Süddeutsche Zeitung

Stream-Kritik:Spiel mit dem Teufel

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"Die Geschichte vom Soldaten" in der Staatsoper

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Mittels Kameraauge fährt man in winterlicher Ödnis eine Gespensterkulisse entlang - die leere Ludwigstraße. Das Ziel: die inzwischen gewohnte Ödnis des menschenleeren Nationaltheaters. Es ist, wie es ist. Vor Beginn der Live-Stream-Premiere von Igor Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" kann man sich via Mausklick per Tonmeisterprogramm opernbesuchsmäßig eingrooven: Applaus und Buhrufe? Das ist gut, weil laut. Bonbon? Ist nix, weil kaum Geraschel hörbar. Einspielen der Musiker? An diesem Abend irreführend. Auf der Bühne nämlich hat sich kein großes Orchester, sondern nur eine kleine Besetzung, ein großartiges Musiker-Septett versammelt, aufgelegt zu einer musikalischen Burleske, in der jeder Ton messerscharf trifft. Das gebietet mit lustvoller Akkuratesse Vladimir Jurowski, von diesem Herbst an der neue Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, ein Mann mit einer athletischen, auffällig mobilen Schulterpartie über stabilem Kreuz. Beides kann er sicher gut brauchen.

Zum Kammerensemble gehören hier auch zwei Tänzer und eine Tänzerin in geblumten Wämsern und braunen Siebenachtelhosen. Sie bebildern episodisch, was zu hören ist: choreografisch angeleitet von Norbert Graf, umschlängeln sie einander in einem Auf und Ab wechselnder Paarungen und Trios. Dabei bleibt offen, ob sie mimetisch die Protagonisten der Geschichte verkörpern, als da sind: der Soldat, der Teufel, die verlorene und die gewonnene Geliebte. Die Wichtigste aber ist sie in diesen eineinhalb Märchenstunden, die distinguierte Erzählerin dieses Sprechopernabends: Dagmar Manzel, ein Teufelsweib. Ihre Lebendigkeit, ihr lebenskluges Augenzwinkern, ihr spöttisch-wissender Mund, sie sagen: Macht weiter! Wie der, dessen Geschichte sie unerschütterlich bei diesem XIV. Montagsstück der Bayerischen Staatsoper skandiert, die des ewigen Soldaten, der immer nur kurz pausierend durch eine Landschaft namens Menschenleben marschiert. Manzel, diese Verkörperung beinharter Ostberliner Diseusen-Diktion, spricht Chance als "Changse". Und ihr entfährt schon mal zwischendrin ein "Okay". Das setzt die lässigen Schlenker im unerbittlichen Marschrhythmus, der ihre Erzählung und damit das Schicksal des Soldaten auf Heimaturlaub vorantreibt.

"Die Geschichte vom Soldaten" hat Igor Strawinsky zusammen mit dem Dichter Charles Ferdinand Ramuz in Paris im Jahr 1917 geschrieben. Da tobte der Erste Weltkrieg, was in diesem philosophischen Märchen so gar nicht widerhallt. Der Soldat, der sträflich naiv mit dem Teufel paktiert und dabei mal verliert, mal gewinnt, ist kein Faust, eher ein Fäustchen. Als er dem Teufel seine Geige überließ, löschte er sein vorheriges Lebensglück aus. Und fragt sich am Ende: "Wie mach ich's, um zu werden, wie ich war?" Eine schmerzlich müßige Frage - zumal in opaken Zeiten wie diesen.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2021
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