Streit um Kammerspiele:Noch viel Zeit bis zum letzten Vorhang

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Auch wenn Intendant Matthias Lilienthal nach Angriffen der CSU schon zur Halbzeit seinen Abschied mitteilt, will das Ensemble der Kammerspiele in seinem Sinn weitermachen.

Von Christiane Lutz, München

Seit Matthias Lilienthal am vergangenen Montag seinen Abschied von den Kammerspielen verkündet hat, diskutiert die Stadt darüber, ob das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht ist. Und darüber, ob es gut oder schlecht ist, dass in München die bloße Meinungsbekundung der CSU ausreicht, einen Prozess in Gang zu setzen, an dessen Ende es Matthias Lilienthal selbst zu blöd wird und er gar nicht mehr bleiben will.

Mehr als ein kleiner Beschluss war es nämlich nicht. Man wolle sich, hat die CSU-Fraktion so überlegt, gegen eine Verlängerung von Lilienthals Vertrag aussprechen. Dieser läuft noch bis Sommer 2020, die Verhandlungen wären jetzt angestanden. Dass schon zweieinhalb Jahre vor Vertragsende gesprochen wird, ist für den Theaterbetrieb völlig normal. Die Vorläufe für die Kunst sind lang, Regisseure werden oft ein, zwei Jahre vor einer Inszenierung verpflichtet. Bei einer Nichtverlängerung, wie jetzt, muss ja außerdem ein Nachfolger gefunden werden. Bis Ende 2018 hat die Stadt dafür Zeit. Erste Bewerbungen, heißt es, seien bereits eingegangen.

Wer es nicht mitbekommen hat: Die CSU hat keine Lust mehr auf Lilienthal, weil sie mit dessen Verständnis von Theater nicht zurecht kommt. Seit der Berliner 2015 die Kammerspiele übernommen hat, gibt es Debatten darüber, ob das, was Lilienthal macht - Öffnung für junge Leute und Flüchtlinge, Popkonzerte und Performance - gut ist. Besser gesagt: Ob es zu den traditionsreichen Kammerspielen passt. Die CSU vermisst das klassische Sprechtheater und trauert Schauspielerinnen wie Brigitte Hobmeier und Anna Drexler nach, die das Theater verließen. Eine Auslastung von zuletzt 63 Prozent deuten sie als Beleg für mangelnden Erfolg. Den der SZ gegenüber formulierten Vorwurf, die Kammerspiele stünden finanziell mies da, verbittet sich Lilienthal: "Die vergangene Spielzeit 2016/2017 haben die Münchner Kammerspiele trotz eines Rückgangs der Besucherzahlen mit einem Jahresüberschuss in Höhe von mehr als 300 000 Euro abgeschlossen." Sollte die CSU nicht aufhören, von einer "finanziellen Misere" zu sprechen, will Lilienthal klagen.

Auf Nachfrage, auf welchen Zahlen das Argument der finanziellen Probleme basiere, heißt es von der CSU, man wolle sich nun, da die Kammerspiele mit Unterlassungsklage drohen, erst mal nicht äußern.

Und die SPD? Wirkt in der ganzen Sache überfahren. OB Dieter Reiter sagt, er hätte Lilienthal mehr Zeit gewünscht, seine Ideen umzusetzen. Kulturreferent Hans-Georg Küppers, der Lilienthal einst geholt hatte, lobt die Öffnung der Kammerspiele durch Lilienthal und bedauert dessen Entscheidung, das Theater zu verlassen. Mehr zu den Vorgängen im Rathaus möchte er nicht sagen.

"Ich halte es nicht wirklich für den Entschluss von Lilienthal", sagt Florian Roth von den Grünen und Lilienthal-Verfechter. "Bevor er vom Hof geprügelt wird, geht er halt freiwillig." Roth ist überzeugt, dass er persönlich eine Mehrheit für Lilienthal zusammengetragen hätte, wäre es zu einer Abstimmung gekommen. Was in der großen Koalition, die München regiert, schwierig, aber nicht vollständig ausgeschlossen gewesen wäre. Die Grünen wollen jetzt, per Dringlichkeitsantrag, in der nächsten Sitzung des Kulturausschusses über die Nicht-Verlängerung sprechen.

Lilienthals Entschluss, das Theater 2020 zu verlassen, war wohl der Versuch, selbst über seine Zukunft zu entscheiden und sich nicht nach Streits und Debatten von einer nach Mehrheit suchenden SPD durchboxen zu lassen. Darauf hätte er es ja ankommen lassen können.

Münchner Kulturschaffende empören sich derweil in den sozialen Medien. Veranstalter Till Hofmann schreibt auf Facebook: "Jetzt auf halber Strecke Lilienthals Verdienst, nämlich auch polarisierendes, politisches Theater machen, zu killen und eine Sprechtheater Teilbiederkeit wiederherzustellen, ist einer Großstadt mit fast 50 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund nicht angemessen." Lilienthal verhandle genau "die Theaterformen und Themen, die einfach wesentlicher und relevanter sind als konventionelles Stadttheater".

Auf Twitter redet man von einem Armutszeugnis für München, eine Stadt, die zwar immer wieder betone, nicht so provinziell zu sein wie ihr Ruf, aber ja wohl keine Ahnung von modernem Theater habe. Überhaupt: Warum hätte das vergrämte Stammpublikum mehr das Recht, von einem Theater abgeholt zu werden, als jene jungen Menschen und eben auch Flüchtlinge, die jetzt kommen? Ein Stadttheater sei erst mal für alle da. So sehen das auch Matthias Lilienthal und seine Anhänger. Über all dieser Aufregung könnte man beinahe vergessen, dass erst Halbzeit ist für Lilienthal. Dass ihm und seinem Team noch zweieinhalb Jahre bleiben, Theater zu machen.

Das Ensemble der Kammerspiele wandte sich am Donnerstag deshalb mit einem offenen Brief an sein Publikum: "Man könnte meinen, es gäbe uns in diesem Moment schon nicht mehr. Doch das Gegenteil ist der Fall. Wir werden weder zu diesem Zeitpunkt noch darüber hinaus, aufhören zu probieren, zu experimentieren und die Begegnung mit Ihnen zu suchen. Das ist unsere Leidenschaft und unsere Berufung." Unterzeichnet ist der Brief von allen 20 Schauspielern des Ensembles, darunter Annette Paulmann, Walter Hess und Wiebke Puls, die schon zu Frank Baumbauers Zeiten dabei waren - und von den Neuen wie Thomas Hauser, Julia Riedler und Samouil Stoyanov, die jetzt das Theater maßgeblich prägen. Sie appellieren an das Publikum, Vertrauen zu haben und weiterhin neugierig zu bleiben, und sie erinnern auch daran, dass die Kammerspiele immer schon ein Haus der Erneuerung waren. "Jedes neue künstlerische Team brauchte Zeit, eine gemeinsame Sprache zu finden. Jeder Neuanfang braucht auch Zeit, sich in dieser Sprache dem Publikum verständlich zu machen. Das Neue ist kein Fertigprodukt, das sich bestellen und umgehend konsumieren lässt. Es will gefunden werden."

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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