Süddeutsche Zeitung

Streit über Messwerte:Diesel-Debatte: München mogelt nicht

Der Stadtrat lehnt den Vorschlag ab, schlechte Stickstoffdioxid-Werte einfach durch die Wahl neuer Standorte für die Messstellen zu verbessern.

Von Dominik Hutter

Es war wohl der Traum einiger Stadträte: dass sich das Problem mit dem Stickstoffdioxid lösen lässt, indem man einfach die Messstellen versetzt. An Stellen, die weiter von den Fahrbahnen entfernt sind und daher eine niedrigere Belastung erwarten lassen. Daran allerdings wollte die große Mehrheit des Stadtrats nicht mitwirken - die Vollversammlung schmetterte am Mittwoch einen Antrag von FDP und Hut ab, den Freistaat zum Umzug der derzeit noch an Stachus und Landshuter Allee aufgestellten Container zu bewegen.

Nach Einschätzung von Umweltreferentin Stephanie Jacobs gibt es ohnehin keine seriösen Zweifel an den Standorten. "Nach unserer Auffassung entsprechen die strittigen Messstellen den gesetzlichen Vorschriften", sagte die Behördenchefin in der kürzlich wieder aufgeflammten Debatte über die Standort-Kriterien. Auch das zuständige Landesamt für Umwelt hat bereits bekräftigt, dass an den Gerüchten nichts dran sei.

Die Messwerte bleiben also wohl noch länger hoch - zu hoch, um die Grenzwerte der EU einzuhalten. Was eine Kommune nicht einfach ignorieren dürfe, davon zeigte sich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Stadtratsplenum überzeugt: "Mir ist wichtig, dass sich etwas ändern muss." Beim nächsten Diesel-Gipfel auf Bundesebene müsse daher endlich auch die Automobilindustrie mit am Tisch sitzen, die bei Nachrüstungen in der Pflicht sei. "Ich will keine Fahrverbote", sagte Reiter. Verhindern könne sie letztlich nur die Automobilindustrie. Sollte es aber doch zu Zufahrtssperren kommen, biete die blaue Plakette die "einzige Möglichkeit, Fahrverbote so zu gestalten, dass nur die draußen bleiben, die einen alten Diesel fahren".

Die Plakette aber kann nur Berlin einführen - und so sprach sich der Stadtrat mit großer Mehrheit dafür aus, erst einmal abzuwarten, bis alle Details zum Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vorliegen. Dann aber will das Rathaus auf Initiative der Grünen einen Vertreter der für den Luftreinhalteplan zuständigen Staatsregierung einladen, der einmal darstellen soll, wie sich die Landesebene das weitere Vorgehen vorstellt. Der Stadtrat hat sich bereits festgelegt: Nein zur Sperrung einzelner Straßen, Ja zu einer Verschärfung der Umweltzone. Und das möglichst plus blauer Plakette, damit auch die Kontrollen funktionieren.

Eigenmächtig vorpreschen will der Stadtrat jedoch nicht - sehr zum Missfallen der Grünen. "Wer will, findet Wege. Wer nicht will, findet juristische Hintergründe", schimpfte Grünen-Fraktionschef Florian Roth, dem es viel zu langsam vorangeht. Seit dem Beschluss zur Verschärfung der Umweltzone gebe es im Stadtrat eine breite Mehrheit für Fahrverbote, "also drückt's euch nicht vor der Debatte mit den Dieselfahrern", appellierte er an die Kollegen. Das rot-schwarze Bündnis sei eine "Bremser-Koalition".

Richard Progl von der Bayernpartei verwies hingegen auf deutlich höhere Stickoxid-Grenzwerte in anderen Staaten. Es handle sich um eine "Schattendiskusion, an der man sich schön abarbeiten kann". Progl zog in Zweifel, dass wirklich alles so schlimm ist, wie es dargestellt werde. Die Grenzwerte seien unrealistisch. Aber eben geltendes Recht, konterte Reiter: "Ich finde meine Steuersätze auch blöd. Trotzdem halte ich mich daran." SPD-Fraktionschef Alexander Reissl erinnerte daran, dass man ja nicht das Rad neu erfinden müsse. Es gehe lediglich darum, ein bereits bewährtes Instrument weiterzuentwickeln: die Umweltzone.

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SZ vom 22.03.2018/sim/libo
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