Straßenmusik in München:Ein Flügel rollt durch die Fußgängerzone

Straßenmusik in München: In der Fußgängerzone machen Daniel Vasiliev und seine Band Honest Talk für große Auftritte wie beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf sich aufmerksam.

In der Fußgängerzone machen Daniel Vasiliev und seine Band Honest Talk für große Auftritte wie beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf sich aufmerksam.

(Foto: Catherina Hess)
  • Mehrmals pro Woche schiebt der Straßenmusiker Daniel Vasiliev ein Klavier in die Münchner Fußgängerzone. Gemeinsam mit seiner Band Honest Talk spielt er Soul- und Jazzklassiker.
  • Durch seine Musik auf der Straße wurde Vasiliev bereits mehrmals für Auftritte engagiert: Zum Beipiel im Luxushotel Burj al Arab in Dubai oder beim Weltwirtschaftsforum in Davos.
  • Doch vor knapp einem Jahr kostete ihm der Flügel fast seine Karriere als Musiker: Er entglitt beim Transport und landete auf Vasilievs linker Hand.

Von Philipp von Nathusius

Die Auftritte auf der Straße haben Wunden geschlagen in den Flügel von Daniel Vasiliev. Der blonde Schlacks sitzt am Morgen in Jeans und Sneakern in der Münchner Fußgängerzone auf einem Klavierhocker. Vor ihm sein weißer Salonflügel, hinter ihm die Alte Akademie.

In goldenen Lettern, oberhalb der Tasten, steht der Markenname des edlen Klaviers eingraviert. Erst bei genauer Betrachtung bemerkt man, dass der Yamaha Patina angesetzt hat. Hier und da ist der Lack abgeplatzt; lauter kleine Narben: dunkle Makel auf der sonst weiß schimmernden Oberfläche.

Der Pianist Vasiliev ist etwas Besonderes unter den Straßenmusikern Münchens. Wo andere bequem ihre Gitarre oder ihre Geige mitnehmen, rollt und schiebt und schleppt der 30-Jährige einen schweren weißen Flügel, ein riesiger Aufwand ist das - der eben auch Spuren hinterlässt an so einem Instrument. Die Passanten sind trotzdem begeistert, der volle Klang des Instruments ist toll. Und für Vasiliev ist es den Aufwand wert: Der Musiker betrachtet sein Instrument nicht bloß als Arbeitsmittel. Es ist ein wahr gewordener Traum - der wegen eines Unfalls bei einem der vielen Transporte einmal beinahe zum Albtraum geworden wäre.

Zwei bis drei Mal pro Woche tritt Vasiliev auf

Die digitale Temperaturanzeige gegenüber der Alten Akademie zeigt acht Grad, immerhin. Der Himmel graut trübe vor sich hin. Vasilievs Hände huschen über die Klaviatur, drücken auf weiße, streicheln mal über die schwarzen Tasten, geschmeidig, trotz der Wintermorgenkälte. Der Klang des Klaviers schwebt durch die Neuhauser Straße. Zwei bis drei Mal pro Woche tritt Vasiliev in der Innenstadt auf, gemeinsam mit seiner Band Honest Talk. Die Musiker spielen Soul- und Jazzklassiker. Fahrstuhlmusik könnte man dazu sagen, aber live - und auf hohem Niveau.

Straßenmusik in München: Der Transport des Flügels ist für die Band ziemlich aufwendig - und hinterlässt auch Spuren am Instrument.

Der Transport des Flügels ist für die Band ziemlich aufwendig - und hinterlässt auch Spuren am Instrument.

(Foto: Catherina Hess)

Vibrafonist Michael, Nikolaj am Bass, Jan am Saxofon und eben Daniel Vasiliev am Flügel. Alle sind Profis, studierte Musiker. Aber eigentlich ist keines ihrer Instrumente für diese Bedingungen gemacht. Der Flügel schon gar nicht. "Die niedrigen Temperaturen sind nicht das Problem", sagt Vasiliev und lächelt, "dann verstimmen sich die Saiten gleichmäßig." Die Feuchtigkeit sei schlimmer. Das größte Problem aber seien die Vibrationen beim Transport.

