Stimmkreis Giesing:Zwischen Moschee und Milieuwandel

Rivalen im Süden: Im heterogenen Stimmkreis Giesing tritt die linke Rebellin Adelheid Rupp (SPD) gegen den konservativen Andreas Lorenz (CSU) an.

Joachim Käppner

Früher trafen sie sich in der Gaststätte "Freundschaft", brechend voll war der Saal bei Versammlungen und Festen, und wisst Ihr noch, die Emmi, wie sie gespielt hat mit der Ziehharmonika? 800 Mitglieder zählte die Arbeiterwohlfahrt in Giesing-Harlaching, sie half beim Wiederaufbau und versorgte die Armen, sie war eine politische Kraft im Quartier, eng mit der SPD verflochten. Das ist 50 Jahre her. "Wie viele sind heute noch im Altenclub?", ruft Emmi Hügenell, Veteranin der ersten Stunde. "Vier?" "Fünf!", ruft es zurück, alle fünf Damen sind anwesend.

Stimmkreis Giesing: Adelheid Rupp will das Direktmandat für die SPD holen.

Adelheid Rupp will das Direktmandat für die SPD holen.

(Foto: Foto: Schnellnegger)

Wer etwas über den Zerfall des Parteienmilieus erfahren will, kann viele kluge Abhandlungen lesen. Oder er kommt, zum Beispiel, in den Saal der Obergiesinger Arbeiterwohlfahrt. Das heißt, Arbeiterwohlfahrt sagen die Alten, im Neusprech heißt sie AWO, nur ist an diesem Tag keiner da, der das Kürzel benutzen würde. 16 sehr alte Damen und ein Herr verteilen sich im schmucklosen Raum.

Vorne sitzen zwei jüngere Vorstände, und Bewegung kommt in die Runde vor allem durch die Rednerin, die zwischen den Tischen steht und so schwungvoll gegen die CSU wettert, als predige sie vor einem vollen Bierzelt wider die soziale Kälte: "Bis heute gibt es keinen Armutsbericht in Bayern", schimpft die 50-jährige Vizevorsitzende der Bayern-SPD, und die "Altersarmut in diesem reichen Land ist weiblich". Adelheid Rupp rechnet vor, wie viel einer Rentnerin im teuren München zum Leben bleibt, das ist nicht viel. Zustimmendes Murmeln. Die Kandidatin beschwört den Wechsel. Was "vor einem Jahr noch Illusion war, ist heute möglich" - der Verlust der absoluten CSU-Mehrheit im Freistaat.

Teure Trachtenjacken und bodenständige Gesinnung

Einer, der genau das verhindern will, ist Andreas Lorenz. Ein schöner Frühherbstmorgen, es ist Markt in Solln, einer jener Märkte, bei dem zahlreiche Kunden durch teure Trachtenjacken bodenständige Gesinnung demonstrieren und wo bisweilen schöne junge Frauen ihre schönen Cabrios in zweiter Reihe parken, um schnell etwas einzukaufen. Solln, das ist wohlhabendes Bürgertum und somit ein Heimspiel für den Kandidaten Andreas Lorenz, der vor dem strategisch gut gelegenen Hendlstand seine Flyer verteilt, denen zufolge es Bayern am besten gehen wird, wenn alles bleibt, wie es ist. "Sie, das brauch' ich nicht, meine Stimme haben Sie sowieso", das bekommt Lorenz gleich mehrfach innerhalb einer Viertelstunde zu hören.

Lorenz ist jung, Geburtsjahr 1971, elegant gewandet und von gewinnendem Auftreten. Ist er nun einer derjenigen, welche jene moderne Großstadtpartei verkörpern, welche sich die Münchner CSU-Spitze um Josef Schmid und Otmar Bernhard so sehnlich wünscht? Lorenz war lange Stadtrat, einst war er mit Lederhose und Besen auf dem Marienplatz zu sehen, er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck: "Bin ich nicht ein flotter Feger?"

