Süddeutsche Zeitung

Streit um Arbeitszeit:Notruf von der Feuerwehr

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Von Ekkehard Müller-Jentsch, München

"Wir sind die, die mit den roten Autos rausfahren und ins Feuer gehen", sagt der Brandinspektor. "Also keine Verwaltungsbeamten." Seine Kollegen auf den Stühlen neben ihm nicken dazu. "Und wir fühlen uns verarscht." Wieder nicken die anderen.

Sechs Münchner Feuerwehrleute kämpften am Mittwoch vor dem Verwaltungsgericht in eigener Sache: Sie wollen einen Ausgleich für viel zu lange Arbeitszeiten, die ihnen und insgesamt 1700 Berufsfeuerwehrleuten jahrelang abgefordert worden seien.

Die Rede ist nicht von Überstunden, sondern von Dienstplänen, die es so nicht hätte geben dürfen. Laut dem Europäischen Gerichtshof ist die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt. Tatsächlich waren die Feuerwehrleute aber 55 oder 56 Stunden die Woche im Einsatz.

Für die Stadtkasse geht es bei dem Verfahren daher nun um viel Geld - für die Feuerwehrleute aber auch, teilweise um mehr als 30 000 Euro pro Mann.

"Wir spielen hier nicht Monopoly."

Dass ein finanzieller Ausgleich bezahlt werden muss, ist Konsens. Nicht aber, wie dieser zu berechnen ist. Und das ist das Problem, das die Beamtenkammer des Verwaltungsgerichts in dem Verfahren aufdröseln soll.

Für die drei Berufs- und zwei Laienrichter ist das eine Sisyphusarbeit. In dem Verfahren geht es um die Zeit zwischen 2001 und 2007.

Klägeranwalt Christian Hofstätter bringt es aus seiner Sicht so auf den Punkt: Die Stadt habe so lange immer neue undurchschaubare Berechnungssysteme ausgetüftelt, bis sie die für sich günstigste Lösung gefunden habe. Diese sei aus Sicht der Kläger aber ungerecht.

Das zeige sich schon daran, dass zwei von der Stadt bereits ausgezahlte Tranchen für die Mehrarbeit nach unterschiedlichen Modellen berechnet worden seien. Hofstätter pocht für seine Mandanten auf eine pauschale Abrechnung, die das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzverfahren vor einiger Zeit vorgegeben hatte.

Die Stadt will dagegen die "spitze" Berechnung anhand von alten Dienstplänen durchsetzen. Sie verteidigt ihre Berechnungen als gerecht. Die Kläger dagegen sagen, dass schon alte Computerprogramme zur Zeiterfassung jahrelang nicht vernünftig funktioniert hätten. Die Differenz zwischen den Berechnungen beider Seiten macht mindestens vier Millionen Euro aus.

Doch auch wenn eine finanzielle Einigung gelingen sollte, ist das grundsätzliche Thema der Überlastung nicht aus der Welt. In einer Verhandlungspause erzählen die Kläger, dass in München derzeit mindestens 200 Einsatzkräfte fehlen. Auf je 1000 Einwohner solle ein Feuerwehrmann kommen.

Derzeit könnten vorhandene Einsatzfahrzeuge teilweise schon nicht mehr besetzt werden - es seien sogar einige der roten Autos abgemeldet worden, weil niemand zum Fahren da sei.

Darum geht es vor Gericht nicht, doch auch hier wächst das Unverständnis über das Gebaren des Arbeitgebers. Der Vorsitzende Dietmar Zwerger bringt den Frust über kaum nachzuvollziehende Zahlenwerke schließlich auf den Punkt: "Ich muss mich zurückhalten", sagt er zu den Vertretern der Stadt. "Sie wollen die Sache wirklich entschieden haben?"

Zuvor wurde über mehr oder weniger willkürlich auf- und abgerundete Zahlen diskutiert, über falsche Fachbegriffe, es tauchten ungewöhnliche Multiplikatoren in den Berechnungen auf - wie etwa der "Stadtrats-Faktor 2,96", den sich sogar die Vertreter der Stadt von ihrem großen Helferstab im Hintergrund erklären lassen mussten.

Zudem wird in Papieren der Stadt mit unterschiedlichen Zahlen operiert - auch in der Stadtratsvorlage zu diesem Thema. "Wir spielen hier nicht Monopoly", sagt der Vorsitzende. "Wir müssen Willkür prüfen."

Die Verhandlung zog sich am Dienstag lange hin. Ein Ergebnis wurde noch nicht verkündet.

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SZ vom 24.06.2015
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