Süddeutsche Zeitung

Stimmkreis Altstadt-Hadern:Busfahrer oder Ministrant

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Wie der Genosse Wörner den Stimmkreis Altstadt-Hadern gegen CSU-Jungstar Eisenreich zurückerobern will.

Wolfgang Görl

Nur zehn Meter sind die Kontrahenten voneinander entfernt, doch die Konfrontation bleibt aus. Es ist, als hätten die beiden Männer, die den Sieg im Stimmkreis Altstadt-Hadern unter sich ausmachen werden, eine stillschweigende Übereinkunft getroffen, die in etwa besagt: Den anderen, den ignorier ich nicht einmal.

SPD-Kandidat Ludwig Wörner, den blonden Schnurrbart hochgezwirbelt wie Kaiser Wilhelm selig, verteilt rote Luftballons und Info-Flyer; Georg Eisenreich von der CSU bringt seine Werbung ohne Luftballons, dafür aber mit Gratisbrezn unter die Leute. Wörner präsentiert sich als working class hero, der um die Sorgen und Nöte der kleinen Leute weiß; Eisenreich umgibt die Aura des dynamischen Jungpolitikers, der als Mitglied der Mehrheitspartei einen guten Draht nach oben hat.

Nun, das sind Klischees, doch den Wählern im Stimmkreis 101 wird, sofern sie auf die Volksparteien fixiert sind, tatsächlich eine Alternative geboten - jedenfalls, was den Politikertypus als solchen betrifft. Hier der Genosse Wörner, den man sich auch gut in der SPD zu Zeiten August Bebels vorstellen kann; dort der smarte Eisenreich, der die Laptop-Generation der Stoiber-CSU mustergültig verkörpert. Bei Wörner denkt man an sozialdemokratische Bierrunden im Hinterzimmer, bei Eisenreich an Sektempfänge in der Staatskanzlei. Wie gesagt: Klischees.

Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten. Eine davon ist, dass beide mit derselben Masche um Stimmen werben. Ein Spätsommersamstag auf dem Wochenmarkt in Fürstenried: Wörner wie Eisenreich geben sich bürgernah, zeigen Interesse an allem, was man an sie heranträgt - selbst wenn es nur um weggeworfene Zigarettenkippen geht, für die nun wirklich nicht der Landtag zuständig ist. Jeder soll die Botschaft registrieren: Hallo, wir sind Politiker zum Anfassen!

Es ist nur so, dass sich die Leute auf dem Markt meist mehr für Kartoffel und Kopfsalat interessieren als für die Finessen der Landespolitik. Das umworbene Volk lässt sich grob in drei Gruppen aufteilen: Die einen hasten mit Tunnelblick an den Kandidaten vorbei, als seien diese aufdringliche Bettler. Die anderen nehmen nur das CSU-Flugblatt und verschmähen die Schriften der SPD. Und die Dritten machen es genau umgekehrt: Sozi-Reklame einsacken, die CSU-Hochglanzbroschüre links liegen lassen.

Im Wahlkreis 101 wird es wohl knapp hergehen. Vor fünf Jahren war das anders, da hatte Eisenreich leichtes Spiel, den Kontrahenten Wörner um 12000 Erststimmen abzuhängen. Im Landtag sah man sich trotzdem wieder, denn Wörner kam über die Liste ins Parlament. Damals war die Welt der CSU noch in Ordnung. Stoiber regierte, Frau Pauli war nur im Raum Fürth bekannt, und Beckstein spielte als aussichtsloser Kronprinz eine ähnliche Rolle wie Prince Charles in England.

Folglich fuhr die CSU überall Rekordergebnisse ein. Mittlerweile regiert der Franke Beckstein, die CSU ist bei der Kommunalwahl im Frühjahr gehörig gerupft worden. Schlechte Vorzeichen für Eisenreich. Und dann dieser Wörner - ein unangenehmer Gegner. Ein alter Hase, beliebt bei den Mühseligen und Beladenen, weil er gegen Immobilienspekulanten, Abzocker und Lohndrücker wettert. Dazu Jürgen Lochbihler von den Freien Wählern, der als Streiter fürs freie Rauchen frischen Wind ins Parlament bringen will. Auch er könnte den CSU-Bewerber Stimmen kosten.

