"Luftschadstoffmessungen" steht in großen Buchstaben auf der Aluminiumbox. Sie ist auf einen Fahrradanhänger montiert, Mark Wenig sitzt vorne auf dem Rad und zieht die bis zu 80 Kilogramm schwere Kiste durch München. Viele Menschen macht das neugierig. In einer Nebenstraße im Stadtteil Gern fragt eine Frau, was denn hier gemessen werde. Mark Wenig antwortet: "Stickstoffdioxid und Feinstaub." Das lässt die Dame aufhorchen. Sie leide seit einiger Zeit an Kopfweh und schlafe schlecht, sagt sie. Sie glaube, das hänge auch mit der schlechten Luft in der Stadt zusammen. Zum Beispiel mit dem Stickstoffdioxid NO₂. Die Grenzwerte der Europäischen Union werden in München regelmäßig überschritten.
Mark Wenig, Professor am Meteorologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität, will bei seiner Testfahrt zusammen mit der SZ das Ergebnis noch nicht vorwegnehmen. Dabei hätte er die Frau beruhigen können: In dieser Nebenstraße beim Dantebad liegt der NO₂-Wert zwischen zehn und 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und damit im sehr sauberen Bereich. Obwohl es gerade 17 Uhr ist, Hauptverkehrszeit also. Ein paar Hundert Meter weiter allerdings, an der Kreuzung Dachauer Straße und Landshuter Allee, zeigte das Messgerät kurz zuvor 230 Mikrogramm an. Hier würde er nicht unbedingt wohnen wollen, hat Wenig da angemerkt.
NO₂ steht seit Monaten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Städte wie München oder Stuttgart überschreiten die Grenzwerte teilweise deutlich. Was auch daran liegt, dass viele Autos mit Dieselantrieb viel mehr Stickstoffdioxid rausblasen, als vom Hersteller angegeben. Den betroffenen Autobesitzern drohen Fahrverbote in den Städten. In Hamburg sind bereits zwei Straßenabschnitte für alle Modelle mit der Abgasnorm Euro 5 oder schlechter gesperrt.
Zu den Leidtragenden der zu hohen Schadstoffwerte gehören die Radfahrer. Oft genug leitet sie die Verkehrsinfrastruktur direkt neben oder zwischen fahrende Autos und damit nahe an die Quellen der schlechten Luft. Was genau die Radfahrer auf ihren Touren durch die Stadt an Schadstoffen einatmen, ist bislang allerdings kaum erforscht. Stationäre Messstationen errechnen in den Städten Mittelwerte, weil es dafür Grenzwerte gibt: Das Stundenmittel sollte 200 Mikrogramm nicht überschreiten, das Jahresmittel 40 Mikrogramm. Eine höhere Konzentration soll die Gesundheit der Menschen beeinträchtigen. Doch was atmen die Radfahrer ein? Und ist das gefährlich?
Mark Wenig hat ein Messsystem gebastelt, um diese Fragen zu beantworten. Und noch einige mehr. In der Alubox des Professors liegen Messgeräte für NO₂, Feinstaub, Ozon und Kohlendioxid. Dazu bis zu drei Autobatterien, um den nötigen Strom zu liefern. Er sagt, man müsse gerade bei der Debatte um Stickstoffdioxid viel mehr mobile Messungen durchführen. "Die paar Messpunkte sind nicht repräsentativ für eine ganze Stadt." Doch aufgrund dieser wenigen Werte würde dann vor Gerichten geklagt, würden politische Entscheidungen getroffen. "Ich denke, man braucht eine bessere Datengrundlage für die Entscheidungen." Deshalb die Radtouren durch München.
