Nach der Stichwahl:Grüne gehen auf Partnersuche - mit gebotener Distanz

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Die Fraktion der Grünen im Rathaus und ihre Vorsitzende Katrin Habenschaden haben an Einfluss deutlich gewonnen. (Foto: Stephan Rumpf)
  • SPD-Mann Dieter Reiter ist mit einer klaren Mehrheit als Oberbürgermeister wiedergewählt worden.
  • Stärkste Fraktion im Rathaus ist allerdings nicht die SPD, sondern die Grünen - und die wollen sich noch nicht auf ein Bündnis festlegen.
  • Die Partei von Katrin Habenschaden stellt künftig 23 Stadträte, dahinter kommen die CSU mit 20 und die SPD mit 18 Plätzen.

Von Anna Hoben

Parteipolitik soll in diesen Zeiten hintanstehen. "Ich gratuliere Dieter Reiter herzlich zur Wiederwahl und diesem starken Ergebnis", sagt Katrin Habenschaden am Tag nach der Stichwahl. Um gleich im nächsten Satz auf das Thema zu sprechen zu kommen, das zurzeit alles andere überlagert. "In den kommenden Wochen und Monaten müssen die politischen Parteien zusammenstehen, um die Corona-Krise zu bewältigen. Dabei kann Dieter Reiter auf meine und die Unterstützung der Grünen zählen."

Man müsse jetzt alles dafür tun, dass München die Situation "bestmöglich übersteht und niemand mit den Folgen allein gelassen wird." Ihr besonderer Dank gelte den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern, die diese Stichwahl "trotz der widrigen Umstände" möglich gemacht haben. Die Stichwahl zwischen Amtsinhaber Dieter Reiter (SPD) und seiner Herausforderin Kristina Frank (CSU) war als reine Briefwahl durchgeführt worden. Die Auszählung der Stimmzettel verzögerte sich wegen der Corona-Krise; das endgültige Ergebnis lag erst am Montag vor.

Zwei Wochen haben die Grünen seit dem ersten Wahlgang am 15. März nun Zeit gehabt, sich an die privilegierte und mächtige Rolle als künftig stärkste Fraktion im Stadtrat zu gewöhnen. 29,2 Prozent haben sie geholt, das entspricht 23 Sitzen in dem lokalpolitischen Gremium. Und in dieser Rolle wenden sie sich nun an die beiden anderen großen Parteien, um Gespräche über mögliche Regierungsbündnisse anzustoßen. "Wir haben immer gesagt, dass wir warten, bis die Stichwahl durch ist. Dann werden wir auf die beiden zugehen und schauen, welche Koalition möglich ist", sagt Katrin Habenschaden. Am Montag luden sie CSU und SPD zu Sondierungsgesprächen ein, die in dieser Woche stattfinden sollen. Zuerst wollen die Grünen mit der CSU reden, weil sie die zweitstärkste Fraktion im Stadtrat bildet. Danach soll ein Gespräch mit der SPD folgen.

Interessant ist in Zeiten der Ausgangsbeschränkung auch die Frage nach dem "Wie" und "Wo". Man schaue nach einem Ort, an dem es "physisch möglich" ist, sich zu treffen, "natürlich mit genügend Abstand", sagt Katrin Habenschaden. Neben ihr als Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzender im Stadtrat werden ihr Co-Fraktionsvorsitzender Florian Roth sowie die beiden Münchner Parteivorsitzenden Gülseren Demirel und Dominik Krause die Sondierungsgespräche führen. Man werde sich "ganz stark" an den Inhalten orientieren, die man im Wahlprogramm festgeschrieben habe - sowohl in den Gesprächen als auch in den darauffolgenden Entscheidungen, in welche Richtung und mit wem es weitergehen kann und soll.

Mit wem sie die besten Chancen für eine Zusammenarbeit sehen, dazu äußert sich Habenschaden nicht eindeutig. Nur so viel: "Wenn man auf große Themen schaut, kann ich aus dem Wahlkampf sagen, wen ich wo verorte." Man müsse nun schauen, "wie sich das in den Gesprächen bestätigt oder auch nicht".

