Süddeutsche Zeitung

Stickstoffdioxid-Belastung:Diesel-Fahrverbote: Umwelthilfe kündigt Klage gegen jede Ausnahme an

  • Die Deutsche Umwelthilfe will in den nächsten Tagen neue Daten vorstellen, die belegen sollen, dass vermeintlich abgasarme Dieselmotoren tatsächlich enorm hohe Emissionen hätten.
  • Deshalb fordert die Organisation ein Diesel-Fahrverbot ohne Ausnahmen.
  • Münchens OB Dieter Reiter (SPD) kündigt an, die von ihm angestoßene Debatte über Fahrverbote schnell fortführen zu wollen.
  • Die CSU im Stadtrat hingegen warnt vor einer Quasi-Enteignung der Besitzer von Diesel-Autos.

Von Nina Bovensiepen und Dominik Hutter

In der Debatte über die hohe Luftbelastung in München hat die Deutsche Umwelthilfe ein Diesel-Fahrverbot ohne Wenn und Aber gefordert. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch kündigte an, notfalls vor Gericht die Aussperrung auch von Autos der aktuellen Abgasnorm Euro 6 zu erstreiten.

Diese Fahrzeuge will Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der sich offen für Diesel-Fahrverbote zeigt, eigentlich verschonen. Laut Resch sind viele davon aber "um ein Mehrfaches schmutziger als zehn Jahre alte Euro-4-Diesel".

Neueste Messungen der Umwelthilfe, die Resch in den nächsten Tagen vorstellen will, belegten, dass weiterhin illegale Abschalteinrichtungen in Euro-6-Motoren verwendet würden und dass die tatsächlichen Emissionen bei mehreren Testautos sogar den 25 Jahre alten Euro-1-Grenzwert überstiegen. Eine Ausnahme für diese Fahrzeuge werde die Umwelthilfe daher nicht dulden.

Das würde bei dem diskutierten Fahrverbot einen gewaltigen Unterschied ausmachen. In München sind von den zugelassenen 720 000 Autos 295 000 Diesel. Davon wiederum erfüllen gut 125 000 die Abgasnorm Euro 6, 94 000 sind Euro-5-Diesel, 42 000 Euro 4 und 34 000 Normen, die noch darunter liegen.

Reiter sagte am Donnerstag, er wolle die von ihm angestoßene Debatte zügig fortsetzen. Kommende Woche sollen die Spitzen aller beteiligten Referate zusammenkommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Der Kooperationspartner der SPD im Rathaus, die Stadtrats-CSU, mahnte an, die vom OB entfachte Diskussion sachlich zu führen. Für ein generelles Diesel-Fahrverbot habe die Stadt keine rechtliche Grundlage, betonte CSU-Umweltsprecher Sebastian Schall.

Ähnlich äußerte sich am Mittwoch Umweltreferentin Stephanie Jacobs: "Gebetsmühlenartig fordere ich daher eine Rechtsgrundlage vom zuständigen Bund, um endlich die bewährte Münchner Umweltzone mit neuen Plaketten weiterentwickeln zu können."

Die Aufkleber, die zur Einfahrt in die Umweltzone berechtigen, sollen nur Fahrzeuge mit geringen Stickstoffdioxid-Emissionen erhalten - nach dem Vorbild der grünen Feinstaubplakette. Der Stadtrat hat ein entsprechendes Konzept bereits bei der Verwaltung in Auftrag gegeben. Im Alleingang könne München jedoch keine Fahrverbote aussprechen, das haben juristische Prüfungen sowohl der Stadt München wie auch der Regierung von Oberbayern ergeben. Für die Einführung neuer Plaketten sei Berlin zuständig.

