Diejenigen, die das Wirken ihrer Führungspersönlichkeiten vermutlich mit der größten Expertise einordnen könnten, sagen nichts: In der Erzdiözese München und Freising will man sich einem Sprecher zufolge nicht öffentlich positionieren zur Empfehlung eines städtischen Expertengremiums, Münchner Straßen, die den Namen prominenter Kardinäle tragen, umzubenennen.
Es geht um Kardinal Michael von Faulhaber, der wegen seiner widersprüchlichen Haltung zum Nationalsozialismus umstritten ist. Er war in München von 1917 bis 1952 im Amt. Außerdem um Joseph Wendel (1952 bis 1960) und Julius Döpfner (1961 bis 1976). Vor allem den beiden Letztgenannten wird vorgeworfen, Missbrauchstäter gedeckt zu haben – dokumentiert ist das auch im Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker und Wastl von 2022, in Auftrag gegeben von der Erzdiözese.

Exklusiv Missbrauch und Antisemitismus:Münchner Kardinäle sollen aus dem Straßenbild verschwinden
Historiker empfehlen der Stadt, die nach drei Erzbischöfen und einem IOC-Präsidenten benannten Straßen umzubenennen. Das sind die Vorwürfe.
Nachdem es sich bei der Empfehlung des Expertengremiums um ein nicht öffentliches Papier handele, das der Erzdiözese nicht vorliege, wolle man es auch nicht kommentieren, sagt der Sprecher auf Anfrage der SZ – die Entscheidung des Stadtrats steht noch aus. Selbst wenn bereits direkt nach Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens 2022 öffentlich die Frage gestellt wurde, ob vor allem Döpfner und Wendel noch auf Münchner Straßenschildern geehrt werden dürften, wolle man sich hierzu nicht erklären. Auch nicht dazu, ob die katholische Kirche an der Isar je Anlass gesehen hat, nach den Männern benannte eigene Institutionen umzutaufen. Etwa das Kardinal-Wendel-Haus der Katholischen Akademie an der Mandlstraße. Oder das Kardinal-Döpfner-Haus in Freising. Dies wurde gerade erst abgerissen und weicht einem Neubau. Der werde einen anderen, bislang nicht bestimmten Namen tragen, heißt es von Kirchenseite.
Wie Kardinal Faulhabers Haltung in der NS-Zeit letztgültig zu beurteilen ist, erforschen seit 2014 das Münchner Institut für Zeitgeschichte und die Universität Münster. Das erzbischöfliche Archiv stellt ihnen dafür die privaten Tagebücher des Kardinals zur Verfügung. Das Projekt ist auf zwölf Jahre angelegt. In den fortlaufend publizierten Zeitabschnitten finden sich beide Seiten: die des von völkischer Seite kritisierten „Judenkardinals“ und die des Mannes, der sich auf dem Obersalzberg mit Hitler getroffen hat.
Skeptisch sei sie, „wenn man reflexhaft fast alles umbenennt“, sagt Hiltrud Schönheit, Vorsitzende des Katholikenrats der Region München. „Ich bin dafür, diese Dinge aufzuklären, und würde die Namen eher lassen und auf Zusatzschildern auf bestimmte Dinge hinweisen.“
Einen mutigen Schritt der Stadt München nennt Richard Kick es, neben der NS-Zeit auch Missbrauch in den Blick zu nehmen. Der Sprecher des unabhängigen Betroffenenbeirates in der Erzdiözese will diesen Kardinälen ihre „sicher auch guten Seiten“ nicht absprechen. „Weil sie sich aber nicht um die Aufdeckung von Taten gekümmert haben, konnten Täter wie der, der mich missbraucht hat, zu Mehrfachtätern werden.“