Streit um Konzertsaal:Wer was will

Horst Seehofer gibt den empfindlichen Pianisten, Ludwig Spaenle den Kontrabassisten und ein Intendant spielt Bratsche: Wer will eigentlich was im Konzertsaal-Streit? Wahre Motive und echte Künstler in einer verfahrenen Debatte.

Von Franz Kotteder und Christian Krügel

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Das war wieder nichts. Eigentlich wollten sich am vergangenen Donnerstag Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) treffen, um ein gemeinsames Handeln in der Konzertsaalfrage festzulegen: Steigt der Freistaat bei der Sanierung der Philharmonie am Gasteig ein? Oder baut er doch einen eigenen Saal am Finanzgarten? Doch das Treffen wurde abgesagt - aus terminlichen Gründen, wie es offiziell heißt. Immerhin traf sich Seehofer am Mittwochabend zu einem wohl sehr intensiven Gespräch über das Thema mit seinem Kunstminister Ludwig Spaenle . Über das Ergebnis schweigen sich beide aus. Kein Wunder: Die Motivlage aller Akteure ist mittlerweile so komplex, dass jedes falsche Wort wie ein Paukenschlag im Pianissimo wirken könnte. Ein Überblick.

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Horst Seehofer, Ministerpräsident

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Quelle: Robert Haas

Ein großer Musiker macht sich unsterblich durch seine individuelle Interpretation alter Meister. Pianist Glenn Gould entdeckte Bach für die Moderne, Friedrich Gulda erschloss dem Publikum Mozart neu. Horst Seehofer wagt sich an die größte Herausforderung: Er interpretiert Horst Seehofer. Der hatte zwischen 2011 und 2013 ein einfaches Grundthema vorgegeben. Er versprach München mehrmals einen erstklassigen neuen Konzertsaal, der dem Weltniveau der hiesigen Klassikszene, allen voran dem BR-Symphonieorchester, gerecht werden sollte. So sicher war sich Seehofer, dass er das sogar in seine Regierungserklärung aufnehmen ließ. Doch wie alle Künstler hat auch Seehofer eine leicht verwundbare Seele, die Applaus als Balsam braucht. Statt Huldigungen für das Geschenk, das er seiner Landeshauptstadt machen wollte, gab es Gezeter und Streit um Standorte und Bedarf. Also suchte sich der empfindliche Künstler einen neuen Freund in Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Damit begannen waghalsige Variationen über das Seehofer-Thema: Könnte man nicht am Gasteig zwei Säle bauen? Oder den Herkulessaal aufhübschen? Oder - neueste Variation - eine runderneuerte Philharmonie als Neubau verkaufen? Das wäre freilich so, als ob ein Pianist ankündigte, die Goldberg-Variationen zu spielen, und dann den Flohwalzer intonierte. Da Seehofer die Gunst des Publikums höher als alles andere schätzt, kann ihm das auch nicht recht sein. Also tut er das, was er brillant kann: Auf den rechten Einsatz zur rechten Zeit warten. Auch das ist eine wichtige Gabe großer Musiker.

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Ludwig Spaenle, Kunstminister

Kultusminister Ludwig Spaenle

Quelle: Andreas Gebert/dpa

Geerbt hat er das Thema Konzertsaal von seinem Vorgänger Wolfgang Heubisch, der damit sein FDP-Zahnarzt-Image loswerden wollte. Qua Zuständigkeit musste Spaenle wieder eine Arbeitsgruppe einsetzen, die sich mit der Standortfrage befasst und dabei auch zu der Ansicht gelangt ist, dass des Ministerpräsidenten Variationen über das Thema Gasteig völlig missraten sind. Stattdessen will diese Arbeitsgruppe im Finanzgarten bauen, was ein paar Baumschützer böse finden. Die kommen aber dummerweise aus Spaenles Wahlkreis, weshalb der Minister mit Blick auf die nächsten Wahlen ein wenig Angst hat. Denn mit dem ganzen Schulzeugs hat er ohnehin schon genug Ärger am Hals. Also entledigt er sich des Themas mit der stoischen Ruhe eines Kontrabassisten im Orchester und erlaubt sich keine Abweichungen von dem, was in der Partitur steht. Blöd nur, dass er diese nicht kennt, weil sie von zwei anderen geschrieben und ständig umgeschrieben wird: von Seehofer und Spaenles eigenem Mann, Toni Schmid.

