Street Art in München:"Wir Sprayer haben es weit gebracht"

Früher waren Graffiti als illegale Schmierereien verpönt. Doch inzwischen ist Street Art gesellschaftsfähig geworden und hat sogar Einzug in Museen und auf Messen gehalten. Ein Besuch bei Sprayern.

Beate Wild

Ab und zu rückt die Polizei an. Wenn sich Z-Rok an einer Brückenunterführung mit seinen Dosen zu schaffen macht, denken ein paar wachsame Bürger gleich, hier passiere Unerlaubtes. Graffiti und illegal, das gehört für viele immer noch zusammen. Sehen sie einen Sprayer in Aktion, sind sie sofort alarmiert und greifen zum Handy.

Graffiti Unterführung Friedensengel

Graffiti Unterführung Friedensengel Künstler: Loomit und Sprayer-Kollegen

(Foto: Beate Wild)

"Dann schaut halt mal wieder eine Streife vorbei, die kennen uns ja mittlerweile schon", lacht Z-Rok, der im wirklichen Leben Wolfgang Lehnerer heißt. Wenn der 44-Jährige mit seinen Kollegen beispielsweise die Brudermühlbrücke besprüht, ist das aber längst keine Straftat mehr, sondern eine von der Stadt München genehmigte Kunstaktion.

Z-Rok sprüht schon lange nicht mehr illegal. Als freischaffender Künstler macht er heute Ausstellungen, Auftragsarbeiten, gibt Kunstunterricht in Münchner Schulen und betreut Jugendliche im vom Kreisjugendring geförderten Graffiti-Atelier "Die Färberei".

Street Art findet schon lange nicht mehr nur auf der Straße statt, sondern hat Einzug in Museen und Ausstellungen gehalten. Gearbeitet wird nicht mehr nur mit der Sprühdose, sondern mit anderen Techniken und Materialien, wie etwa Acrylfarben. Am Donnerstag eröffnet in München bereits zum dritten Mal die Stroke, eine Kunstmesse für Urban Art. Grund genug, sich in der aktuellen Münchner Street Art Szene einmal umzuschauen.

Z-Rok sitzt lässig auf einem Zeichentisch im Atelier der Färberei in Untergiesing. Im Hintergrund läuft HipHop, an den Wänden lehnen überall bunte Bilder, es riecht nach Acrylfarbe. "Da sieht man, wie weit wir Sprayer es gebracht haben", sagt er nicht ohne ein Grinsen. "Erst haben wir uns den öffentlichen Raum geholt, jetzt wollen wir auch in anderen Bereichen kreativ sein."

Im vergangenen Jahr hatte er mehrere Ausstellungen: eine davon im Haus der Kunst in München, eine im Kallmann Museum in Ismaning und gleich mehrere in der Färberei. Demnächst soll er das Firmengelände von Siemens in Neuperlach verschönern. Es ist völlig normal geworden, sich eine große leere Wand von einem Urban-Art-Künstler verzieren zu lassen. Auch die Stadt München weiß das. Oft bekommt Z-Rok Aufträge für Kindergärten, Krankenhäusern, Jugendzentren.

"Mein Terminkalender ist voll"

"Mittlerweile ist bekannt, dass schöne Graffiti der beste Schutz vor Schmierereien sind", sagt der 44-Jährige. Er selbst kam 1983 zur Kunst aus der Dose. Damals schwappte der Street-Art-Trend aus den USA nach Deutschland. In den achtziger Jahren formierte sich in München eine beachtliche Sprayer-Szene.

Obwohl Urban Art heute längst im Mainstream angekommen ist, gibt es immer noch genug Ärger mit illegalen Schmierereien. Graffiti verursachen deutschlandweit jedes Jahr Schäden in Höhe bis zu 500 Millionen Euro, wobei die exakte Höhe schwer zu beziffern ist. Oft wird der monetäre Schaden viel zu hoch angesetzt, denn in vielen Fällen können die Malereien durch Abwaschen entfernt werden. Aber es gibt auch Kommunen, die ganz anders mit Street Art umgehen: Die Stadt Aachen hat jüngst illegal entstandene Graffiti des Sprayers Klaus Paier unter Denkmalschutz gestellt.

