Süddeutsche Zeitung

Stolpersteine in München:Gefährliche Geheimnistuerei

Dass die Stadt seit Monaten nicht sagt, was sie als Alternative zu Stolpersteinen plant, ist bequem. Und aus mehreren Gründen verhängnisvoll.

Kommentar von Jakob Wetzel

Eine Vorentscheidung ist gefallen - aber niemand darf davon wissen. Vor zwei Jahren hat der Münchner Stadtrat sein Verbot bekräftigt, dass in München auf öffentlichem Grund sogenannte Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig verlegt werden.

Stattdessen sollte es einen Wettbewerb geben, um eine angemessene Alternative zu finden - eine Alternative, die nicht zuletzt diejenigen Kritiker in der Israelitischen Kultusgemeinde und darüber hinaus zufrieden stellt, die ein Gedenken auf Augenhöhe fordern, nicht auf dem Fußboden. Nun hat die Jury bereits einen Entwurf ausgewählt. Doch von diesem Umstand einmal abgesehen, dringt nichts nach außen.

Das ist eine bequeme Lösung: Wenn sich der Stadtrat im September über die Entwürfe beugt, dann kann er dies in Ruhe tun, unbeeindruckt von öffentlichen Diskussionen. Und doch ist die Entscheidung verhängnisvoll. Nicht nur, weil so die Bürger in einer Angelegenheit, die in den vergangenen Jahren weit über München hinaus heftig polarisiert hat, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden drohen. Nicht nur, weil damit die Chance vergeben wird, Meinungen auch besagter Kritiker einzuholen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

Sondern auch, weil damit eine Debatte darüber verhindert wird, wie man in angemessener und ansprechender Weise an die vielen Toten erinnern kann, die unter dem Regime der Nationalsozialisten ermordet worden sind. Gerade in einer Zeit, in der die letzten Zeitzeugen sterben, wäre diese Debatte nötiger denn je.

Und nicht zuletzt fördert die Stadt mit ihrer Entscheidung den Eindruck, dass es, wenn man dezentrale Mahnmale will, in Wahrheit doch keine Alternativen gibt zu Demnigs Stolpersteine-Projekt. Dabei hat eine solche Alternative offenbar schon eine sehr konkrete Gestalt. Es darf nur niemand davon wissen.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2017
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