Streik der Erzieherinnen:Großeltern im Schichtbetrieb

Mit einem unbefristeten Streik wollen Erzieher eine Aufwertung ihrer Arbeit durchsetzen. Obwohl den betroffenen Eltern anstrengende Tage bevorstehen, haben viele Verständnis

Von Melanie Staudinger und Wiebke Harms

Nala freut sich schon auf den Kita-Streik. Dann kann sie wieder in Ruhe mit ihrer Oma sprechen, so wie vor zwei Wochen, als die Erzieher einen Tag lang streikten. Zwei Stunden lang haben Enkelin und Großmutter via Skype geplaudert und Nala hat stolz ihre Ostergeschenke in die Kamera gehalten. "Hinterher wusste Nala besser als ich, was in der Familie los ist", sagt ihre Mutter Anja Lindner. Die Videokonferenz zwischen der Oma in Berlin und der Vierjährigen in München ist aus der Not heraus entstanden: Lindner konnte am Streiktag zwar von Zuhause arbeiten, doch hatte sie zwischendurch eine Besprechung am Telefon, für die sie Ruhe brauchte. Darum setzte sie ihre Tochter kurzerhand vors iPad und rief ihre Mutter per Videotelefonie an. "Das hat so gut geklappt, dass wir das nächste Telefonat mit Oma auf die Streiktage verschoben haben", sagt Lindner. Die stehen nun an.

Die Urabstimmung bei den Gewerkschaften Verdi, Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem Beamtenbund haben ein klares Votum gebracht: Die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst haben sich mit jeweils mehr als 90 Prozent für einen unbefristeten Ausstand entschieden, um eine Aufwertung ihrer Berufe und damit mehr Lohn zu erreichen. Bundesweit soll von Freitag an gestreikt werden, in München beginnt der Ausstand am kommenden Montag. Sozialdienste werden ihr Angebot einschränken müssen, Jugendtreffs und die Behindertenarbeit ebenso. Am stärksten betroffen aber sind Eltern, die ihre Kinder in einer kommunalen Kindertagesstätte haben. Sie brauchen Alternativen.

Seit vergangener Woche schon informieren die städtischen Einrichtungen in München die Familien. Väter und Mütter bekamen einen Brief in die Hand gedrückt mit der Überschrift "Wichtige Vorabinformation zum Thema Streik". Die Kitas schreiben darin, ob sie sich an einem möglichen Ausstand beteiligen werden, ob es eine Notfallbetreuung geben wird und wenn ja, wie viele Kinder dort aufgenommen werden können. Die Krippe an der Robert-Koch-Straße etwa wäre bereit, bis zu 30 der 71 Kinder zu betreuen - vorrangig die von Alleinerziehenden oder wenn beide Eltern arbeiten. Die Erzieher bitten die Familien, das Angebot nur in Anspruch zu nehmen, wenn sie gar keine andere Möglichkeit haben: "Helfen Sie sich untereinander aus."

Streiks in Kindertagesstätten - Halle (Saale)

Den letzten großen Kitastreik gab es in Deutschland vor sechs Jahren, von Montag an bleiben viele Einrichtungen wieder geschlossen.

(Foto: dpa)

Die Eltern stehen im Fokus der Streikplanungen. Nicht nur einmal hat Heinrich Birner, Verdi-Geschäftsführer für München und Region, betont, dass die Familien so wenig wie möglich belastet werden sollen. Verdi hat früh informiert - dass Streiks schon Tage vorher angekündigt werden, ist eher unüblich. Und Verdi will Lösungen für Härtefälle suchen; kein Kind soll auf der Straße stehen. Die Gewerkschaft hat der Stadt zugesagt, dass etwa 40 Gruppen mit 1000 Plätze auf jeden Fall geöffnet sein werden - für diejenigen, die versichern, dass sich trotz aller Bemühungen keine Betreuung organisieren ließ. "Die Verantwortung für diese Eskalation tragen die kommunalen Arbeitgeber", sagt Birner.

Die Arbeitgeber sehen die Schuld hingegen bei den Gewerkschaften, die keine Verhandlungsbereitschaft gezeigt hätten. Nach Ansicht von Personalreferent Thomas Böhle trifft der Streik weniger die Stadt als die Eltern. "Er tut hauptsächlich den Eltern weh, er tut deren Arbeitgebern weh, die auf ihre Mitarbeiter verzichten müssen, weil diese zu Hause ihre Kinder betreuen", sagt der Mann, der auch Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber ist. Die Stadt müsse zwar den Zorn der Familien aushalten, finanziell aber sei sie kaum betroffen: Die Gewerkschaften übernehmen die Gehälter der streikenden Mitglieder, Kita-Beiträge werden erst ab fünf Tagen zurückerstattet.