Über die Maßen ist er in der Stadtversammlung nicht aufgefallen, auch im Landtagswahlkampf wirkt er zurückhaltend. Er ist nicht der Typ Kandidat, der "die Klinken putzt" und von Haustür zu Haustür zieht: "Ich glaube nicht, dass uns die Leute lieber wählen, wenn wir sie daheim belästigen", sagt er; vielleicht hat er sogar recht. Den Vorwurf, den Wahlbezirk eher zögerlich zu durchmessen, gibt er jedenfalls an die Gegnerin weiter: "Wo war denn Frau Rupp bei den Bürgerversammlungen zur Moschee?"

Anti-Moschee-Kampagne

Die Moschee, da ist sie wieder, und betrachtet man sie als Prüfstein für die Großstadtpartei CSU, dann vertritt der Kandidat Lorenz klar erkennbar die erzkonservative Stammwählerschaft. Er beklagt die Art und Weise, wie "Rot-Grün die Moschee durchboxen wollte", bis das Verwaltungsgericht einen Bebauungsplan erzwang. Jenseits der verwickelten Details des Baurechtes weiß Lorenz wohl aber auch, dass die "Bürger für Sendling" und deren Anhänger ihm auf Stadtteilversammlungen nicht dafür zujubeln, dass die CSU den Bebauungsplan miterzwungen hat, denn sie wollen ja gar keine Bebauung und keine Moschee.

Wo also, wenn nicht bei der Großmarkthalle am Gotzinger Platz in Sendling, kann sich Andreas Lorenz eine Moschee vorstellen? Besser wäre doch, sagt er in Solln, gar keine Zentralmoschee in München zu errichten, sondern "regionale Gebetsstätten", denn niemand und zuletzt er wolle doch den muslimischen Mitbürgern die Religionsausübung verweigern; aber der geplante Bau in Sendling strahle doch "einen Geist der Dominanz" aus, den er, Lorenz, ablehne. Womöglich wären diese Einlassungen noch überzeugender, stünde der Kandidat nicht unmittelbar vor der Sankt-Johann-Baptist-Kirche, einem schönen alten Gotteshaus, dessen Ausmaße die der geplanten Moschee erheblich übersteigen.

Zwischen Moschee und Milieuwandel

Bei der Kommunalwahl im März erreichte die CSU mit ihrer Anti-Moschee-Kampagne in Sendling genau 26,6 Prozent. Hat sich das gelohnt? Moment, sagt Lorenz, das Sendlinger Ergebnis sei noch das beste gewesen in München; aber Sieger klingen anders.

Stimmkreis Giesing: Andreas Lorenz setzt darauf, dass die CSU die 13,7 Prozentpunkte Vorsprung von 2003 hält.

Andreas Lorenz setzt darauf, dass die CSU die 13,7 Prozentpunkte Vorsprung von 2003 hält.

(Foto: Foto: oh)

Wind des Wandels

München-Giesing ist ein heterogener Wahlkreis, Solln gehört dazu, das eher herbe Obergiesing und das kleinbürgerliche Sendling, das erst in jüngster Zeit die Jungen, Kreativen und vor allem Besserverdienenden anzieht, Vorboten eines allseits gefürchteten Strukturwandels. Adelheid Rupp mag, dass hier nicht alles so glatt ist, aber egal, ob arm oder reich, sie vermeint den Wind des Wandels zu spüren, ob sie am Stemmerbiohof Prospekte verteilt oder auf dem Landwirtschaftsfest die Tierhalle besucht: "Überall sagen gestandene CSU-Wähler: Eigentlich reicht es uns", erklärt sie.

Das Duell Lorenz gegen Rupp ist daher aufschlussreich, welche der Parteien den Milieuwandel besser aufzufangen vermag. Die Rechtsanwältin Adelheid Rupp, die lebhafte Linke, die den Freistaat mehrfach erfolgreich verklagt, gegen den Papst demonstriert hat und in der Partei wegen klarer Worte und eines ebenso klaren Willens zur Macht und zur Konfrontation nicht unumstritten ist; Andreas Lorenz, selbständiger Kaufmann für Kunststoffteile und Kandidat einer CSU, die sich im Wandel befindet.

