Süddeutsche Zeitung

Stickstoffdioxid:München klagt gegen Abgas-Urteil

  • Die Stickstoffdioxid-Grenzwerte müssen strikt eingehalten werden - notfalls auch mit einschneidenden Maßnahmen, so lautet ein Urteil des Verwaltungsgerichts.
  • Die Vollversammlung des Stadtrats hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, ein Berufungsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof zu beantragen.
  • Grüne, Linke und ÖDP sprachen sich gegen das Berufungsverfahren aus.

Von Dominik Hutter

Die Stickstoffdioxid-Grenzwerte müssen strikt eingehalten werden - notfalls auch mit einschneidenden Maßnahmen: Dieses im Juni gefällte Urteil des Verwaltungsgerichts will die Stadt München nicht akzeptieren. Die Vollversammlung des Stadtrats hat sich am Mittwoch mehrheitlich dafür ausgesprochen, zusammen mit dem Freistaat Bayern ein Berufungsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof zu beantragen.

Die Begründung der Richter in der ersten Instanz sei in vielen Punkten fehlerhaft gewesen, kritisierte Umweltreferentin Stephanie Jacobs. "Wir als Kommune sollen einen Gordischen Knoten zerschlagen, ohne das Handwerkszeug dafür zu haben." Weder die Stadt noch der Freistaat Bayern seien befugt, die Blaue Plakette oder eine City-Maut einzuführen.

Jacobs fürchtet einschneidende Folgen für Münchner Autofahrer, falls nun in aller Eile die Anforderungen für die Einfahrt in die Umweltzone verschärft werden. Denn anders als beim Feinstaub helfe diesmal der nachträgliche Einbau von Filtern nicht weiter - ältere Dieselautos müssten also kurzfristig von der Straße verschwinden. Jacobs mahnte zur Verhältnismäßigkeit und verwies auf ein vom Umweltministerium initiiertes Gutachten, in dem derzeit die Chancen für eine Reduzierung des Verkehrs ausgelotet werden.

Diese Bemühungen habe das Gericht ignoriert. Die Einführung einer Blauen Plakette, die nur auf Autos mit geringem Stickoxidausstoß prangen darf, habe der Stadtrat bereits prinzipiell zugesagt. Allerdings gebe es dafür bislang ebensowenig eine Rechtsgrundlage wie für die City-Maut. Beides müsse in Berlin entschieden werden.

Grüne, Linke und ÖDP sprachen sich gegen das Berufungsverfahren aus. Der Richterspruch sei wichtig "im Sinne der Umwelt, Gesundheit und Lebensqualität", erklärte Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Was Stadt und Freistaat für die Sauberkeit der Luft unternähmen, reiche schlicht nicht aus. "Wo es die rechtlichen Voraussetzungen noch nicht gibt, muss man sie schaffen."

Blaue Plakette unter Vorbehalt

Die Grünen warfen der rot-schwarzen Stadtratsmehrheit vor, eine auto-orientierte Politik zu betreiben. Die Stadtspitze habe Vorschläge des Freistaats zur Luftreinhaltung sogar noch entschärft, sagte Stadtrat Dominik Krause. So sei die Blaue Plakette nur unter Vorbehalt beschlossen worden - das Umweltministerium habe ursprünglich ein verbindliches Ja vorgeschlagen. Die Grünen setzen neben City-Maut und Blauer Plakette auf die autofreie Altstadt und mehr Elektrobusse.

CSU-Fraktionsvize Manuel Pretzl bezeichnete die Argumentation der Grünen als enttäuschend. "Wenn wir eine Messstation für heiße Luft hätten, hätten Sie den Jahresgrenzwert bereits überschritten", ätzte Pretzl in Richtung der Grünen-Bank. Das Rathaus gehe sehr verantwortungsvoll mit dem Problem um. Eine City-Maut gebe lediglich einkommensstarken Autofahrern die Chance, sich von der Verantwortung freizukaufen und mit jedem noch so umweltschädlichen Fahrzeug in die Innenstadt zu fahren.

"Das ist nicht sinnvoll", findet auch Ingo Mittermaier, der Verkehrssprecher der SPD. Mittermaier machte die Europäische Union für die Misere verantwortlich. Dort würden zwar den Kommunen Vorgaben gemacht. Da, wo die EU aber selbst etwas bewirken könne, versage sie total: bei ehrgeizigen Schadstoffnormen für Neufahrzeuge. FDP-Mann Michael Mattar wies die Brüssel-Schelte zurück und kritisierte die Fixierung der Bundesregierung auf Dieselfahrzeuge.

Streng genommen hatte der Verkehrsclub Deutschland (VCD) nicht die Stadt, sondern den Freistaat verklagt. Die Kommune kann als offiziell Beigeladene aber trotzdem Rechtsmittel einlegen - und so den Freistaat unterstützen.

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SZ vom 21.07.2016/dit
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