Der Zorn der Eltern - darauf setzen die Gewerkschaften. Und vor allem auf den politischen Druck, der davon ausgehen könnte. Tatsächlich unterstützen viele Betroffene die Erzieher. Sie seien zwar nicht erfreut über den Ausstand, schreiben Egbert und Ursula Heller aus München in einem Leserbrief. Die Erziehung ihres Kindes dürfe aber nicht am Geld scheitern. Auch Christoph Berger aus München hat Verständnis für den Streik. Obwohl ein unbefristeter Ausstand seiner Familie Probleme bereitet. "Ein paar Tage können wir überbrücken. Aber eine Woche wäre schwierig", sagt der Vater, dessen Tochter erst seit zwei Monaten in die Kita geht. Sie ist zwei Jahre alt, darum sei es kaum möglich, einen Babysitter zu engagieren. Berger und seine Frau arbeiten beide Vollzeit. Sie sind auf die Hilfe von Freunden und Verwandten angewiesen.

Notfallplan

Seit einer Woche schon plant das Bildungsreferat einen Notfallplan für den Erzieher- Streik. "Wir gehen derzeit davon aus, dass die Beschäftigten für mindestens 14 Tage in den Ausstand treten", sagt Susanne Hermann, Leiterin der Abteilung Kita. Etwa die Hälfte aller 420 Kindertagesstätten in München könnte geschlossen bleiben. Mitarbeiter aus diesen Einrichtungen, die arbeiten wollten, würden in anderen Kitas eingesetzt.

Verdi und die Stadt haben darüberhinaus vereinbart, dass 40 Notfallgruppen geschaffen werden - allerdings nur für Drei- bis Sechsjährige. Krippenkinder seien zu klein, um von für sie fremden Personen betreut zu werden. Schulkinder könnten nicht in einen anderen Hort geschickt werden, weil der Weg dorthin unbekannt sei. Die Grundschulen haben aber eine Betreuung bis 13 Uhr zugesichert. Schulen, die im Programm "Innovative Projektschule" teilnehmen, haben bis 15.30 Uhr geöffnet. Eltern, die einen Härtefallplatz wollen, müssen sich schriftlich bei der Kita-Leitung melden. "Wenn der Bedarf höher ist, wovon wir ausgehen, entscheidet das Los", sagt Herrmann. In Einzelfällen könnten Kinder an Nachbareinrichtungen vermittelt werden, wenn dort Platz sei. Eltern können zudem darauf hoffen, dass sie die Kita-Gebühren zumindest teilweise erstattet bekommen: Dauert der Streik mindestens fünf aufeinanderfolgende Besuchstage, gibt es ein Viertel der monatlichen Gebühren zurück, bei zehn Tagen oder mehr die Hälfte und bei 15 Tagen oder mehr 75 Prozent. Auf Anregung von Bürgermeisterin Christine Strobl will das Bildungsreferat prüfen, ob ein Erlass auch taggenau möglich sei. mest

Marion Bauer, ebenfalls aus München, bezeichnet ihre Situation als Katastrophe. "Wir haben keine Idee, wie wir unsere Kinder unterbringen sollen", schreibt sie. Dennoch könne es nicht sein, dass sich eine Erzieherin nach fünf Jahren Ausbildung einen Nebenjob suchen müsse, um in einer Stadt wie München überhaupt wohnen zu können. Es gibt aber auch kritische Stimmen. Marion Linn erklärt etwa: "Das Anliegen ist verständlich, aber die Methoden gehen am Ziel vorbei." Bisher habe sie keine Unterstützung von der Stadt erhalten. Sie habe eher das Gefühl, dass die Stadt die Situation aussitzen wolle.

"Es geht in die Vollen", sagt Birgit Grabmaier. "In der einen Woche kommt man nicht zur Arbeit, weil die Bahn streikt. In der nächste Woche streiken die Kitas." Für Grabmaier bedeutet das: planen und organisieren. Ihre Ersatzbetreuung gleicht einem Flickenteppich aus flexiblen Arbeitszeiten, Heimarbeit, Freunden und Großeltern. "Wir führen ein Zweischichtsystem ein", sagt sie. Morgens passt Oma auf, mittags löst Opa sie ab. Beide sind älter als 70 Jahre, mehrere Tage hintereinander quer durch München zu fahren und auf ihren Enkel aufzupassen, strengt sie an. Grabmaier überlegt darum, sich mit anderen Eltern zusammenzuschließen. Bekannte hätten beispielsweise an vergangenen Streiktagen einen Zoobesuch mit mehreren Kindern organisiert. Urlaub will Grabmaier während des Streiks möglichst nicht nehmen. "Den muss ich mir für die normalen Schließzeiten aufheben", sagt die Mutter.

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