Das Bundesverkehrsministerium vertritt hingegen die Ansicht, dass die deutschen Kommunen bereits jetzt Dieselfahrzeuge aussperren könnten. Dieser Meinung sind auch die Grünen in München, ihr Fraktionschef Florian Roth ist froh, dass die Debatte dazu nun an Tempo gewinnt. Klären muss die Zuständigkeitsfrage letztlich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Bis dahin laufen in der Münchner Stadtverwaltung trotzdem Vorbereitungen für Fahrverbote - zurückgehend auf Weisungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Der hatte in einem von der Deutschen Umwelthilfe angestrengten Verfahren zwar ebenfalls Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Diesel-Fahrverboten geäußert. Da aber nach Einschätzung des Vorsitzenden Richters Rainer Schenk die EU-Schadstofflimits wohl nur durch Fahrverbote einzuhalten sind, wurde München und dem Freistaat im Mai auferlegt, ein Konzept vorzubereiten. Dann könne die Stadt handeln, sobald die juristische Lage geklärt sei.

Schenk hat Stadt und Freistaat einen Stufenplan verordnet: Bis 29. Juni muss ein vollständiges Verzeichnis aller Münchner Straßenabschnitte vorliegen, an denen der Grenzwert für Stickstoffdioxid überschritten wird. Dieses Papier ist inzwischen fertiggestellt, es liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Es zeigt, dass nicht nur im Innenstadtbereich der Stickstoffdioxid-Wert zu hoch ist. Genau das hat Reiter alarmiert. Bis zum 31. August, so der Richterspruch weiter, muss München das Öffentlichkeitsverfahren für Diesel-Fahrverbote einleiten. Zum Jahresende muss dann ein vollzugsfähiges Konzept vorliegen.

Dann soll auch klar sein, wie groß eine Verbotszone werden soll, wen sie trifft und welche Ausnahmen es gibt. Das ist aus Sicht der Rathaus-CSU eminent wichtig. Fraktionschef Manuel Pretzl will den Bewohnern der betroffenen Gebiete unbedingt eine Übergangsfrist einräumen, um ihr Auto umzurüsten oder ein neues zu kaufen. "Ohne eine solche Regelung käme dies einer Enteignung gleich." Pretzl erinnert an die Einführung der Umweltzone, bei der ebenfalls Ausnahmen und Übergangsfristen galten. Auch Reiter hält ein solches Vorgehen für "selbstverständlich".

Einfach wird die Einführung von Fahrverboten nicht, moderne Dieselautos sind von außen nicht ohne weiteres zu erkennen. CSU-Mann Pretzl plädiert daher weiter für die blaue Plakette - die CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt ablehnt. Pretzl warnt jedoch dringend vor anderen Lösungen. Sollte das Bundesverwaltungsgericht urteilen, dass von Kommunen erlassene Fahrverbote zulässig seien, könne es mangels entsprechender Kennzeichnung keine Ausnahmen mehr geben. Dann dürfte kein einziges Dieselauto mehr in die Münchner Innenstadt fahren.

Für die Wirtschaft sind schon die von Reiter skizzierten Pläne mit den vorgesehenen Ausnahmen viel zu drastisch. Ein generelles Einfahrverbot in die Stadt würde Handels- wie Handwerksbetriebe "existenziell bedrohen", erklärten mehrere Verbände. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, sagte, die Käufer von Diesel-Fahrzeugen setzten auf Bestandsschutz. Für viele Betriebe sei eine kurzfristige Flottenmodernisierung nicht finanzierbar.

Vor den hohen Kosten und Wertverlusten, die ein Fahrverbot für Dieselbesitzer bedeuten kann, warnt auch der Münchner FDP-Stadtrat Michael Mattar. Wenn er von mindestens 150 000 betroffenen Fahrzeugen ausgehe und einem durchschnittlichen Wertverlust von 10 000 Euro, dann sei das ein Schaden von 1,5 Milliarden Euro. "Außerdem ist es scheinheilig, wenn der OB aber Ausnahmen für städtische Unternehmen ankündigt", sagt Mattar. So hätten die Busse der Münchner Verkehrsgesellschaft beispielsweise schon längst mit Gas betrieben werden können.

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SZ vom 16.06.2017/sekr
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