beschloss der Stadtrat, wegen der Bedenken der Kultusgemeinde in München auf öffentlichem Grund keine Stolpersteine zu verlegen.

Charlotte Knobloch, die als Kind den Holocaust überlebt hat, wehrt sich seit langem gegen eine Form des Gedenkens, bei der die Opfer ihrer Auffassung nach buchstäblich mit Füßen getreten werden. Das Thema, so ist aus der Israelitischen Kultusgemeinde zu hören, geht der bald 82-jährigen früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden sehr nahe, die aktuelle Debatte stimme sie traurig. In dem Brief an Küppers begründet sie noch einmal ihre "unbeirrbare Abwehrhaltung gegenüber jeder Gedenkform auf dem Boden": Sie habe noch immer Bilder vor Augen "von den getretenen, gedemütigten, geschundenen Menschen und den am Boden kauernden Verletzten, Sterbenden oder bereits Toten".

Sie habe ihre Haltung bereits "Hunderte, Tausende Male dargelegt", steht in dem Schreiben an den Kulturreferenten, sie wolle jetzt nicht noch einmal in demütigender Weise "vortanzen". Das Hearing sei ein "würdeloses Schauspiel, das einige Profilneurotiker mühevoll und unerbittlich erzwungen" hätten. Offenbar geht die Präsidentin der Kultusgemeinde davon aus, dass sie nahezu allein gegen eine Phalanx von Stolperstein-Befürwortern für ihre Haltung kämpfen müsste.

Reiter vereinbarte umgehend Treffen mit Knobloch

Es handle sich aber nicht um eine normale politische Auseinandersetzung, etwa über Haushaltsfragen. "Es geht um die unmenschlichsten Momente unserer Geschichte und den angemessenen Umgang damit". Offenkundig werde Menschen, die den Holocaust "nicht nur aus Reden, Büchern oder Gedenkveranstaltungen kennen, sondern die die Verfolgung persönlich an Leib und Seele erlebt haben, exakt nullkommanull Empathie entgegengebracht". Knobloch kann sich nicht ernsthaft vorstellen, dass es Menschen gibt, die in Stolpersteinen eine zukunftsweisende, erkenntnisorientierte Form des Gedenkens sehen - und nicht allein ein "obsessives Kunstprojekt". Die Debatte sei absurd.

Oberbürgermeister Dieter Reiter reagierte sofort auf das Schreiben an seinen Kulturreferenten und vereinbarte noch für diese Woche einen Gesprächstermin mit Knobloch. "Ich bedaure sehr, dass sich Frau Knobloch durch das geplante Hearing verletzt fühlt", erklärte der SPD-Politiker. Der Stadt liege viel an der Zusammenarbeit mit Knobloch. Küppers habe deshalb im Vorfeld mit ihr persönlich über das Hearing gesprochen, das vom Stadtrat beschlossen wurde.

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SZ vom 08.10.2014/ahem
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