Andererseits darf Eisenreich Zuversicht aus dem Zustand der Sozialdemokratie schöpfen. Magets SPD verkörpert in der Politik, was der TSV 1860 im Fußball ist: ein Klub, der stets vom Aufstieg träumt, obwohl es bergab geht. Zu allem Überfluss hat Wörner noch die Linke am Hals, deren oberbayerischer Spitzenkandidat im selben Wahlkreis antritt.

Fritz Schmalzbauer ist Gewerkschafter wie Wörner. War zudem Sozi. Hat den Stallgeruch der SPD noch am Leib. Es kann gut sein, dass Stammwähler zu ihm überlaufen. Ganz zu schweigen von Anhängern der Grünen: Die zu überzeugen, Wörner die Erststimme zu geben und nicht der eigenen Landesvorsitzenden Theresa Schopper, wird schwierig.

Kampf um jede Stimme

Trotzdem ist Wörner zuversichtlich, es diesmal zu packen. So wie 1998, als er das Direktmandat mit Hurra erobert hat. Allerdings, der Stimmkreis war kleiner und anderen Zuschnitts. Mittlerweile hat man Wörners Terrain mit CSU-Hochburgen angereichert, was der SPD-Mann für eine fiese Tour der Christsozialen hält, um die Siege zu sichern. Überhaupt die CSU! Seit die Partei 2003 eine Zweidrittelmehrheit errungen hat, "wird im Landtag nicht mehr diskutiert, die stimmen einfach nur ab". Basta. Zudem wirft Wörner den Abgeordneten der bayerischen Regierungspartei Doppelzüngigkeit vor: "Da gibt es welche, die öffentlich sagen, sie sind gegen die Gentechnik, und im Landtag stimmen sie dafür."

Gentechnik ist eines der Themen, mit denen Wörner punkten möchte. Wenn es nach ihm geht, dürfen in Bayern weder gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut noch Tiere mit Futter aus Genlabors versorgt werden. Für gentechnisch behandelte Lebensmittel fordert Wörner die Kennzeichnungspflicht. Auf dem Wochenmarkt kommt das gut an.

Dabei ist es nicht so, dass Wörner den Leuten nach dem Mund redete. Als ein älterer Herr die Türken als "unqualifizierte anatolische Zuwanderer" abqualifiziert, hält er dagegen: "Wenn Sie mal ins Krankenhaus müssen, werden Sie froh sein, dass es dort Migranten gibt, die Sie pflegen." Der Disput wogt hin und her, dann ist der Mann bedient: "Das ist nicht mehr meine bayerische Heimat." Dessen Stimme muss Wörner wohl verloren geben.

Ludwig Wörner, 1948 in Zwiesel geboren, war von 1971 bis 1990 Straßenbahn- und Busfahrer bei den Stadtwerken, als deren Gesamtpersonalratsvorsitzender er acht Jahre lang fungierte. Er ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Wohnungsgenossenschaft München West, der größten ihrer Art in Bayern, dazu Landesvorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) und Vorsitzender des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe.

"Früher galt ich in der SPD als ,Kanalarbeiter', als Rechter, weil ich in der Gewerkschaft bin, und heute gelte ich als Linker." Aber da gibt es noch andere Linke, ehemalige Genossen oft, die sich der Linkspartei angeschlossen haben. Dass sie der SPD von der Fahne gegangen sind, hält Wörner für "Verrat an den Arbeitnehmern". Mit Blick auf Schmalzbauer sagt er: "Ich finde es schlimm, wenn ausgerechnet Gewerkschafter, die die Einigkeit stärken müssten, sich absetzen. Sie schwächen die Position der sozialen Demokratie."

Ludwig Wörner ist der SPD treu geblieben. Mit seinem roten "Mindestlohnmobil", einer dreirädrigen italienischen Ape, braust er durch die Stadt, um den Münchnern seine Botschaften zu übermitteln: Mieterschutz, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Ganztagsschulen, bessere Lebensbedingungen für alte Menschen. "Das sind zentrale Aufgaben, bei denen die CSU versagt hat." Doch auch den Sozialdemokraten schlägt da und dort Misstrauen entgegen. Eine Frau schimpft in Richtung Wörner: "Ihr seid Arbeiterverräter."