Wie der Flügel in die Innenstadt gelangt

Vor den Auftritten checkt Vasiliev den Wetterbericht. Ist die Prognose in Ordnung - kein Regen, die Temperaturen wenigstens ein paar Grad über null - braucht es mehrere Leute, den Flügel von Giesing in die Innenstadt zu transportieren. Das Instrument steht zwischen den Gigs in Vasilievs Tiefgarage, gleich neben seinem Motorrad, geschützt durch Decken und eine Plane.

Für den Transport hat Vasiliev eigens einen gebrauchten Kleinlaster gekauft, mit hydraulischer Hebebühne. Durch die Fußgängerzone aber müssen er und seine Freunde das Klavier schieben. Die winzigen Messingrollen an den Füßen sind eigentlich dafür ausgelegt, über Parkett zu gleiten. Um Asphalt und Kopfstein auszuhalten, hat Vasiliev bei einem befreundeten Schlosser eine spezielle Trägerkonstruktion in Auftrag gegeben.

Sein Flügel zertrümmert Vasiliev fast die linke Hand

Auf neun mit Luft befüllten Gummireifen rollt das Klavier über den Marienplatz. Und um die Beine des Flügels hat Vasiliev extra dicken Vliesstoff gewickelt. Es wirkt, als habe er das wuchtige Instrument für einen Boxkampf mit der Straße bandagiert.

Obwohl der Transport dem Flügel also nicht unbedingt gut tut, reicht es, das Klavier alle drei Monate stimmen zu lassen. Auf der Straße muss Vasiliev ohnehin immer möglichst laut spielen. Tonale Nuancen gehen da schnell unter zwischen Autogeräuschen, Unterhaltungen und Glockengeläut. Die Passanten fühlen sich trotzdem bestens unterhalten, auch an diesem Morgen bilden sich immer wieder Zuschauertrauben vor den Musikern.

Was die Straßenmusiker verdienen

Wenn sie zu viert spielen, verdienen sie schon einmal 800 Euro am Tag, erklärt Saxofonist Jan Grinbert. Selbst, wenn es weniger Geld wird, kann es sich lohnen. Dann nämlich, wenn statt Münzen Visitenkarten im Körbchen landen, von Hoteldirektoren oder Eventplanern. Im Luxushotel Burj al Arab in Dubai hat die Band schon gespielt, oder wie in diesen Tagen beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Die Straße ist ihr Schaufenster, der Flügel das Aushängeschild.

Mit dem Geld aus Dubai hat sich Vasiliev vor drei Jahren den Flügel gekauft - und den Kleinlaster gleich dazu. Fünftausend Euro hat er für das Instrument bezahlt, gebraucht, "ein Schnäppchen". Vor dem Kauf ist Vasiliev bereits mit einem kleinen Klavier auf der Straße aufgetreten. Aber der Unterschied sei "wie der zwischen einem Golf und einem Ferrari."

Beim Transport kippte der Flügel auf Vasiliev

Allerdings hätte der Flügel Vasiliev einst beinahe die musikalische Karriere gekostet. Es war ein Auftritt in einem Lokal, eine Weihnachtsfeier, der Flügel erst zwei Monate alt. Das 250 unhandliche Kilogramm schwere Instrument musste eine Steintreppe hinunter getragen werden. Der Flügel entglitt und kippte um, das volle Gewicht landete auf Vasilievs linker Hand.

Die Knochen im Zeigefinger zersplitterten, seither fehlt ihm die halbe Fingerkuppe. Dem Instrument passierte nichts. Ein halbes Jahr Zwangspause folgte, dann noch einmal ein halbes Jahr, um wieder das alte Niveau zu erreichen. Inzwischen behindere ihn die fehlende Fingerkuppe nicht mehr, sagt Vasiliev.

So sehen es offenbar auch die 30 Menschen, die gerade um den weißen Flügel herum in der Fußgängerzone stehen und Beifall klatschen. Vasiliev spielt ein Stück von Randy Crawford. Es heißt "Street Life".

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