Seine wichtigste Erfahrung mit der "Stoa 169" benennt Bernd Zimmer kurz und bündig: "Die Menschen hören hier auf, laut zu sein." Der bunte Säulenwald wirkt im ersten Moment tatsächlich überwältigend. Doch dann setzt die Erkundung der Säulen ein. Jeder sucht sich seinen eigenen Weg und merkt erst ganz allmählich, dass hier mit Künstlern aus mehr als 50 Ländern die Weltgemeinschaft friedlich unter einem Dach vereint ist.
Mehr als 100 000 Besucher haben bereits vor der offiziellen Eröffnung am vergangenen Sonntag die Gelegenheit genutzt, die Säulenhalle mitten auf einer Wiese in der Nähe von Polling zu besuchen. Viele kommen öfter, genießen die entspannte Atmosphäre, das schwellenlose Archiv der zeitgenössischen Kunst mitten in der Natur, das keinen Eintritt kostet, dafür immer wieder Neuentdeckungen ermöglicht.
Die Säule des spanischen Konzeptkünstlers Santiago Sierra zum Beispiel. Ein völlig schmuckloses Zementteil, das nur als Vorwand dient, einem Menschen, der einen Job braucht, einen Arbeitsplatz zu geben und ihm ein Gehalt zu zahlen. Daher sitzt an einem Tisch neben der Säule der stämmige Tobias Weinzierl und beobachtet gelassen das Treiben. Was Kunst betrifft, sei er bisher eher unbedarft gewesen, sagt er. Aber das sei auch nicht seine Aufgabe. "Ich sitze nur hier." Gleich neben ihm lupft der Hermaphrodit des kolumbianischen Bildhauers Carlos Motta seinen Rock und provoziert ein bisschen.
Über das Projekt denkt Zimmer seit 30 Jahren nach
Initiator Bernd Zimmer erschütterte am Eröffnungstag freilich vor allem der Gedanke, dass es ihm und seiner Frau Nina tatsächlich gelungen ist, diesen langjährigen Lebenstraum zu verwirklichen. "Dass wir das gepackt haben ..." - ein bisschen scheint ihn das tatsächlich zu wundern. Seitdem der Maler im Winter 1989/90 in Südindien die Tempelanlagen der Hindus besichtigt hatte, dachte er, fasziniert von den mal hundert, mal tausend individuell gestalteten Säulen der Vorhallen, über das Projekt einer internationalen Künstlerhalle nach. Doch erst 2016 nach der zweiten Indienreise beschloss er, die Umsetzung nicht mehr zu verschieben. "In Zeiten von Kriegen und Hungersnöten, von Vertriebenen und Geflüchteten, ist es mir ein besonderes Anliegen, mit der Halle ein Zeichen für internationale Solidarität und Frieden zu setzen." Seinen kleinen Enkel interessiert das weniger. Der entdeckt lieber, dass sich Sigrún Ólafsdóttirs Stahlspirale, die sich an einer schwarzen Säule emporrankt, gut zum Klettern eignet. Die Halle funktioniert eindeutig generationenübergreifend.
Ganz am Anfang schwebten Zimmer auch Hunderte Säulen vor. Nach den ersten konkreten Plänen reduzierte er, wie der Name der Halle signalisiert, auf 169 Stelen, jetzt sind es 121 geworden, jede ein eigenständiges Werk. Eine mögliche Erweiterung will der Maler der nächsten Generation überlassen.
An diesem sommerlich leichten Sonntag wirkt die Umsetzung des Projekts fast spielerisch. Doch der 72-jährige Maler, der in den späten Siebzigern als Junger Wilder expressiv unterwegs war, hat jahrelang und sehr zäh quer durch die Institutionen verhandelt, Geldgeber und Mitstreiter für sein Projekt gewonnen. Ungezählt die Telefonate und Mails, in denen es um Zollvereinbarungen, Zeitpläne, pandemiebedingte Verzögerungen oder die enormen statischen Auflagen ging. Für den Gedankenaustausch mit Künstlern und Handwerkern blieb trotzdem Zeit, trotz der großen Entfernungen und der verschiedenen Zeitzonen.
Aufreibende Jahre
Aufregend, aber auch aufreibend seien die vergangenen drei Jahre gewesen, sagt Lena von Geyso vom Stoa-Team, während Kuratoriumsmitglied Franziska Leuthäußer das gigantische Engagement der Zimmers unterstreicht. "Die haben das zu zweit gerockt." Zimmer interpretiert rückblickend das positive Zusammenspiel als eine "Art Wunder", dankt jenen, die die Finanzierung ermöglichten, aber vor allem den Künstlern, die sich auf das Experiment eingelassen haben. Den Widerstand, den das Projekt erfuhr, verschweigt er nicht. Der sei aber weitgehend in sich zusammengebrochen, wenn auch manche weiter gegen den "Betonklotz in der herrlichen Natur" opponierten.
Dass die Stoa 169 eine Gemeinschaftsarbeit ist, unterstreicht besonders gut die Säule von Jochen Gerz. Sie verzeichnet die Namen aller Beteiligten, die der Künstler genauso wie die der Handwerker oder Baggerfahrer. Einige Plätze in der Mitteldiagonale sind noch frei. Sie sind den Kunstakademien vorbehalten. Die erste Säule kam aus München, die zweite aus Wien, die restlichen Stelen folgen in den nächsten Jahren. Nach einem Künstler aus der Antarktis sucht Zimmer noch. "Dann hätten wir alle sieben Kontinente unter einem Dach. Das wäre genau das Bild, das wir angestrebt haben."
Infos: https://stoa169.com/de