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Toni Schmid, Ministerialdirigent im Kunstministerium

Opernpremiere von 'Die Soldaten' von Bernd Alois Zimmermann an der Staatsoper

Quelle: Florian Peljak

Selten trug ein Staatsbeamter seinen Titel mit größerem Recht. Toni Schmid dirigiert mit der Magie eines Karajans die Minister unter ihm, erst Wolfgang Heubisch, jetzt Ludwig Spaenle. Er ist am längsten von allen mit bayerischer Kulturpolitik befasst . Sein ministerielles Ensemble lässt er hoch professionell die ganze Palette an Möglichkeiten einer Großbehörde durchspielen, ein Projekt zum Scheitern oder zum Erfolg zu führen. Ein glühender Verfechter des Konzertsaalgedankens scheint er nicht zu sein. In Wahrheit hält er die 200 Millionen Euro, die Seehofer avisiert hat, wohl für rausgeschmissenes Geld. Schließlich muss er marode Pinakotheken, das Haus der Kunst, das Bayreuther Festspielhaus und immer noch das Gärtnerplatztheater sanieren. Zudem schlägt sein Herz für andere Klangkörper als das BR-Symphonieorchester. Mit Paul Müller, dem Intendanten der Münchner Philharmoniker, ist er eng befreundet; sein eigenes Staatsorchester erlebt gerade unter dem neuen Chef Kirill Petrenko einen Höhenflug. Was Schmid wirklich für richtig hält, lässt er nicht wissen. Fest steht nur: Er hat Absichten.

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Mariss Jansons, Chefdirigent der BR-Symphoniker

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Ein Meister des konsequent durchgehaltenen Generalthemas. Mögen andere ihre Themen mit mannigfaltigen Variationen bearbeiten: Jansons bleibt stur bei seinem Hauptmotiv und wiederholt es ohne Unterlass, als wäre das alles ein Orchesterwerk von Philip Glass. Er ist womöglich der einzige, der in der ganzen Debatte rein musikalischen Kriterien folgt. Und er wird sich gelegentlich schon gefragt haben, warum er sich das alles angetan hat. Sein Vertrag endet 2018 in München, eine Verlängerung ist angesichts der derzeitigen Kakophonie wenig wahrscheinlich. Womit die BR-Symphoniker ein Problem bekommen: Sie brauchen einen namhaften Nachfolger für Jansons, sind damit aber nicht allein in Europa. Mehrere Orchester suchen für die Jahre 2018 ff. neue Pultstars, allen voran die Berliner Philharmoniker. Ohne neuen Saal und entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten für das Orchester haben die BR-Symphoniker schlechte Karten im internationalen Konkurrenzkampf um einen neuen Maestro.

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Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks

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Quelle: Robert Haas

Ist in der undankbaren Lage, es sich mit allen verscherzen zu können. Mit seinen Symphonikern und deren Chefdirigenten, weil er nicht energisch genug einen Konzertsaal fordert. Mit dem Ministerpräsidenten, weil er dessen Vorschläge nicht gut finden darf, weil seine Symphoniker sie nicht gut finden. Mit vielen CSU-Freunden aus Restbayern, die einen neuen Saal für einen großkotzigen Münchner Schmarrn halten. Dabei hätte Wilhelm doch eigentlich die angenehme Ausgangsposition eines Hörers im Wunschkonzert: Er darf sich etwas wünschen und muss noch nicht mal voll dafür zahlen, denn das verbietet dem BR das EU-Recht. Aber die Gemengelage zwischen Musikern, Seehofer und CSU-Abgeordneten ist eben kompliziert, weshalb sich der BR-Intendant lange Zeit vornehme Zurückhaltung auferlegt hat. Wäre die Konzertsaaldebatte ein Orchester, dann spielte er wohl die Bratsche. Über die gibt es viele Musikerwitze. Zum Beispiel den: Was ist der Unterschied zwischen einer Bratsche und einer Handgranate? Keiner. Wenn man sie hört, ist es schon zu spät.

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Paul Müller, Intendant der Münchner Philharmoniker

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Quelle: Catherina Hess

Er ist so etwas wie die graue Eminenz in der gesamten Debatte, so still und unauffällig, wie er in dieser Sache agiert. Sicher sollte man ihn nicht unterschätzen: Der Mann hat schließlich einen Thielemann überstanden. Aber was einen neuen Konzertsaal angeht, steckt er in einer Zwickmühle. Ein toller Saal für die BR-Symphoniker würde den Philharmonikern natürlich schaden, wenn sie dann weiter "in den Schützengräben von Haidhausen spielen" müssten, wie es aus ihrem Umfeld heißt - gemeint ist damit übrigens die Philharmonie am Gasteig. Ebenso wenig begeistern kann Müller, dass sie womöglich auf ihr Erstbelegungsrecht dort verzichten müssen, wenn der Freistaat nämlich die Gasteig-Sanierung mitbezahlt. Die Philharmoniker haben also kaum etwas zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Müller übt sich deshalb in Schadensbegrenzung. Er ist so etwas wie der Triangelspieler im Orchester, der zwar nur ein paar musikalische Farbtupfer setzt, aber auffällt, wenn er schweigt.