Die wichtigsten Ergebnisse der ersten Testfahrten, immer durch den Berufsverkehr am Morgen oder am späten Nachmittag, lauten: Es gibt Straßen und Wege, wo die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als bedenklich eingestuften 200 Mikrogramm NO₂ pro Kubikmeter Luft erreicht wurden. Zum Beispiel in der Paul-Heyse-Unterführung, was keine Überraschung ist, weil sich im Tunnel schlechte Luft staut. Auch im dichten Verkehr auf der anschließenden Paul-Heyse-Straße und der Schwanthalerstraße, wo es keinen Radweg gibt, blieben die Werte hoch. Eine Fahrt neben dem Stau in der Gabelsbergerstraße führte durch Werte bis zu 160 Mikrogramm. Doch es gab auch viele Stellen, wo die Werte unter 40 Mikrogramm blieben. Selbst Fahrten an viel befahrenen Straßen bedeuteten nicht automatisch steil ansteigende NO₂-Konzentrationen.
"Das ist alles sehr variabel", sagt Mark Wenig. Weht der Wind, verflüchtigt sich Stickstoffdioxid schnell. Wenn auf einer Straßenseite hohe Werte herrschen, kann auf der anderen Seite alles in Ordnung sein. "Stickstoffdioxid und verkehrsabhängige Luftschadstoffe sind unmittelbar an viel befahrenden Straßen erhöht, nehmen aber nach 50 Metern in der Regel je nach Windrichtung und Bebauung deutlich ab. Nach 100 Meter ist man wieder im städtischen Hintergrund", erklärt Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt.
Wie hohe NO₂-Werte die Gesundheit direkt beeinträchtigen, ist umstritten. Die Testfahrten ergaben, dass Radfahrer zeitweise dichten Konzentrationen ausgesetzt sind, kurz darauf radeln sie aber wieder in guter Luft. Radfahren ist allerdings eine sportliche Aktivität, je nach Anstrengung sind die Lungen weiter geöffnet, atmet der Mensch schneller und tiefer. Die WHO sowie Gremien der Europäischen Union und der USA warnen vor negativen Wirkungen auf die Atemwege vor allem bei Allergikern, wenn die Menschen eine Weile sehr hohen Konzentrationen von Stickoxiden ausgesetzt sind. Bei so kurzen Schüben wie während einer Radtour durch die Stadt sind die Prognosen zurückhaltender. Peters sagt: "Kurzfristig hohe Konzentrationen können wir ganz gut puffern." Sie glaubt, man müsste den Mittelwert errechnen, den ein Fahrer auf seiner Strecke einatmet, um dann zu sehen, wie stark er belastet ist. Sonst könne man die Messungen kaum mit den offiziellen Grenzwerten in Verbindung bringen.
Allerdings verweist sie auch darauf, dass die Bewegung beim Radfahren der Gesundheit sehr zuträglich sei, was selbst in einer Großstadt die etwaigen Nachteile durch Schadstoffe in der Luft mehr als kompensiere. Natürlich sei körperliche Aktivität in sauberer Luft aber besser als in schmutziger Luft. Andere Wissenschaftler wie Rudolf Jörres von der Ludwig-Maximilians-Universität München zweifeln daran, dass selbst eine akute NO₂-Konzentration von weit mehr als 200 Mikrogramm negative Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben.
Mark Wenig und seine Studenten wollen weiter mit dem kleinen Labor im Radanhänger durch die Straßen fahren und die Schadstoffe in der Luft messen. Aufgrund der Witterung und des Verkehrsaufkommens können die Werte von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde selbst an der gleichen Straße stark variieren. So waren die Forscher zunächst überrascht, dass bei der ersten Testfahrt an der Landshuter Allee Richtung Arnulfstraße recht wenig Stickstoffdioxid angezeigt wurde, gilt der Abschnitt des Mittleren Rings doch als besonders belasteter Ort. Wenig veranlasste deshalb weitere Fahrten an der Landshuter Allee, bei denen das Gerät dann doch mehr als 100 Mikrogramm NO₂ pro Kubikmeter Luft anzeigte. Bisweilen spielt eben auch der Zufall eine Rolle, welche Luft die Radfahrer auf ihren Wegen durch die Stadt gerade einatmen.