Streit um NS-Dokumentationszentrum:Grenzen der Erinnerung

Von Sonja Zekri

Die beiden Damen waren sich spinnefeind, und die Sache mit der Hundepeitsche bewies es. Die Verlegergattin Elsa Bruckmann, die früher in ihrem Salon Nietzsche und Rilke und später Heß und Rosenberg begrüßte, Elsa Bruckmann erklärte, sie habe Hitler das lederne Accessoire geschenkt. Der Ex-Gefreite sei ihr Schützling, von ihr habe er gelernt, wie man Artischocken isst und einer Frau die Hand küsst.

Und wenn schon, beharrte die Fabrikanten-Gattin Helene Bechstein, die Peitsche habe sie Hitler verehrt. Immerhin hatte sie ihm in Stilfragen beraten und hätte ihm sogar die Hand ihrer Tochter gegeben, wenn er sie denn gewollt hätte. Die Wahrheit, so schreibt David Clay Large in seinem Buch "Hitlers München", lautete: Hitler hatte sich von beiden beschenken lassen - und es der anderen nicht verraten.

Das sind frivole Albernheiten, historischer gossip, gewiss, aber sie demonstrieren abgesehen von der gefährlichen Anekdotenfähigkeit des Nationalsozialismus das strategische Geschick, mit dem der "Politprolet" (Large) Anfang der zwanziger Jahre den Aufstieg in die Münchner Society schaffte, wie er die Aura des Unterprivilegierten nutzte, um Sponsoren zu finden, Gönner, Verbündete.

München, darin sind sich die Historiker einig, hat mit seinem bierkellerschwülen Klima aus bourgeoiser Republikfeindlichkeit, Antisemitismus und politischer Abenteuerlust den Aufstieg des Nationalsozialismus entscheidend begünstigt.

Doch während andere, weniger exponierte, weniger begüterte Städte sich zu ihrer Vergangenheit in Museen oder Gedächtnisorten bekennen, hat es die einstige "Hauptstadt der Bewegung" mehr als achtzig Jahre nach dem Marsch auf die Feldherrenhalle zu einer Abteilung im Stadtmuseum geschafft - und fast wäre es auch dazu nicht gekommen (SZ vom 7. Juni 2003).

Zweite und dritte Dimension

Ein NS-Dokumentationszentrum, eine umfassende Würdigung der hemmenden und beschleunigenden Standortfaktoren, aber gibt es bis heute nicht. In der vergangenen Woche ist die Diskussion darüber in einer Weise eskaliert, dass man mit Mühe von Stagnation und nicht von Rückschritt reden möchte.

Die Sache wird nicht besser dadurch, dass neben dem Münchner Kulturreferat vier hochangesehene Wissenschaftler beteiligt sind: Der Bochumer Historiker Norbert Frei, Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums in Berlin, und Winfried Nerdinger, Direktor des Architekturmuseums in der Münchner Pinakothek der Moderne. Sie sollten im Auftrage der Münchener Kulturreferentin Lydia Hartl ein Gutachten über Aufgabe und Inhalt eines NS-Dokumentationszentrum erstellen.

Inzwischen liegen zwei Stellungnahmen vor - eine von Frei, Knigge, Kugelmann und eine von Nerdinger -, der Salzburger Historiker Albert Lichtblau, der ursprünglich zu dem Gremium gehörte, ist ausgeschieden, weil er sich keiner Gruppe anschließen wollte. Und die Zusammenarbeit jener beiden Parteien hat auf so unschöne Weise ein Ende gefunden, dass man es eigentlich gar nicht so genau wissen will.

Das böse Wort von einer "Affirmation" des Nationalsozialismus ist gefallen, weil Frei, Knigge und Kugelmann den etwas distanzlosen Titel "Haus der Geschichte des Nationalsozialismus" vorgeschlagen haben. Diese revanchierten sich mit dem Vorwurf "lokalpolitischer Interessenkämpfe". Gegen das Tempo, in dem sich die Münchner Erinnerungslandschaft entwickelt, scheint die Topographie des Terrors in Berlin geradezu rasante Fortschritte zu machen.

