Streit um Bolzplatz im Glockenbachviertel:Wohnraum oder Freiraum

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München platzt aus allen Nähten: Nun entzweit die Debatte um einen 160 Quadratmeter großen Bolzplatz im Glockenbachviertel den Stadtrat. Der Fall ist nur einer von vielen Auswüchsen, die der Verteilungskampf hervorbringt.

Dominik Hutter und Michael Tibudd

Der Bolzplatz der Glockenbachwerkstatt ist nicht nur für Kinder ein Ort der Begegnung: die Sportfreunde Stiller bei einer Kundgebung im Herbst. (Foto: Catherina Hess)

Wie man ein Dilemma auflöst, zu dieser Frage ist ein interessanter Lösungsansatz zu hören an diesem Dienstagnachmittag. "Wir wollen beides", sagt Thomas Filser, Chef der Glockenbachwerkstatt. "Wohnraum und Freiraum, beides ist möglich", ruft er, und in diesem Moment, an diesem Ort, will ihm niemand widersprechen. Einige hundert Menschen drängen sich auf den 160 Quadratmetern Bolzplatz, um den herum in den vergangenen Tagen eine Grundsatzdebatte über die Zukunft des Lebens in der Innenstadt entbrannt ist.

Sie demonstrieren, wie am Tag zuvor, gegen Pläne der Stadt, die an dieser Stelle - ausgerechnet hier - bezahlbaren Wohnraum schaffen will. Wie am Tag zuvor haben sie dabei Unterstützung von einiger Prominenz: Dieter Hildebrandt liest einen Text zur Bedeutung des Fußballs, auch der Rapper Kung Schu von Blumentopf hat ein paar Zeilen rund ums Kicken hervorgekramt, die Sportfreunde Stiller geben ein kleines Solidaritätskonzert. Die Leute werden bei Laune gehalten, und viele Plakate fassen den Tenor dessen zusammen, worum es unter der strahlenden Oktobersonne geht: "Unser Bolzplatz muss bleiben."

Am Donnerstag wird die Debatte dann in geschlossene Räume verlegt - genauer: in den Kleinen Sitzungssaal des Rathauses, in dem der Kommunalausschuss tagt. Im Stadtrat haben die unerwartet heftigen Proteste durchaus Eindruck gemacht, CSU, Grüne und FDP haben sich bereits offen auf die Seite der Bolzplatz-Fans geschlagen. Das gefällt nicht jedem. Alexander Reissl, der Fraktionschef der SPD, bemängelt, dass seine Kollegen nach dem Motto agieren: "Wer am lautesten schreit, hat Recht." Dabei repräsentierten die Demonstranten lediglich einen Teil der Bürgerschaft. Diejenigen, die dringend eine bezahlbare Wohnung suchen, blieben auf der Strecke. "Die tauchen ja logischerweise erst auf, wenn alles fertig ist."

Reissl ärgert sich darüber, dass die Politik bei jedem Proteststurm sofort einknicke, ohne die weiteren Folgen zu bedenken. Zum Beispiel die für den überhitzten Münchner Wohnungsmarkt. Der SPD-Mann fragt sich inzwischen, wie dem Problem des Wohnungsmangels jemals beizukommen ist, wenn jedes Neubauprojekt sofort und mit Erfolg aus der Nachbarschaft heraus bekämpft wird. Immerhin gehe es an der Müllerstraße nicht um Luxus-Suiten, sondern um Sozialwohnungen. "Also die Wohnungen, die besonders dringend benötigt werden."

CSU-Fraktionschef Josef Schmid sieht das völlig anders: "Wir werden das Münchner Wohnungsproblem nicht dadurch lösen, dass wir an dieser Stelle drei oder vier Wohnungen mehr bauen." Es sei undenkbar, wenn in einem dicht bebauten Innenstadtviertel und auch noch auf öffentlichem Grund die letzten Freiflächen für Kinder und Jugendliche verschwinden.

