Porträt:Stofferls Höhen und Tiefen

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Mit prominenten Musikerfreunden hat Christoph Well ein Harfen-Blues-Album eingespielt. Der Erlös geht an eine Organisation, die Kindern Herz-OPs ermöglicht - eine Erfahrung, die er selber machen musste.

Von Karl Forster, München

John Lee Hooker aus Clarksdale, Mississippi, sagte: "Der Blues existiert, seit die Welt existiert. Der Blues ist die Wurzel der Musik." Christoph Well aus Günzlhofen, allseits bekannt unter dem abgeleiteten Spitznamen Stofferl, hat dem Hookerschen Theorem gehorcht und eine CD produziert mit dem Titel "Open-Harp-Blues". An diesem Freitag kommt die Scheibe, erschienen beim für solche Werke bestens geeigneten Trikont Verlag, auf den Markt. Und wenn sich jetzt unter jenen, die mit dem Namen Stofferl Well etwas anfangen können, einige wundern, weil doch dieser Wahnsinnstrompeter und klassisch ausgebildete Harfenist ihnen nicht als musikalisch Verwandter von John Lee Hooker bekannt ist, sei ihnen gesagt, dass sie unter einer gewaltigen Wissenslücke leiden. Blues ist die Wurzel der Musik auch bei der Harfe. Warum das so ist, warum diese CD entstanden ist und wie, das berichtet sich in drei ineinander verwobenen Geschichten, bei denen es fast egal scheint, in welcher Reihenfolge man sie erzählt.

Fangen wir halt an mit der Geburt des Christoph Well am 3. Dezember 1959 in Günzlhofen im Landkreis Fürstenfeldbruck als 14. von letztlich 15 Kindern. Kurz nach der Niederkunft stellten die Ärzte fest, dass das Herz nicht ganz so schlug wie es sollte, was den Buben aber später nicht daran hinderte, ein guter Fußballer zu werden. Und weil der äußerst musikaffinen Familie Well zur Hausmusik noch eine Trompete als dritte Oberstimme zu den zwei Klarinetten fehlte, musste Stofferl, Herz hin, Herz her, Trompete lernen (dass er nebenbei immer wieder seiner Liebe zur Harfe nachgab, wurde freundlich geduldet). Mit 14 aber wurde der kardiologische Befund "kaputte Herzklappe" dann so gravierend, dass man im damals neuen Münchner Herzzentrum beschloss, ihm eine biologische neue Klappe ins Herz zu schrauben, bei Kindern seines Alters war das chirurgisches Neuland. "Zwei Jahre vorher ist noch ein Mädel aus Mammendorf an so was gestorben", erzählt er heute.

Zu den zwei Klarinetten fehlte der Familie Well noch eine Trompete als Oberstimme - also musste Stofferl das Instrument lernen. (Foto: Stofferl Well)

Die OP gelang, und der junge Herr Well wurde danach ein solches As am Blasinstrument, dass man ihn mit 18 Jahren zum Solotrompeter der Münchner Philharmoniker berief, ein unkündbarer Top-Job im klassischen Musikgeschäft.

Wenn da eben das Herz nicht gewesen wäre, respektive diese Herzklappe eines Schweins, welche stark zu verkalken begann. Die Spezialisten von der Lothstraße verpassten dem Musiker, der ja mit großem Lungendruck sein Geld verdiente, eine neue Herzklappe (man verfügte schon über welche aus Kunststoff) und überprüfte deren Funktion noch ein halbes Jahr, in dem Christoph Well weiter für die Philharmoniker wirkte. Bis zum letzten Auftritt: Modest Mussorgskis "Bilder einer Ausstellung". Dann fiel der Entschluss: Ende der Karriere, neues Studium, diesmal das der alten Liebe Harfe. Und Philharmoniker-Chefdirigent Sergiu Celibidache spendierte seinem ausgemusterten Lieblingstrompeter einen Zuschuss von 1000 Mark pro Monat.

Sergiu Celibidache unterstützte seinen Lieblingstrompeter Christoph Well mit 1000 Mark im Monat, als der sich für das Studium der Harfe entschied. (Foto: Regina Schmeken/Sueddeutsche Zeitung Photo)

Zu dieser Zeit aber, genauer seit 1976, war Christoph Well mit seinen Brüdern Michael und Hans längst eine kleinkünstlerische Institution geworden, als das Trio "Biermösl Blosn", das nun, man schrieb das Jahr 1980, durch Zufall Gerhard Polt kennenlernte. (Stofferl dachte damals: "Wos is denn des für a Narrischer?") Womit wir uns nun der Entstehung der CD "Open-Harp-Blues" und der zweiten Geschichte nähern.

