Strafe für Uni-Klinikum:Hilflos auf der Intensivstation

Auf der Intensivstation geriet ein Mann vor elf Jahren in eine Notsituation, doch nur Praktikanten waren anwesend. Seitdem liegt der Mann deswegen im Wachkoma. Ein Gericht hat das Uni-Klinikum nun zu einer Zahlung von 300.000 Euro an den Patienten verurteilt.

Ekkehard Müller-Jentsch

Nach groben Organisations- und Behandlungsfehlern ist das Uni-Klinikum München zur Zahlung von 300. 000 Euro an einen Patienten verurteilt worden. Der Mann liegt seit elf Jahren im Wachkoma, weil damals nur Praktikanten auf der Intensivstation Dienst taten, die mit der plötzlichen Notsituation völlig überfordert waren.

Wegen eines vergleichsweise harmlosen Spritzenabszesses war im April 2000 der damals 54-jährige Münchner operiert worden. Da sein Herz-Kreislaufsystem nicht sehr stabil war, brachte man ihn anschließend vorsichtshalber auf die Intensivstation. Hier wurde er weiterhin künstlich beatmet. Plötzlich bekam der Patient keine Luft mehr, weil sich der Tubus zugesetzt hatte.

Zu dieser Zeit befanden sich auf der Intensivstation nur zwei ärztliche Praktikanten: Der diensthabende Stationsarzt und ein Assistenzarzt waren mit der Oberärztin in einem Nachbargebäude auf Visite. Die beiden Ärzte im Praktikum taten zwar was sie gelernt hatten - doch ohne Erfolg. Sie lösten deshalb nach einigen Minuten den Alarmpiepser des Diensthabenden aus.

Wie der Medizinrechtssenat des Oberlandesgerichts München nun abschließend feststellte, sind bis zu den entscheidenden Handgriffen aber mindestens acht Minuten vergangen. Wie der Obergutachter in diesem Verfahren erklärte, beginnt jedoch ein Gehirn, das nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt ist, nach drei bis fünf Minuten "wegzusterben". Hätte man den Münchner damals aber umgehend richtig behandelt, wäre für ihn der Zwischenfall mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit folgenlos geblieben, meinte der Experte.

In erster Instanz beim Landgericht München I war die Klage gegen das Klinikum, die von der Ehefrau im Namen des vollkommen hilflosen und nicht mehr ansprechbaren Betroffenen erhoben wurde, noch abgewiesen worden. Eine Professorin aus Lübeck, Spezialistin für Chirurgie und Intensivmedizin, hatte damals als erste Gutachterin in diesem Verfahren erklärt: "Was die jungen Kollegen getan haben, war in Ordnung." Mehr hätte man von ihnen nicht erwarten können.

Und die knappe Besetzung der Station sei nicht ungewöhnlich: Auf einer Intensivstation müssten diensthabende Ärzte oft auch andere Funktionen wahrnehmen. Natürlich wäre es für die Patienten wünschenswert, dass ein Diensthabender auf einer Intensivstation während seines ganzen Dienstes dort anwesend sei - "das ist aber auch heute noch nicht Standard", wiederholte sie später auch in der Berufungsverhandlung vor dem OLG-Senat.

Die Wende im Prozess

Kläger-Anwalt Harald Schauer machte das fassungslos: "Wir sind hier in München in einer Uniklinik, und es gab auch die notwendigen Ärzte - nur waren diese falsch verteilt, um einem Menschen in Lebensgefahr noch helfen zu können." Er war deshalb keineswegs zu Kompromissen bereit, als der OLG-Senat daraufhin meinte, dass alles hätte besser laufen können: "Wir sehen die Probleme - aber trotzdem keine groben Behandlungsfehler." Das Gericht forderte die Klinik immerhin auf, angesichts der Tragik freiwillig 25.000 Euro an den Betroffenen zu bezahlen.

Die Wende kam jedoch, als der Chef- Anästhesist eines anderen großen Münchner Klinikums in der SZ den Bericht über diese Verhandlung gelesen hatte und sich mit nachdrücklicher Kritik an den Behauptungen der Gutachterin bei Schauer meldet.

Bald darauf beauftragte der OLG-Senat einen Düsseldorfer Anästhesie-Professor mit einem Obergutachten. Und der hat nun klargemacht, dass natürlich "auf einer Intensivstation umgehend Personal greifbar sein muss, das derartige lebensbedrohliche Situationen kunstgerecht behandeln und abwenden kann".

Das Gericht stellte daraufhin in seinem Urteil fest, dass die Organisation der Uni-Klinik ebenso wie die damals verantwortlichen Chefärzte versagt haben - für diese groben Mängel müsse das Klinikum deshalb einstehen. Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

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