Die CSU will am Donnerstag im Kommunalausschuss erreichen, dass der Bolzplatz erhalten bleibt oder zumindest in den Neubau integriert wird. Letzteres wäre vermutlich ein schwieriges Unterfangen. Eine Art Turnhalle gilt im Kommunalreferat wegen der zwangsläufig anfallenden Unterhaltskosten als unrealistisch. Bliebe die Möglichkeit, das neue Gebäude drumherum zu bauen. Kommunalreferent Axel Markwardt schätzt, dass ein Verzicht aufs vollständige Ausschöpfen des Baurechts rund 320 Quadratmeter Wohnfläche kostet.

Die Grünen, die ebenfalls einen Antrag pro Bolzplatz einreichen wollen, schlagen deshalb vor, das Gebäude einfach etwas größer zu bauen - zu Lasten der Corneliusstraße, die an dieser Stelle ohnehin überbreit ist. "Mit etwas Gehirnschmalz kommt man häufig weiter", empfiehlt die grüne OB-Kandidatin Sabine Nallinger, die sehr optimistisch ist, dass beides geht: 20 neue Sozialwohnungen plus der Fortbestand des Bolzplatzes für die Glockenbachwerkstatt.

Auch die SPD will einen Erhalt des Bolzplatzes zumindest prüfen lassen. Die Verwaltung möge einmal im Detail ausarbeiten, wie viele Wohnungen eigentlich geopfert werden müssten und wie ein Neubau in beiden Varianten aussehen könnte. Denn eines wird, nicht zuletzt unter dem Eindruck einer Scherz-Simulation im Internet, gerne vergessen: Es gibt noch gar keine konkreten Pläne für die Neubauten an der Müllerstraße 2 bis 6.

Reissl geht aber davon aus, dass bei einer Prüfung durch die Behörden noch etwas anderes herauskommt: Dass nämlich ein Bolzplatz an dieser Stelle gar nicht existieren darf. Denn aus Lärmschutzgründen, so betont der SPD-Politiker, müssten Bolzplätze eigentlich mindestens 70 Meter vom nächsten Wohnhaus entfernt sein. "Da genügt dann ein Anwohner, der sich beschwert", warnt Reissl - und schon hätte man sich die ganze Debatte um den Bolzplatz sparen können. Denn dann dürften auf dem asphaltierten Innenhof nur noch ein paar Spielgeräte für die Kleineren aufgestellt werden. "Das kann der Stadtrat gar nicht abwägen."

Der Begriff Bolzplatz sei an dieser Stelle eigentlich verfehlt. Die FDP, bei der die Spielfläche "hohe Priorität" genießt, hat noch andere Einwände gegen die Pläne des Kommunalreferats. Warum eigentlich, so finden die Liberalen, sollen dort Sozialwohnungen "im unteren Segment" errichtet werden? Fraktionschef Michael Mattar würde Wohnungen nach dem ebenfalls geförderten München-Modell bevorzugen - damit sich auch Normalverdiener noch die Innenstadt leisten könnten. Sozialwohnungen sind dagegen Geringverdienern vorbehalten.

Das Hickhack um den Bolzplatz zeigt, in welchem Ausmaß sich die Verteilungskämpfe in einer zunehmend aus allen Nähten platzenden Stadt zuspitzen. Gestritten wird inzwischen an vielen Fronten: Es geht um Wohnhäuser versus Spielplätze - wahlweise, wie in den Gartenstädten, auch Wohnhäuser versus Grünflächen. In Schwabing tobte im vergangenen Jahr ein Streit um den Erhalt der Kneipe "Schwabinger Sieben", die einem Neubaukomplex weichen musste. Und auf der Straße ist noch längst nicht entschieden, wie viel Platz die Autofahrer für die stetig wachsende Radfahrer-Armada herausrücken müssen.

© SZ vom 17.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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