Strategien gegen Rechts:"Die Neonazis zu ignorieren - das reicht nicht"

Sie heben die Hand zum Nazigruß oder hetzen gegen den Bau einer Moschee: Immer mehr Rechtsextremisten drängen in die kommunalen Parlamente. Doch wie dem braunen Spuk begegnen? Eine bayerische Delegation hat sich in Köln und Berlin Anregungen geholt.

Silke Lode

Die bayerische Delegation, die sich vergangene Woche zum Austausch über Strategien gegen Rechtsextremismus auf den Weg nach Berlin und Köln gemacht hat, hatte offiziell 26 Mitglieder: Landtagsabgeordnete, Stadträte, Verwaltungsmitarbeiter und einen Vertreter des Verfassungsschutzes.

Strategien gegen Rechts: Drei Städte, ein Problem: Rechtsextremismus: Die Bilder zeigen eine Gegendemo in München.

Drei Städte, ein Problem: Rechtsextremismus: Die Bilder zeigen eine Gegendemo in München.

(Foto: Robert Haas)

Aber noch ein Schatten war immer dabei, ein imaginärer 27. Mann: Karl Richter, Bundesvizechef der NPD, Münchner Stadtrat für die "Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA)". Ein Mann mit engen Kontakten zu gewaltbereiten Rechtsextremen wie Martin Wiese oder Philipp Hasselbach. Ein knallharter Neonazi.

Die NPD und ihre Tarnlisten wie die BIA drängen in die Rathäuser. Die Rechtsextremen versuchen, sich dort als wählbare Alternative zu etablieren. Sie trumpfen damit auf, dass sie ja demokratisch gewählt seien. Wie aber das Demokratieverständnis etwa von Karl Richter aussieht, zeigte sich bereits am Tag seiner Vereidigung: Er hob den rechten Arm zum Nazigruß und wurde dafür rechtskräftig verurteilt.

Mathias Wörschinger, der in Berlin ein Projekt zu Rechtsextremismus in kommunalen Gremien betreut, berichtet, dass in Deutschland etwa 400 kommunalpolitische Mandate von Rechten besetzt sind. Noch im Jahr 2004 hielten NPD oder NPD-nahe Listen 107 Mandate. "Von einer Umkehr dieser Tendenz können wir nicht ausgehen", sagt Wörschinger.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus ist damit auch zu einer Aufgabe in den Kommunalparlamenten geworden, aber dies ist längst nicht das einzige Problem. Man muss nicht auf Münchens unrühmliche Geschichte als ehemalige "Hauptstadt der Bewegung" zurückblicken, um festzustellen, wie aktiv die Rechten hier sind.

Rechtsterroristen wollten ein Attentat auf die Grundsteinlegung der Synagoge am Sankt-Jakobs-Platz verüben, beim Attentat auf das Oktoberfest 1980 sind 13 Menschen getötet worden. Zwei Opfer in München gab es auch bei der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle NSU.

Immer wieder kommt es zu rechtsmotivierter Gewalt, vor allem gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Im politischen Spektrum sind neben der BIA noch zwei rechtspopulistische Parteien aktiv, ebenso rechtsorientierte Burschenschaften und Kameradschaften. Und all das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Für den Ältestenrat der Stadt München gab es also viele Gründe für die von Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) vorgeschlagene Informationsreise. Gerade in dieser Runde wollte man aber auch den eigenen Umgang mit einem Neonazi in den Reihen des Stadtrats auf den Prüfstand stellen.

In Berlin, wo derzeit in zwei Bezirksverordnetenversammlungen NPD-Leute sitzen, berichteten Politiker sowie Vertreter von Vereinen vom "Berliner Konsens", den Rechten nicht auf Augenhöhe zu begegnen und klar Kante zu zeigen.

„Rechtsextremismus gibt es in vielen Schichten"

Auch in Köln schilderten Rats-Vertreter von der CDU bis zur Linken, dass jeder Antrag der rechtspopulistischen "Bürgerbewegung Pro Köln" abgelehnt wird. "Pro Köln" ist im Rahmen eines Streits um den Bau einer Moschee im Stadtteil Ehrenfeld stark geworden, gegen den die Gruppierung bis heute hetzt.

