Streit um Kinderbetreuung:Der Preis des Lebensmodells Familie

Kinderbetreuung, Krippenplätze

Eine Betreuerin sieht sich gemeinsam mit Kindern ein Buch an.

(Foto: dpa)

Kinder haben ein Recht auf einen Krippenplatz - der muss aber nicht in der Nachbarschaft angeboten werden. Für Eltern mag das Urteil der Münchner Richter enttäuschend sein. Doch sie müssen einsehen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nie vollständig umzusetzen ist.

Ein Kommentar von Nina Bovensiepen

Wenn sie morgens ins Büro kommen, haben viele Mütter und Väter in Deutschland bereits ein Programm absolviert, angesichts dessen jeder Frühsport ein Klacks ist. Das Ganze beginnt in der Regel gegen sechs Uhr und beinhaltet unter anderem: Aufstehen, Fertig machen, Kinder wecken, Familienfrühstück organisieren, Kinder fertig machen, Nachmittagsbetreuung sichern, Kinder zur Schule bringen oder in die Kita. Wer Pech hat, muss zwischen Zuhause, Krippe oder Schule und Arbeitsplatz so lange Wege in Auto oder S-Bahn zurücklegen, dass es kein Wunder ist, wenn er oder sie schon gehetzt und ermattet im Büro ankommt.

Viele Eltern hatten gehofft, dass der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz die tägliche Zerreißprobe ein bisschen leichter machen würde. Für diese Familien ist es enttäuschend, dass das Münchner Verwaltungsgericht nun in einem Verfahren entschieden hat, dass der Rechtsanspruch recht enge Grenzen hat. Trotzdem ist es richtig, was das Gericht geurteilt hat.

Konkret haben die Richter klar gestellt, dass das Recht auf einen Krippenplatz nicht bedeutet, dass die Kita sich in unmittelbarer Nähe des Wohnortes der Familie befinden muss. Wenn Eltern sich morgens und abends eine halbe Stunde zusätzlich durch den Berufsverkehr quälen müssen, um das Kind unterzubringen, ist das in Ordnung, meint das Gericht. Wer den Einzelfall betrachtet, mag das für unzumutbar halten. Wer sich die Situation insbesondere in Großstädten anschaut, weiß zudem, wie nötig es ist, besser und früher zu planen, wo welche Betreuungseinrichtungen entstehen müssen, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Bei Schulen klappt das besser, bei Kindertagesstätten hinken viele Kommunen hehren Zielen hinterher.

Die Richter können aber nur die jetzigen Verhältnisse zum Maßstab nehmen. Sie können Städte zu Zuzahlungen verpflichten und mahnen, mehr zu tun. Aber sie können nichts daran ändern, dass trotz eines Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die als großes Ziel gerne beschworen wird, bisher nicht existiert. Und wer ehrlich ist, sollte sich eingestehen, dass diese "Vereinbarkeit" in der Realität nie vollständig umzusetzen ist. Wer anderes behauptet, verschweigt, dass das Lebensmodell Familie seinen Preis hat (wie jedes andere Lebensmodell auch).

Dieser Preis kann darin bestehen, dass in einer Großstadt die Krippe nicht 500 Meter entfernt von der Wohnung ist. Er kann darin bestehen, dass Paare sich verständigen, dass ein Elternteil nur einen Teilzeitjob ausübt. Oder der Preis kann sein, dass eine Familie aufs Land zieht und auf das urbane Leben in München, Hamburg oder Frankfurt verzichtet und es dann nah zum Kindergarten, aber weit in die Arbeit hat.

Wer so tut, als ob irgendwer - "die" Politik oder "die" Wirtschaft - dafür sorgen könnte, dass ein ausgefülltes Berufsleben beider Eltern mit einem perfekt funktionierenden Familienalltag zur Regel werden könnte, ohne dass dies irgendwo Abstriche bedeutet, der lebt mit einer Illusion.

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