Süddeutsche Zeitung

Kultur & Subventionen:Die Kunst des Straßenkampfs

In der Münchner Street-Art-Szene gärt es. Noch bevor das neue "Amuseum" eröffnet wurde, sah sich dessen Chef veranlasst, Hausverbote zu verschicken. Auch ein Stadtrat ist unerwünscht.

Von Susanne Hermanski und Jürgen Moises

Früher war die Street Art in München eine wilde Sache. In den frühen Achtzigerjahren jagte die bayerische Polizei die Sprayer noch nachts per Hubschrauber über die Felder, wenn sie sich wieder mal eine S-Bahn vornahmen, um ihre Botschaft weithin sichtbar durch die Lande zu schicken. Und heute? Da schicken sich Teile der Szene, vor allem jene, die um Deutungshoheit und die Kapitalisierung dieser besonderen Protest-Kultur ringen, grimmige Anwaltsbriefe hin und her.

Kurz zurück zum Anfang, der München eine Sonderstellung in dieser Kunst-Geschichte beschert: Loomit alias Mathias Köhler hat 1985 zusammen mit ein paar anderen Graffiti-Jungs einen Zug der S-Bahn-Linie S4 besprüht, den sogenannten Geltendorf Train. Das war der erste "Wholetrain" - also ein von vorne bis hinten besprühter Zug - in Europa. Die Burschen schrieben damit Graffiti-Geschichte. Und ihre Arbeit war derart schlagkräftig und kunstvoll, dass auch schon Politik und Verwaltung auf sie reagierten. Im selben Jahr, 1985, wies München an der Dachauer Straße bereits sein erstes legales Areal für Sprüher aus. Mit seinen riesigen Panzerhallen wurde der Ort bald zur größten europäischen "Hall of Fame".

In die Räume der Universitätsbuchhandlung ist nun der Verein Positive Propaganda eingezogen

Viele der wilden Kerle von damals sind also längst domestiziert, sie arbeiten als Grafiker, Art Direktoren und Bildende Künstler, ja Auftragskünstler. Längst haben es auch Generationen nach ihnen schon in die Museen geschafft. Ganze Galerien widmen sich nur dieser Kunst, die auf der Straße geboren wurde.

Am vergangenen Wochenende nun hat in diesem Zusammenhang in München eine neue Institution ihre Pforten geöffnet: das Amuseum. Jeder, der in München an der Ludwig-Maximilians-Universität studiert hat oder es noch tut, kennt die Location. In dem Institutsgebäude von sehr mäßigem Beton-Charme am Anfang der Schellingstraße, Hausnummer 3, befand sich jahrzehntelang eine der wichtigsten Universitätsbuchhandlungen. Nun ist dort die Farbe eingezogen. Sebastian Pohl und sein Verein Positive Propaganda, der schon viele andere Street-Art-Projekte in München umgesetzt hat, will dort ein Street-Art-Museum etablieren.

Bei freiem Eintritt können die Besucher gleich zum Auftakt Arbeiten von Shepard Fairey sehen, auch er ist eine Legende dieser Zunft. Bei der Eröffnung standen die Leute Schlange. Im Herzen des Uni-Viertels hat das Amuseum eine großartige Lage. Auch die LMU-Verwaltung hat das Projekt mit offenen Armen aufgenommen.

Im Hintergrund gibt es trotzdem Ärger um das Museum. Schon vor der Eröffnung ließ Pohl mehreren Personen per Anwaltschreiben Hausverbote zustellen. Zu diesen Personen gehört Martin Arz, der Autor des vom Freistaat prämierten Buchs "Streetart in München", mit dem Pohl schon früher juristische Auseinandersetzungen hatte. Der Galerist Tobias Sehr (MunichArt.de & Munich Art Gallery) und drei Mitglieder des Vereins zur Förderung urbaner Kunst e.V. (etwa dessen Geschäftsführerin Magdalena Waller) gehören ebenso dazu wie Stephanie und Christian Utz, das Gründerpaar des Museums of Urban and Contemporary Art, kurz "Muca" in der Hotterstraße. Die beiden betreiben auch das Kunstlabor 2 als Interimsprojekt zur Nutzung des ehemaligen Gesundheitshauses am Stiglmaierplatz mit Dutzenden von Street-Art-Künstlern gestalteten Räumen.