Allerdings ohne Erfolg in der Sache: Die Moschee ist fast fertig, noch in diesem Jahr soll sie eingeweiht werden. "Pro Köln" ist im Stadtrat mit fünf Sitzen vertreten. "Es gibt ein klares, gemeinsames Bekenntnis der demokratischen Fraktionen", berichtet Kölns CDU-Fraktionschef Winrich Granitzka: "Mit denen nicht!". Nicht einmal die Hand zum Gruß werde den Leuten von "Pro Köln" gereicht.

Die Münchner kennen diese Form der Isolierung gut, und FDP-Fraktionschef Michael Mattar fühlt sich im Weg des hiesigen Stadtrats bestärkt: "Wir müssen uns weiter auf eine gemeinsame Linie verständigen." Auch im Wahlkampf dürfe dieses Bündnis nicht bröckeln, "alles andere stärkt nur die Rechten."

Mattar erinnert aber auch daran, dass der Konsens der Demokraten zwar Grundvoraussetzung sei, das Problem mit Rechtsextremismus aber nicht löse. Auch sein Kollege von der CSU, Marian Offman, meint: "Wir müssen genau hinschauen und Konsequenzen ziehen. Die Neonazis nur zu ignorieren - das reicht nicht."

In Berlin konnte sich die Delegation aus Bayern einen Eindruck verschaffen, wie dieses Mehr an Engagement, das alle für nötig halten, aussehen könnte. Vor allem die Zusammenarbeit von Verwaltung und Politik, Sicherheitsbehörden und der Zivilgesellschaft hat in Berlin eine Qualität, von der München und Bayern weit entfernt sind.

Das hängt auch mit dem Selbstverständnis zusammen, das in einigen Berliner Behörden anzutreffen ist. So erklärt Franz Schulz, Grünen-Bezirksbürgermeister von Kreuzberg-Friedrichshain, es sei "wichtig, im Kampf gegen Rechts Partner zu haben und Teil des zivilgesellschaftlichen Engagements zu sein."

Der Münchner Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle stellte da nur fest, dass das in München ganz anders gesehen werde: "Wir - auch der Oberbürgermeister - legen sehr viel Wert auf eine Trennung." So unterscheide Ude immer klar, ob er als OB oder als Sprecher des "Bündnisses für Toleranz" spreche. So verlange es die Rechtsprechung.

Das bedeutet allerdings auch, dass bei der Stadt die Arbeit gegen Rechtsextremismus vor allem an einer Fachstelle hängen bleibt. Egal, wie engagiert das winzige Team arbeitet und wie groß die Unterstützung durch OB Ude ist: Ein engeres Netzwerk mit der Zivilgesellschaft hätte sicher eine andere Schlagkraft.

Berlin hingegen setzt offensiv auf breite Bündnisse. "Rechtsextremismus gibt es in vielen Schichten. Und die verschiedenen Gruppen kann man nur mit unterschiedlichen Akteuren und Maßnahmen erreichen", begründete etwa der Integrationsbeauftragte Günter Piening den Berliner Ansatz.

Repression durch die Polizei gehört für ihn zu dieser Palette - etwa wenn es darum geht, Konzerte von rechten Bands zu unterbinden, da die Szene damit ihre Arbeit finanziert und gleichzeitig Nachwuchs an sich bindet. Anderen Aufgaben seien aber Akteure besser gewachsen, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie völlig unabhängig vom Staat sind.

Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Initiative "Reach Out", die Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt berät. In vielen Fällen stellen die Berater fest, dass sich die Gewaltopfer bislang nicht an die Polizei gewendet haben, manche lassen sich selbst durch die Beratung nicht davon überzeugen, Anzeige zu erstatten. Hauptsächlich haben die Menschen Angst vor weiteren Gewalttaten, wenn ihre persönlichen Daten in einer Akte landen.

Erfolge mit mobilen Beratungsteams

Es gibt jedoch auch andere Gründe, etwa ein Misstrauen in die Institutionen. Entsprechend deutlich gehen daher die Statistiken zu rechter Gewalt auseinander: Während die Bundesregierung im Jahr 2011 826 Fälle bundesweit vermeldet, haben die Beratungsstellen allein im Osten Deutschlands 706 Fälle registriert.