Dabei enthalten beide Gutachten Positionen, denen eine inhaltliche Debatte zu wünschen ist. So greifen Frei, Knigge und Kugelmann weit aus. Sie planen ein Haus zur Gesellschaftsgeschichte im Nationalsozialismus, eine präzedenzlose Zusammenschau der "Volksgemeinschaft", die den Aufstieg der Bewegung in München berücksichtigt, aber den Schwerpunkt auf die Regimephase von 1933 bis 1945 legt.

Ihr Haus würde den Vergleich mit internationalen Einrichtungen wie dem Holocaust Memorial Museum in Washington nicht scheuen müssen. Gerade die skandalöse Verzögerung zwinge dazu, in München erstmals eine Institution für die Zeit nach der "Epoche der Zeitzeugenschaft" zu entwerfen: Die Verschleppung als Chance. "Wir haben keine Einrichtung in Deutschland, in der sich ein Sechzehnjähriger im Jahr 2010 das Thema in seiner Gesamtheit vergegenwärtigen kann", sagt Frei.

Einem großen und heterogenen Publikum gelte es gerecht zu werden: durch Biografien, dreidimensionale Objekte, eine "farbige Präsentation", ja, ein Museum.

Wenn die Gutachten am heutigen Donnerstag im Kulturausschuss vorgestellt werden und wenn dabei, wie es sich derzeit abzeichnet, die Vertreter von SPD, Grünen und CSU gegen diesen ambitionierten Wurf stimmen werden, dann liegt dies auch daran, dass sich Frei, Knigge und Kugelmann über einen in München in Jahrzehnten erstrittenen und erarbeiteten Konsens dessen hinwegsetzen, was ein solches Haus soll und kann: Nicht nur Winfried Nerdinger, sondern auch der "Initiativkreis für ein NS-Dokumentationszentrum", in dem kirchliche und politische Verbände, Verfolgte des Nazi-Regimes - und Mitglieder des Kulturausschusses - sitzen und die seit Jahren für ein NS-Dokumentationszentrum kämpfen, sie alle plädieren dafür, sich auf jene Frage zu konzentrierten, die bislang ebenfalls unbeantwortet ist: Warum München? Welchem Geist, welchem Milieu entsprang die Katastrophe?

Nerdinger möchte den Schwerpunkt auf die "Bewegungsphase" legen, möchte "Realien" gar nicht, Biografien nur sparsam einsetzen und verspricht sich von Fotos, Dokumenten, Texten eine weniger "inszenierte", weniger "faszinierende" Präsentation als von Realien. Keinesfalls dürfe man sich der NS-Geschichte durch "Musealisierung" entledigen.

Nun könnte man sich damit trösten, dass beide Seiten im Gespräch konzilianter klingen als in ihren schriftlichen Verlautbarungen: Natürlich sei der Titel nur ein Vorschlag gewesen, sagt Frei. Natürlich könne man über sinnvoll kontextualisierte Realien reden, sagt Nerdinger. Man könnte sich auch damit trösten, dass der Streit ein Licht auf unterschiedliche Auffassungen über die Vermittelbarkeit historischer Erfahrungen und über die Aufgabe solcher Vermittlung wirft.

Man könnte an die Wehrmachtsausstellung anknüpfen, die in ihrer ersten Version gezeigt hat, dass gerade Fotografien eine schwer unkontrollierbare Wirkung entfalten können, und in ihrer zweiten, dass eine rein textgestützte Ausstellung durchaus Besucherscharen anziehen kann, dass also die Grenzen zwischen zwei- und dreidimensionalen Objekten längst nicht so klar verlaufen, wie es der jetzige Konflikt nahe legt.

Aber vielleicht will man sich nicht trösten. Denn dass München nun schon das dritte Gutachten studiert und keinen Schritt weiter ist als vor gut einem Jahr, als man sich noch über die erste, von Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier beim Institut für Zeitgeschichte in Auftrag gegebene, völlig verunglückte Empfehlung empörte, das beweist vor allem die erfolgreiche Selbstlähmung.

Bislang ist weder die Finanzierung noch die Entscheidung für einen Neubau noch das Grundstück geklärt. Das Gelände der ehemaligen Parteizentrale im "Braunen Haus" nahe dem Königsplatz gilt als ideal, gehört aber dem Freistaat, und der lässt keine Anzeichen von Großzügigkeit erkennen. Das neue Gutachten hätte diese Entscheidungen beschleunigen können. Es wird nicht die letzte verschenkte Chance bleiben.

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