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Andreas Schessl, Münchner Konzertveranstalter

Andreas Schessl; schessl

Quelle: Thomas Dashuber

Eigentlich wäre er der Organist fürs Symphonieorchester. Werke für Orgel und Orchester sind in der Literatur recht überschaubar vertreten, und recht überschaubar sind auch die Möglichkeiten für freie Konzertveranstalter, in München einen Saal zu bekommen. Trotzdem sollen sie schon einen ordentlichen Auftritt bieten, der auch was hermacht. Große Orgel eben. Insofern ist freien Konzertveranstaltern natürlich an einem neuen Saal gelegen, weil damit die Möglichkeiten wachsen. Ganz schlecht sieht es hingegen aus, wenn sich Stadt und Staat zusammentun und die Gasteig-Philharmonie sanieren. Dann geht möglicherweise auf Jahre hinaus so gut wie gar nichts mehr in der Stadt. Deshalb spielen Schessl und Kollegen schon jetzt traurige Klagelieder auf einer zerrupften Fiedel. Bildlich gesprochen.

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Manfred Wutzlhofer und die Konzertsaalfreunde

Manfred Wutzlhofer, 2013

Quelle: Stephan Rumpf

Jeder Klassikfreund weiß, dass die Blechbläser entscheidend sind - machen mächtig was her, aber wehe der Einsatz stimmt nicht oder der Ton kommt schräg daher! Dann vermasseln sie alles. Deshalb haben sich Vorsitzender Manfred Wutzlhofer, Kurt Faltlhauser und Co. lange in der Debatte still gehalten - zu lange, sagen manche. Zuletzt schmetterten sie aber derart laut, dass es dem zarten Seehofer fast schon wieder zu viel war. Denn sie stellten Computersimulationen für das Konzerthaus im Finanzgarten vor, so bunt, dass dem Spaenle ganz bang wurde wegen all seiner Schwabinger Baumfreunde. Und irgendwie hat man immer das Gefühl, dass Wutzlhofer und Co. noch vor dem Finale die Luft ausgehen könnte.

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Dieter Reiter, Münchner Oberbürgermeister

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Von Haus aus ist der Mann ja E-Gitarrist, was immerhin musikalische Neigungen verrät. Aber einen akustisch erstklassigen Saal braucht man für dieses Instrument nicht, selbst wenn man es (oberbürger-)meisterlich beherrscht. So kann Reiter der ganzen Angelegenheit relativ gelassen entgegensehen, ist ihm doch im Wesentlichen daran gelegen, den Ruhm der Stadt zu mehren, ohne deren Kasse zu plündern. Baut der Freistaat ein eigenes Konzerthaus, dann ist das gut fürs Renommee. Die Gasteig-Sanierung muss Reiter dann zwar alleine bezahlen, aber das Geld dafür ist ja da. Baut Seehofer keinen neuen Saal, dann zahlt er womöglich kräftig bei der Philharmonie dazu. Was auch nicht verkehrt wäre, aus der Sicht eines Oberbürgermeisters. Reiter muss sich also gar nicht groß in Szene setzen, der lachende Dritte ist er ohnehin. Und AC/DC hört er im Olympiastadion.

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Das Publikum

Publikum bei Generalprobe des BR Symphonierorchesters in München, 2011

Quelle: Alessandra Schellnegger

Ist langsam angeödet von der ewig gleichen Leier. Ein schräges Stück, möchte man schließlich nicht immer und immer wieder hören. Am Ende könnten die Abonnenten der Philharmoniker die Verlierer sein. Käme es zu einer Kompromisslösung am Gasteig, müssten einige Aboreihen in den Herkulessaal verlegt und ein paar Abos wohl ganz aufgelöst werden. Das wäre ungefähr so, also ob ein Jahreskartenbesitzer des FC Bayern die Wahl hat, nur noch Spiele im Grünwalder Stadion anzuschauen oder ganz auf Fußball zu verzichten. Da wäre ein neuer Saal schon schöner - zumal keiner weiß, wo Klassik stattfinden soll, wenn die Philharmonie wegen Sanierung geschlossen wird. Dann bliebe dem Münchner nur, sich schöne Konzerthäuser in Europa anzuschauen. Und sich zufragen: Warum haben wir das in München nicht hingekriegt?

© SZ vom 19.1./kc
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