Ein Bündnis mit der SPD gilt als logisch und wahrscheinlich. Dass sie erst einmal schweigen, passt allerdings zur bisherigen Strategie der Grünen, weder eine Wahlempfehlung für die Stichwahl abzugeben noch ein klares Bekenntnis zum früheren Koalitionspartner SPD als künftigem Wunschpartner. Indem sie dies bewusst vermeiden, legen sie sich nicht vorschnell fest, mit wem sich ihre Ziele bei den großen Münchner Zukunftsthemen Verkehr, Klima und Wohnen wohl am besten erreichen lassen. Auch zu ihrer eigenen möglichen Rolle als künftige Zweite Bürgermeisterin - eine naheliegende Personalie - will Habenschaden sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern.

Zum dritten Mal seit der Kommunalwahl vor zwei Wochen haben sich die Grünen am Montag zu ihrer Fraktionssitzung per Videochat getroffen - wie es so viele Kollegen-Teams tun, seit die meisten Arbeitnehmer im Home-Office sitzen. Die ungewöhnliche Form der Kommunaktion funktioniere überraschend gut, findet Habenschaden, auch wenn sie die Leute lieber persönlich sehen würde und es ein bisschen Zeit brauche, bis man sich an diese Art des Konferierens gewöhne. "Es eignet sich besser für Organisatorisches als für politische Debatten."

Sie könne die neuen Stadträtinnen und Stadträte gut verstehen, die nun gerne richtig anfangen würden. Immerhin könne man mit den derzeitigen Möglichkeiten dem "hohen Informationsbedürfnis" der Neuen in der Fraktion gut entgegenkommen. "Zum Beispiel schreiben wir Stadtrats-Handbücher und erklären die Ausschüsse. Für solche Dinge ist jetzt deutlich mehr Luft." Die Neulinge würden dadurch "sehr gut vorbereitet" in die kommende Wahlperiode gehen.

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Bisher habe man die Fraktionssitzungen aufgesplittet in einen Teil mit der alten und einen Teil mit der neuen Fraktion. Auch die Stadträte, die noch im Amt sind, wollten ja wissen, wie es weitergehe, wann etwa der Feriensenat stattfinden werde. Katrin Habenschaden selbst hat die vergangenen beiden Wochen seit ihrem unerwarteten und knappen Ausscheiden aus dem Kampf um die Stichwahl gegen Kristina Frank im Home-Office verbracht, und zwar "relativ beschäftigt", wie sie sagt. Viele Gespräche, Telefon- und Videokonferenzen, Interviews mit Journalisten, "langweilig war mir nicht".

Dazu kamen die Sorgen wegen der Auswirkungen der Corona-Krise. Zu sehen, wie vor allem kleine Unternehmen nun in ihrer Existenz bedroht sind, tue ihr "als Betriebswirtin sehr weh". Die vielen kleinen Läden, die es in München noch gibt, aber auch die Start-ups, "die einen ganz anderen finanziellen Background haben und natürlich sofort am Kämpfen sind", die Gastronomie: "Egal, in welche Richtung man das denkt, da mache ich mir große Sorgen. Auch was unsere Haushaltssituation angeht, die ja stark von der Gewerbesteuer abhängig ist."

Vor ein paar Tagen hat sie auf der Intenetplattform Instagram ein Foto gepostet von ihrem Laptop, darauf zu sehen kleine Kästchen mit den Gesichtern ihrer Stadtratskollegen. "Wie für viele Münchnerinnen und Münchner ist es auch für mich eine Herausforderung, zu Hause alles unter einen Hut zu bekommen und gleichzeitig andere zu schützen", schrieb Habenschaden - "die Kinder bei dem Schulzeugs unterstützen", dazu Fraktionssitzungen per Videochat. "Wir bleiben aber gern daheim! Denn ich denke an meine Eltern oder meine 92-jährige Großmutter, die dieses Virus viel stärker bedroht, und die unglaubliche Leistung der Angestellten und Freiwilligen in unserem Gesundheitssystem und bei der Versorgung der Bevölkerung."

© SZ vom 31.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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