CSU-Stadtrat Leo Agerer war bei der Eröffnungsveranstaltung "unter keinen Umständen willkommen"

Auf die Frage, warum Pohl sie alle für das Amuseum mit Hausverboten belegte, antwortet sein Verein, ein Teil "dieser kleinen Gruppe von Leuten" versuche gezielt, die Arbeit des Kunstvereins zu behindern. Etwa durch Falschinformationen, die auf Social Media verbreitet würden oder "unsachliche Brandbriefe" an die Politik und Verwaltung. Man ahnt es: Die Gegenseite sieht das ihrerseits ähnlich. Pohls Unmut hat sich aber auch einer der Stadträte zugezogen: Leo Agerer (CSU) wollte sich für die nichtöffentliche Eröffnungsveranstaltung am Freitag, 4. November, als Begleitperson eines geladenen Gastes anmelden. Pohl hat das schriftlich abgelehnt mit der Begründung, Agerer sei "Sprachrohr geistiger Brandstifter:innen" und daher "unter keinen Umständen willkommen".

Agerer hatte im Stadtrat Bedenken hinsichtlich der Fördersumme angemeldet, die der Verein Positive Propaganda seit Jahren erhält. Er gehört zu jenen Institutionen, die nicht nur für einzelne Projekte, sondern insgesamt jährlich vonseiten der Stadt mit einer sechsstelligen Summe gefördert werden. Dass der Freistaat dem Verein nun die Räume in der Schellingstraße für 20 Jahre mietfrei zugesichert hat - das bestätigt das Kunstministerium - lässt sich zudem zu einer imposanten Fördersumme hochrechnen.

Allerdings hat "Positive Propaganda" im Gegenzug auch die Räume auf eigene Kosten saniert. "Das Objekt war Asbest-belastet und verfügte zum Zeitpunkt der Anmietung über gerade einmal eine funktionsfähige Steckdose", gibt Pohl zur Auskunft. Die Kosten habe der Kunstverein ausschließlich durch Spenden und ehrenamtliche Arbeit finanziert. Insgesamt lägen die im mittleren sechsstelligen Bereich.

Für den Streit hinter den Kulissen gibt es noch jede Menge weiteres Futter, etwa stößt manchen Beteiligten auf, dass Pohl das Amuseum als erstes Street Art Museum Mitteleuropa anpreist. Josef Schmid, Münchens ehemaliger CSU-Bürgermeister, der sich in seiner Amtszeit besonders stark gemacht hat für die Street Art in der Stadt, stöhnt auf angesichts der aktuellen Streitigkeiten. "Dass es zu solchen Kämpfen kommt, enttäuscht mich", sagt er. Doch unterdessen wird das Genre andernorts auch ganz unaufgeregt gefeiert.

In der Kunsthalle läuft noch bis 15. Januar die Ausstellung JR - Chronicles mit Arbeiten des französischen Streetart-Künstlers JR. Direktor Roger Diederen verbucht schon weit mehr als 50 000 Besucher, und das Rahmenprogramm mit Aktionen auf dem Odeonsplatz und am HP8 hat abertausende Menschen mehr erreicht. Ebenfalls zum Rahmenprogramm gehörte ein Diskussion zum Thema "Street Art zwischen Kunst und (Il-)Legalität".

Mit auf dem Podium saßen unter anderem Loomit und Stephanie Utz vom Muca. Und die sammelt übrigens seit Jahren neben vielen anderen die Arbeiten von Shepard Fairey. Zu dessen Vernissage im Amuseum hatte der Künstler sie eingeladen. Sie wären hingegangen, wäre da nicht dieses Hausverbot.

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