Beschäftigt man sich mit Street Art in München, kommt man an einem Namen auf keinen Fall vorbei: Loomit aka Mathias Köhler ist einer von Deutschlands bekanntesten Sprayern. In seinem Atelier, das sich im hinteren Bereich der Kulturfabrik am Ostbahnhof befindet, türmen sich tausende Spraydosen in allen möglichen Farben. Überall hängen alte Schulkarten, die er derzeit für eine Ausstellung bemalt. Eine Strähne seiner schulterlangen Haare fällt ihm immer wieder ins Gesicht, energisch streicht er sie zurück. Seine grünen Augen blicken wachsam. Wenn er vom Sprayen erzählt, gerät er regelrecht ins Schwärmen.

Begeistert erzählt er von seinen Reisen, wie etwa im vergangenen Jahr nach Shanghai. Erst hat er bei der Gestaltung des deutschen Expo-Pavillions mitgewirkt, dann hat er auf eigene Faust zum Pinsel gegriffen und die tristen Wände und Mauern in einem Armenviertel von Shanghai verschönert. "Die Chinesen waren begeistert, die haben so etwas noch nie zuvor gesehen", erzählt er. Klar gab es auch Ärger mit den Behörden, aber schließlich durften die Bilder bleiben, weil sich die Anwohner weigerten, diese wieder zu übermalen.

Schal um die Ampel, Plüschtiere auf dem Baum

Im Herbst plant er eine ähnliche Aktion in Delhi, Indien. Dass er bereits 1993 das private Badezimmer von Oberbürgermeister Christian Ude mit seinen Graffiti geschmückt hat, ist für Loomit nur Nebensache. "Ja, das stimmt", sagt er nur lapidar, wenn man ihn darauf anspricht. Für ihn eine Auftragsarbeit, wie jede andere auch.

In diesem Jahr hatte Köhler schon mehrere Ausstellungen, die wichtigste war wohl die im "Museum Of Contemporary Art" in Los Angeles. Kürzlich hat er die Werbekampagne für den neuen Opel Corsa entworfen, er gibt Kunstunterricht an Münchner Schulen, hält Kurse an der Volkshochschule München und besprüht im Auftrag der Stadtwerke deren Gebäude. Aktuell bemalt er zusammen mit anderen Sprayern die Unterführung unterm Friedensengel. Am 10. Juni wird er diese Freiluft-Exposition im Rahmen eines Festakts eröffnen. "Mein Terminkalender ist voll", sagt Loomit. Wie sein Kollege Z-Rok hat er 1983 mit dem Sprayen angefangen, mittlerweile ist er ein weltweit gefragter Künstler geworden.

Und was ist aus der ursprünglichen Idee von Graffiti geworden? "Die ursprüngliche Definition von Street Art ist, dass sie im öffentlichen Raum stattfindet und 24 Stunden durchgehend zugänglich ist", sagt der 42-Jährige ernst. "In einer Ausstellung ist das nicht der Fall. Aber unser Hauptanliegen ist, Kunst zu schaffen. Da ist das mit der Definition keine so einfache Sache."

Sein Kollege Z-Rok sieht das Ganze pragmatischer. "Hauptsache, es zaubert den Leuten ein Lächeln ins Gesicht", sagt er und nennt auch gleich ein paar Beispiele, wie sich Street Art in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. Nachdem vor einiger Zeit vor allem Schablonen-Bilder nach dem Vorbild des britischen Künstlers Banksy, Aufkleber und Kacheln im öffentlichen Raum präsent waren, ist der neue Trend Selbstgestricktes.

Die Leute stricken eine Mütze für einen Poller oder einen Schal für einen Ampelmasten. Strick-Guerilla nennt sich diese Bewegung. Damit wird der öffentliche Raum verschönert, ohne dass etwas beschädigt wird. "In der Humboldstraße war neulich ein Parkautomat komplett mit Wollfäden überzogen", erzählt Z-Rok. Oder Parkbänke im Englischen Garten, auf denen mit Strickware geschrieben steht: My home is my castle. "Bei so etwas bleiben die Leute stehen und freuen sich. Und das sollte schließlich das Ziel eines jeden Künstlers sein."

Mit seinen Kindern geht Z-Rok, der in Eichenau bei Fürstenfeldbruck wohnt, öfter mal in den Wald. Dann nimmt er einen Rucksack mit alten Plüschtieren, Puppen und anderem Deko-Zeug mit und verziert zusammen mit den Kindern die Bäume. "Anstatt nur spazieren zu gehen, kann man doch gleich etwas verschönern." Umwelt-Design, nennt das Z-Rok. Auch das ist Kunst im öffentlichen Raum.

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