Georg Eisenreich hat an seinem Infostand in Fürstenried weniger mit erhitzten Gemütern zu kämpfen. In Bügelfaltenhose und gestreiftem Hemd verteilt der 37-jährige Rechtsanwalt seine Flugblätter, er ist der Typ Sonnyboy, der gerade bei reiferen Damen prima ankommt. "Ach Herr Eisenreich, Sie sind immer so fotogen", schäkert eine Mittfünfzigerin. Eisenreich lächelt geschmeichelt.

Eines muss man ihm lassen: Als Gschaftlhuber wie der mittlerweile abgehalfterte CSU-Jungmann Haedke tritt er nicht auf. Er präsentiert sich zurückhaltend, beinahe schüchtern. Man würde sich nicht wundern, stellte er sich mit den Worten vor: "Entschuldigen Sie bitte, aber ich wär' der Kandidat der CSU." Andererseits versäumt er es auch nicht, Tatkraft zu demonstrieren. Als ein Mann wissen will, was aus dem Brief, den er vor Wochen an Beckstein geschrieben hat, wohl geworden ist, fackelt Eisenreich nicht lange. Er notiert Namen und Adresse und signalisiert: Ich kümmere mich darum.

Eisenreich ist in München geboren, die Eltern stammen aus Niederbayern. Sein Großvater war dort Bürgermeister, CSU selbstverständlich. "Es war großartig, wenn der Opa von der Politik erzählt hat." Eisenreich war so beeindruckt, dass er schon als junger Mensch in die Politik gegangen ist - das heißt: in die Junge Union. Was folgte, ist nahezu prototypisch für einen strebsamen CSU-Jungpolitiker: Wahl zum Ortsvorsitzenden, dann CSU-Chef im Kreis München-Süd, später Stadtrat und schließlich, seit 2003, Landtagsabgeordneter. Umso überraschender, dass sich Eisenreich nebenher als Kabarettist betätigt - und zwar mit Talent. "Der Mann ist nicht übel, der ist gut sogar", schrieb seinerzeit die SZ.

"Ich gehöre zu den Jüngeren in der CSU, die frischen Wind hereinbringen", sagt Eisenreich. Dabei betrachtet er sich vor allem als Modernisierer in der Bildungspolitik. Nicht, dass er das dreigliedrige Schulsystem umkrempeln möchte - so weit geht der Reformeifer nicht. Aber Eisenreich sieht noch Defizite im Schulangebot von Großstädten. Hier sei die Ausgangslage eine andere als auf dem Land: "In der Großstadt leben mehr Migrantenkinder, mehr Alleinerziehende, in mehr Familien müssen beide Elternteile arbeiten, um den Lebensunterhalt im teuren München zu verdienen."

Was also ist zu tun? Eisenreich empfiehlt, die Früh- und Sprachförderung, insbesondere für Migrantenkinder, auszubauen, und "rhythmisierte Ganztagsangebote" für alle Schularten einzurichten. "Allerdings darf es keine Verpflichtung zum Besuch von Ganztagsklassen geben."

Ein junger Wilder, der das traditionelle Wertesystem der CSU aus den Angeln zu heben strebt, ist Eisenreich nicht. Als ehemaliger Ministrant hält er es mit den christlichen Werten, sie bieten ihm ebenso Orientierung wie das bayerische Lebensgefühl. "Ich bin sowohl konservativ als auch liberal." Kaum zu überhören ist, dass er den Abgang Edmund Stoibers bedauert. "Stoiber ist ein herausragender Politiker, der Bayern zur Nummer eins gemacht hat." Beckstein sei ein ganz anderer Typ, aber ebenfalls ein "hervorragender Ministerpräsident". Dessen ungeachtet werde die CSU Stimmen verlieren, bedauerlich zwar, aber: "Ich bin überzeugt , dass ich gewinne."

Während Ludwig Wörner mit dem feuerroten Mindestlohnmobil schon zum nächsten Einsatzort gerauscht ist, verteilt Eisenreich unverdrossen Flugblätter unter dem weißblauen Sonnenschirm der CSU. Es geht ruhig zu auf dem Fürstenrieder Wochenmarkt. Kein Raucher lässt Dampf ab, weil er sich von der CSU gegängelt fühlt, keiner der üblichen Krakeeler taucht auf, um die Politiker allesamt zum Teufel zu wünschen. Einem Ehepaar legt Eisenreich ans Herz, in der Familie und bei Bekannten für ihn zu werben. "Brauch ma ned", lautet die Antwort. "Die wählen sowieso CSU."

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Quelle:
SZ vom 08.09.2008/sonn
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