Prozess vor dem Landgericht:"Alles unterschreiben und später so tun, als gelte das nicht?"

Prozess vor dem Landgericht: Stephan Mahlert und Robert Hobelsberger (von links, vor dem Justizpalast).

Stephan Mahlert und Robert Hobelsberger (von links, vor dem Justizpalast).

(Foto: Robert Haas)
  • Zwei Unternehmensberater haben die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe (SDSH) verklagt, weil ein geschlossener Vertrag plötzlich nicht mehr existieren soll.
  • Den Schaden beziffern sie mit 25 Millionen Euro.
  • Die Stiftung entgegnet, dass der Vertrag die Stiftung ausgebeutet und ihre Gemeinnützigkeit gefährdet hätte.

Von Stephan Handel

Das Gespräch, das alles beendete, alle Pläne, alle Hoffnungen, alle Träume vielleicht sogar, dauerte nicht einmal zwei Minuten. Es endete mit dem Satz, der meistens bedeutet, dass nichts beendet ist: "Sie hören von unseren Anwälten." Das Gespräch ist jetzt sechs Jahre her. Seitdem haben Stephan Mahlert und Robert Hobelsberger mehr von Anwälten gehört, als ihnen lieb sein kann.

Mahlert und Hobelsberger, zwei Münchner Unternehmensberater, haben sich mit einem Großen angelegt: Am Landgericht München I haben sie die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe (SDSH) verklagt, die ins Leben gerufen wurde von Liz Mohn, starke Frau beim Bertelsmann-Konzern, der 117 000 Mitarbeiter hat und 17,6 Milliarden Euro Jahresumsatz laut Geschäftsbericht 2018. Für die SDSH sollten Mahlert und Hobelsberger nach Wegen suchen, deren Produkte zu vermarkten, denn die Spendenbereitschaft sank, wie Liz Mohn in Interviews beklagte. Der Plan war, ein Vermarktungsunternehmen zu gründen, mit Mahlert, Hobelsberger und der damaligen SDSH-Geschäftsleiterin als Geschäftsführern. Diese Firma sollte von der Stiftung Lizenzen für deren Produkte erhalten und dafür im Gegenzug zehn Prozent der Erlöse an die SDSH bezahlen, die das Geld für ihre satzungsgemäßen Zwecke verwenden wollte: Aufklärung, Förderung und Hilfe rund um das Thema Schlaganfall.

Doch als ein "Vermarktungs- und Verwertungsvertrag" verhandelt, aufgesetzt und unterschrieben war, da fing der Ärger an. Mittlerweile hatte nämlich die Stiftung die Unternehmensberatung McKinsey mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Die soll ein enormes Potenzial für die Vermarktung der Produkte ergeben haben, etwa für Quis, den Qualitätsorientierten Leitfaden Schlaganfallanalyse, mit dem Kliniken und Kostenträger ihre Schlaganfallversorgung optimieren können. Kurz nachdem die Stiftung von dem Ergebnis der Studie erfahren hatte, wollte sie nichts mehr von dem bereits unterschriebenen Vermarktungsvertrag wissen. Stephan Mahlert kann sich den Meinungsumschwung bei der Stiftung in Gütersloh nur so erklären: "Die haben gesehen, wie viel Geld da drin steckt, und haben sich gedacht: Dann machen wir's doch lieber selber."

Die drei Neu-Geschäftsführer ahnten nicht, was sich da über ihnen zusammenbraute. Sie gründeten ihre Firma CC4Y, ließen sie ins Handelsregister eintragen, fanden einen Investor, der bereit war, 15 Millionen Euro zu investieren, und die Stiftung gab eine Pressemitteilung über den neuen Vertriebsweg heraus. Darin wird Brigitte Mohn zitiert, Tochter von Liz Mohn und zum damaligen Zeitpunkt Vorstand der Stiftung: "Dadurch kommen die Ideen und Entwicklungen der Stiftung vielen Menschen zugute. Die Stiftung gibt ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb in weiten Teilen ab und kann sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren."

Das geschah Ende 2012. Mittlerweile aber hatte die Stiftung - ohne Wissen von CC4Y, sagt Mahlert - die Porsche Consulting mit der Suche nach anderen Vertriebswegen beauftragt. Diesen soll der bereits unterschriebene Vertrag mit CC4Y im Weg gestanden haben. Deshalb schrieb der damalige SDSH-Geschäftsleiter am 25. Januar 2013 an Brigitte Mohn: "Ich gehe davon aus, dass der ,alte' Vertrag, der von Ihnen gezeichnet wurde, im Original mittlerweile vernichtet und dem ,Schrätter' zugeführt wurde. Sollte dies noch nicht passiert sein, bitte ich Sie recht herzlich, dies umgehend zu veranlassen."

Mahlert und Hobelsberger waren fassungslos: Die Stiftung behauptete, es gebe überhaupt keinen Vertrag mit ihnen - obwohl sie doch wusste, dass unterschriebene Exemplare bei CC4Y lagen. Die offizielle Beendigung der angebahnten Geschäftsbeziehung fand dann bei dem zweiminütigen Gespräch statt, am 5. März 2013.

