Süddeutsche Zeitung

"Stoa169":Kathedrale der Moderne

Bernd Zimmers monumentales Kunstprojekt ist jetzt für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Idee zu der Säulenhalle nahe Polling hatte er schon vor mehr als 30 Jahren während eines Indien-Besuchs

Von Evelyn Vogel

Niederlassen sollen die Besucher sich in dieser Stoa nicht. Eine solche Säulenhalle will auf Augenhöhe mit dem Betrachter erlebt werden. Aber verweilen, umhergehen, erforschen und ja, auch spüren sollen die Besucher diesen Ort schon. Die Kraft, die von der Kunst inmitten der Natur ausgeht und sich doch als singuläres künstlerische Ereignis auf diesem Acker an der Ammer nahe dem Örtchen Polling ausnimmt. Womit die Fallhöhe schon beschrieben ist, die der von dem Künstler Bernd Zimmer im oberbayerischen Pfaffenwinkel realisierten Vision einer positiven Globalisierung innewohnt. Den Plan verfolgt Zimmer schon seit einem Besuch in Indien vor 30 Jahren.

Für die Halle haben mehr als 100 Künstler von allen Kontinenten jeweils eine Säule gestaltetet. Was die zugegebenermaßen unterschiedlichsten Kunstwerke hervorbrachte. Aufgestellt auf einer Betonplatte und überdacht von einer zweiten, die beide mit großen offenen Quadraten versehen sind, so dass die Stoa169 mit Himmel und Erde verbunden ist. Eine von dem Münchner Künstler Wolfgang Flatz noch zu pflanzende Platane soll das Ganze beschirmen. In der mittig gesetzten Spiegelsäule finden Kunst und Betrachter ihren optischen Widerhall. Eine diagonale Reihe von zehn Säulen wird über die nächsten Jahren von Studenten internationaler Kunstakademien gestaltet. Die der Münchner Akademie steht und erlaubt den Besuchern ein interaktives Erlebnis. Aus Chicago soll die nächste Säule kommen.

Einst war die Stoa169 mit 13 mal 13 Säulen geplant, dann wurde sie auf ein Quadrat mit 11 mal 11 verkleinert und nun ist sie mit 9 mal 9 Säulen eröffnet. Das ursprüngliche Zahlenspiel blieb im Namen erhalten. Dieser erste, aber zugleich größte Teil der Stoa169 konnte Corona-bedingt nur mit 200 Festgästen eingeweiht werden. Die große Party ist für nächstes Frühjahr geplant. Bis dahin soll alles komplett sein. Dass wegen Corona viele internationale Künstler nicht kommen konnten, dass von den aktuell eingeweihten 81 Säulen deshalb einige noch nicht fertig waren, tat der Freude Bernd Zimmers und seiner Mitstreiter der Stiftung keinen Abbruch. Freude und Erleichterung spiegelte sich in den Gesichtern, die mit der Sommersonne um die Wette strahlten. Erleichterung, weil zahlreiche Widerstände in Polling überwunden werden mussten. Landrätin Andrea Jochner-Weiß erinnerte ebenso daran wie die stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende und einstige Bürgermeisterin von Polling, Felicitas Betz. Diese nennt das Gespräch, in dem Zimmer ihr einst in ihrer Amtsstube von seinen Plänen berichtete, noch heute "einen Gänsehautmoment".

Bayerns Kunstminister Bernd Sibler zeigte sich beeindruckt davon, "wie die Stoa sich in die Landschaft einfügt" und nannte die Eröffnung "ein wichtiges Symbol, dass Kunst und Kultur trotz Corona zurück sind". Er lobte das Völker verbindende Moment der Stoa169, die mit immerhin 870 000 Euro vom Kulturfonds Bayern gefördert wird und nannte Zimmer "einen Ermöglicher". Im Hinblick auf die Widerstände verglich er die Stoa mit der Wieskirche und der Walhalla und fragte, ob jene Wahrzeichen bayerischer Kultur wohl heute noch gebaut werden könnten. Wobei er die derart auf Überwältigungsarchitektur gehobene Säulenhalle dann wieder erdete, indem er vom Spaziergang entlang der Ammer erzählte, auf dem er hingelangt sei. Was übrigens alle Besucher erleben dürfen. Denn die Wege zur Stoa führen am munter dahinplätschernden Flüsschen entlang. Sibler nannte das einen beinahe meditativen Moment und sprach vom "Staub des Alltags", den man abschüttele.

Auch Wolfgang Heubisch, einer von Siblers Vorgängern im Amt des Kunstministers, war voll des Lobes für die Stoa169. Diese sei "etwas Neues, aber nichts Zeitgeistiges" und prophezeite ihr: "Das wird ein Kulturtempel, davon bin ich überzeugt." Schließlich hob der Schriftsteller Tilman Spengler noch zu einem philosophischen Diskurs über die Kraft der Säulen und deren zivilisatorische Bedeutung an, lobte "die Poesie der Plastik" sowie "Schönheit und Witz" der Halle, bevor die Pollinger Blasmusik die Regionalität in der Internationalität betonte und auf ihre Art und Weise für Völkerverständigung warb.

Stoa169 bei Polling, www.stoa169.com

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SZ vom 15.09.2020
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