Auch er hat intern an der Vergangenheit zu tragen, denn als einstiger Parteigänger des berüchtigten Strippenziehers Joachim Haedke erinnert er manche an die unselige Ära der Straußtochter Monika Hohlmeier, unter der Münchens CSU zum Intrigantenstadl verkam. Haedke hatte den Stimmkreis 103 zwar 2003 gewonnen, verzichtete aber wegen seiner Skandale auf eine erneute Kandidatur.

Piratenpartei statt CSU

Ein verregneter Samstag auf dem Marienplatz, Lautsprecher dröhnen, und Demonstranten wider staatliche Datenschnüffelei verteilen allerlei kuriose Handzettel, auf denen zum Verbot der CSU aufgerufen wird oder zur Unterstützung der Piratenpartei. Die SPD und die Grünen sind mit dabei, letztere mit grünen Fahnen, und so entsteht beim Betreten des Marienplatzes zunächst ein verblüffender Eindruck. Der große Platz ist voll mit grünen Mützen, Schals und Bannern - eine machtvolle Demonstration gegen den Überwachungsstaat? Erstaunlich mag erscheinen, dass viele Bierflaschen in den Händen halten - es sind nämlich nur die Fans des SV Werder Bremen, die durch die Stadt flanieren.

Vorne aber, vor dem Lautsprecherwagen, ist manch rot-grünes Personal zu finden, dabei auch die Kandidatin Rupp. Sie hat kein Problem mit etlichen Mitstreitern, die, hört man sie reden, offenbar so etwas wie einen bewaffneten Putsch der CSU fürchten. "Beim Ralf von der Piratenpartei haben sie eine Hausdurchsuchung gemacht", ruft einer am Mikro, Buhen einer bunten Mischung aus Linken, Punks und Datenschützern. "Ich würde gern weiter demonstrieren", sagt Rupp, "aber der nächste Termin ruft."

Adelheid Rupp rechnet sich Chancen aus, das Direktmandat zu gewinnen - anders als 2003, als alle Direktmandate an die CSU gingen. Gewinnt Rupp nicht, käme sie wegen des einwohnerreichen Stimmkreises und der Besonderheiten des bayerischen Wahlrechts wohl trotzdem in den Landtag. Aber die Symbolik eines Triumphs könnte aus ihrer Sicht schöner nicht sein: Frau gegen Mann, Rebellin gegen Establishment, Linke gegen Konservative. Der Stimmkreis 103 könnte belegen, "wie sich die Stimmung ändert im Land", sagt sie. Könnte. Ausgeschlossen ist es nicht. 13,7 Prozentpunkte Vorsprung hatte die CSU 2003, das ist, angesichts der Umfragen, eine hohe, aber nicht unüberwindbare Hürde.

"Die beiden Grantlköpfe da"

Lorenz sieht das zu seinem Leidwesen auch so. "Die beiden Grantlköpfe da", schimpft eine ältere Passantin in Solln über die CSU-Granden Erwin Huber und Günther Beckstein, "warum sollte ich die wählen?" Stoibers Bayern "stand für technischen Fortschritt und Wohlstand", grummelt Lorenz nachher, aber nun drohten all die Verdienste seiner Partei gerade im bürgerlichen Milieu vor lauter Dirndl-Debatten und Personalquerelen nicht mehr gewürdigt zu werden - lächerlich, meint er. "Es wird knapp", sagt er, "aber wir schaffen es."

Und was wäre, so unwahrscheinlich es sein mag, wenn in Bayern hessische Verhältnisse eintreten würden und ein Anti-CSU-Bündnis mit der Linken regieren könnte? Es ist interessant, was Adelheid Rupp dazu sagt, oder vielmehr: was nicht. Würde sie eine Duldung durch oder gar eine Koalition mit der Lafontaine-Truppe wagen? Die Kandidatin, sonst so beredt: "Ich sage dazu nichts."

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