Dass der Staat bei der Opferberatung nicht weiterhelfen kann, wird in Berlin akzeptiert: Anstatt selbst Beratung anzubieten, wird "Reach Out" finanziell gefördert. In Bayern geht der Staat einen ganz anderen Weg: Er setzt vor allem auf die eigenen Institutionen, allen voran das Innenministerium. Hier ist die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (BIGE) angesiedelt, in der Verfassungsschutz und Landeskriminalamt zusammenarbeiten.

Auf der Internetseite der BIGE findet sich unter dem Stichwort "Opferberatung" ein Link zum "Weißen Ring" und der Hinweis, wann und wo Strafanzeige zu erstatten ist. Die wenigen unabhängigen Angebote, die es in Bayern für Opfer gibt, arbeiten so prekär, dass die Beratungseinrichtungen in Berlin und Brandenburg nach Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie eingesprungen sind, um den Hinterbliebenen der bayerischen NSU-Opfer zu helfen.

Fakt ist allerdings auch, dass in Berlin die Zahl der rechtsmotivierten Übergriffe deutlich höher ist als in München oder Köln. Neonazis haben hier ganze Straßenzüge erobert, die nicht nur von Migranten, Punks oder Homosexuellen gemieden werden.

Der CSU-Landtagsabgeordnete Karl Freller ist regelrecht schockiert, dass es solche "Angstzonen" gibt: "In einer Demokratie darf es keine solchen rechtsfreien Räume geben, da ist der Staat gefordert", meint Freller und betont, Bayern sei da wesentlich besser positioniert. "Wir haben aber noch einiges zu tun", meint Freller nach dem, was er in Berlin gesehen hat.

Deutlicher wird SPD-Stadtrat Nikolaus Gradl: "Andere Städte sind uns bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus um einiges voraus." Natürlich seien in Berlin die Probleme größer, "aber Stadt und Land haben die Probleme erkannt und gehen aktiv dagegen vor".

Gradl hält insbesondere die Landesprogramme für vorbildlich, mit denen Berlin und Brandenburg zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechts fördern. Dafür haben die Länder sich Handlungsfelder wie die Stärkung von Demokratie und Menschenrechten oder Jugendbildung abgesteckt und ihre eigene Arbeit analysiert. Bei den Lücken, die sich aufgetan haben, wurde überlegt, wen man finanziell fördern könnte, um sie zu füllen. Die Opferberatung "Reach Out" ist ein Beispiel dafür, das Archiv "Apabiz" oder mobile Beratungsteams andere.

Grünen-Stadträtin Gülseren Demirel wünscht sich solche Beratungsteams auch für München: "Die kommen, wenn sie gerufen werden. Nicht die Berater lösen die Probleme, sondern sie helfen den Menschen vor Ort, wie sie vorgehen können." In München, meint Demirel, habe sie schon öfters erlebt, wie Bürger etwa auf die Straße gehen, wenn Pläne über sozialen Wohnungsbau in ihrem Viertel bekannt werden. Oder wenn es um Flüchtlinge geht, beim Hotel Eisenreich in Berg am Laim etwa. "Das ging tief in die bürgerlichen Schichten", meint sie.

Demirel lobt auch, dass in Berlin ungewohnte Kooperationen möglich sind: "Da sitzen Antifa und Verfassungsschutz an einem Tisch. Aber das ist hier in Bayern utopisch." Verärgert über den Umgang des Freistaats mit dem Archiv "Aida" (Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München) ist auch Nikolaus Gradl: "Die Arbeit von Aida, die im Prinzip ehrenamtlich ist, wird immer wieder gelobt. Aber das Innenministerium steckt seine Energie da rein, Aida zu beobachten und im Verfassungsschutzbericht zu erwähnen - anstatt zu überlegen, wie man das Archiv fördern kann."

In diese Kerbe schlägt auch Marian Offman, der es "einfach falsch" findet, dass Aida und der Verfassungsschutz nicht zusammenarbeiten. "Diese Kräfte müssen wir bündeln, wir können es uns nicht erlauben, an dieser Stelle gegeneinander zu arbeiten", meint der CSU-Politiker. Ganz generell müsse es mehr Vernetzung geben: "Wir müssen gemeinsam nach Mitteln und Wegen suchen, um Neonazis den Boden unter den Füßen wegzuziehen."

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