Der Vertrag sei sittenwidrig, so die SDSH-Anwälte

Bertelsmann-Stiftung

Liz und Brigitte Mohn von der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe.

(Foto: Kai Pohlkamp/dpa)

Knapp ein Jahr später, am 12. Februar 2014, reichte CC4Y beim Landgericht München I eine Klageschrift ein, machte Schadensersatzansprüche "aufgrund schuldhafter Vertragspflichtverletzung" geltend. Den Schaden bezifferte die Firma später auf 25 Millionen Euro. Die beklagte Schlaganfall-Stiftung reagiert massiv - in der ersten Klageerwiderung stellten ihre Anwälte die Behauptung auf, die CC4Y-Geschäftsführer hätten in den Vertrag Bedingungen "hineingeschmuggelt", die die Stiftung "in unvorstellbarer Weise ausbeuten" und sie "wirtschaftlich enteignen" sollten.

Der Prozess vor dem Münchner Landgericht beginnt im März 2015. Die Argumentation der Stiftung ist kompliziert. Für Mahlert und Hobelsberger ist sie absurd. Der Vertrag sei sittenwidrig, so die SDSH-Anwälte, weil die Stiftung durch ihn ihre Gemeinnützigkeit hätte verlieren können. Stiftungsvorstand Brigitte Mohn sei deshalb auch nicht bevollmächtigt gewesen, ihn zu unterschreiben. Die beiden Kläger hingegen versichern, dass den Vertragsentwurf von der Stiftung beauftragte Anwälte ausgearbeitet hätten und dass sie selbst "kein Komma" daran verändert hätten. Außerdem: Liz Mohn führt einen Milliarden-Konzern und etliche Stiftungen - können sie und ihre Tochter sich wirklich darauf berufen, sie seien ehrenamtlich tätige Laien ohne eigenen Sachverstand im Gemeinnützigkeitsrecht?

Der komplexe juristische Sachverhalt ist nur eine Seite der mittlerweile mehr als vier Jahre währenden Prozessgeschichte - die andere ist eine Vielzahl von Behauptungen durch die Anwälte der Stiftung, die Mahlert und Hobelsberger jeweils mühsam widerlegen müssen. So soll die Stiftung keinen unterschriebenen Vertrag erhalten haben - warum, so fragen die Kläger, legt dann der Geschäftsleiter soviel Wert darauf, dass dieser geshreddert werde? Die Stiftung zweifelte zunächst auch an, dass die Unterschrift auf dem Vertrag tatsächlich von Brigitte Mohn stammt - bei ihrer Zeugenaussage im Dezember 2017 sagt sie dann aber: "Sowohl auf dem Vertrag als auch auf dem Anhang befindet sich meine Unterschrift."

Der Prozess gipfelt am 13. März 2019 im Auftritt eines Gutachters, eines Wirtschaftsprüfers und Sachverständigen für Gemeinnützigkeitsrecht. Er sagt, dass der Vertrag mit CC4Y tatsächlich problematisch für die Gemeinnützigkeit der Stiftung gewesen wäre - dass aber ein anderer, späterer Vertragsentwurf, "berechtigte Chance" gehabt hätte, von der Finanzverwaltung anerkannt zu werden. Dieser Entwurf entstand etwa zum Zeitpunkt, als die Stiftung die Zusammenarbeit mit CC4Y aufkündigte. Da, finden Mahlert und Hobelsberger, hätte man doch mit ihnen reden und die Vereinbarung eventuell anpassen können.

Als der Sachverständige sein Gutachten vorgetragen hat, passiert dreierlei: Der Anwalt der Stiftung bestreitet nichts mehr von dem, was die Kläger vorgetragen hatten, er stellt alles "unstreitig". Liz Mohn, die als Zeugin geladen ist und in einem Hotel nahe dem Justizpalast wartet, muss deshalb nicht mehr aussagen. Und auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung schickt der SDSH-Anwalt eine siegesgewisse Stellungnahme: "Wir erwarten, dass die Stiftung aus diesem Verfahren unbeschädigt hervorgeht (...). Wir erwarten, dass die Klage der CC4Y am 8. Mai abgewiesen wird." Weitere, konkrete Fragen zu einzelnen Vorgängen wollen trotz mehrmaliger Nachfragen weder Anwalt noch Stiftung beantworten.

An diesem Mittwoch wird das Gericht voraussichtlich ein Urteil verkünden, Mahlert und Hobelsberger sind sich nach dem Sachverständigen-Gutachten im Klaren, dass sie höchstwahrscheinlich verlieren werden, dass das Gericht den Vertrag als sittenwidrig und damit unwirksam einstufen wird. Sie stellen sich dennoch die Frage: "Kann denn der Vorstand einer Stiftung alles unterschreiben und später unter Berufung auf die Gemeinnützigkeit so tun, als gelte das nicht?" Die beiden Unternehmensberater, 59 und 50 Jahre alt, haben bislang mehr als 500 000 Euro in den Prozess investiert und stehen nun vor der Entscheidung, ob sie weitermachen, in Berufung gehen. "Das geht schon so lange", sagt Stephan Mahlert, "ich glaube nicht, dass wir jetzt aufhören können."

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