Denn Stofferl landete nach manchem erfolgreichen Biermösl-Polt-Abend (zum Beispiel in den Kammerspielen) gern noch auf einen Absacker in der Liederbühne Robinson an der Dreimühlenstraße bei der Eisenbahnbrücke. Dort war es üblich, nach der Sperrstunde oft bis in die Morgenstunden zu jammen, was auch Christoph Well mit seiner Trompete gerne tat und was zu manch großartigem "Tiger Rag" oder "Am Sonntag will mein Süßer ..." führte. Jedenfalls infizierte sich der Stofferl damals im Robinson mit dem Virus der improvisierten Musik, was sich, bis auf ein paar Straßenmusikauftritte mit Bruder Michael am Banjo, lange in Hirn und Herz versteckte, um sich erst im höheren Alter Bahn zu brechen.

Auf der Heimfahrt von einem Konzert in Gießen lauschte Well sich wieder einmal selber beim improvisierten Harfenspiel im Kopfhörer, als eine etwas irre Idee aufploppte: Könnte er nicht ein ganzes Musikstück zusammenbasteln mit kurzen Aufnahmen befreundeter Musikanten unter dem Arbeitstitel "Blues"? Das war vor etwa sieben Jahren, jetzt ist aus dem Arbeitstitel der "Open-Harp-Blues" geworden. Und es ist nicht die einzige Besonderheit an diesem Werk, das mit der ersten der beiden Arabesquen von Claude Debussy an der Harfe startet, woran sich dann 22 kurze, dem Blues verwandte Stücke von musikalischen Freunden wie an einer Perlenschnur reihen. Und zwar ohne Pause. Es ist ein gut 40-minütiger Spaziergang durch den Quintenzirkel, der mit Debussy in Es-Dur startet und nach allen Tonarten auf E-Dur endet.

"Ich mach' mir nicht mehr in die Hos'n, ich kann jetzt machen, was ich will."

Stofferl Wells Augen leuchten, wenn er am Küchentisch nicht nur in den Apfelkuchen seiner Frau Beate beißt (die er beim technischen Support im Laufe des Projekts kennengelernt hat), sondern wenn er von den einzelnen Künstlern erzählt. Von Georg Ringsgwandl, den er als ersten gefragt hat und der 3:07 Minuten in bester Gurkenkönig-Manier abgeliefert hat; von Willy Michl und der Aufnahme in eben dieser Küche, von La Brass Banda in Es und den Toten Hosen in E, vom nächtlichen Besuch Helge Schneiders nach einem Auftritt im Circus Krone und dem coolen Mitschnitt zuhause bei Barbara Dennerlein und ihrer B-3-Hammond. Vom durch und durch professionellen Take bei Konstantin Wecker (der einzige, der mit dem "Revolutionsblues" Eigenes recycelte), und davon wie nach den gemeinsamen 2:33 Minuten von Andreas Rebers und Herbert Pixner das Meer rauscht. "Des is echter bretonischer Atlantik!" Und als man ihm sagt, das allerletzte Stück, genannt "Zugabe", diese acht Minuten Harfenklang nur in C und F, erinnere bei aller instrumentaler Entfernung an Keith Jarretts Köln Concert, da lächelt er, weil tatsächlich Keith Jarretts Art des Musizierens ihn bei diesem Stück stark beeinflusst habe.

Nun ist - die dritte Geschichte - Christoph "Stofferl" Well dank der Musik in der glücklichen Lage zu sagen: "Ich mach' mir nicht mehr in die Hos'n, ich kann jetzt machen, was ich will." Dazu gehört zum einen eben diese Produktion der Harfen-Blues-Scheibe, die er selber finanzierte, zum anderen aber auch der Entschluss, den gesamten Verkaufserlös aus diesem Werk dem "Salam Centre for Cardiac Surgery" im sudanesischen Khartum zu spenden. Stofferl Well hat auf Arte einen Film über die Arbeit der Ärzte dort gesehen. Es werden vor allem Kinder aus ganz Afrika unentgeltlich am Herzen operiert, weil deren Herzklappen wegen eines weit verbreiteten rheumatischen Fiebers oft den Dienst zu versagen drohen. "Das ist wie bei mir gewesen. Da kann ich jetzt was zurückgeben von meinem schönen Leben." Als "Zugabe" bezeichnet er gerne die Zeit seit der ersten Operation. Die ist jetzt fast ein halbes Jahrhundert her. Eine Zugabe, so groß und fein wie die auf der CD.

Stofferl Well hat für John Lee Hooker und den Blues übrigens einen würdigen Nachfolger gefunden. "Ich probier jetzt Reggae von Bob Marley auf der Harfe, das ist sauspannend!" Für diese Art des Musizierens gibt es auch ein Zitat von Bob Marley. "Der Tag, an dem du aufhörst, das Rennen mitzumachen, ist der Tag, an dem du das Rennen gewinnst." Christoph "Stofferl" Well hat schon längst aufgehört, bei Rennen mitzumachen. Es geht ihm gut.

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