Erbschaftssteuer für Immobilien:Gentrifizierung durchs Finanzamt

Immobilien München Erbe Steuer Mieten

Wolfgang Donhärl ist wichtig, dass seine Mieter gut und bezahlbar in seinem Haus wohnen können.

(Foto: Robert Haas)

Gut und bezahlbar sollen seine Mieter wohnen, findet Immobilienbesitzer Wolfgang Donhärl. Aber das ist schwer, weil das Steuerrecht soziale Vermieter bestraft und zum Abzocken treibt.

Von Anna Hoben

Man könnte meinen, das Haus in der Aurbacherstraße läge auf einem anderen Planeten, mindestens aber in einer anderen Stadt. Ein beiger Altbau mit rundem Erker, 13 Wohnungen, drei Ladenflächen. Bei vier Wohnungen steht die Zahl vier vor dem Komma bei der Kaltmiete pro Quadratmeter; über fünf, sechs, sieben und neun Euro geht es dann hoch bis elf Euro, das ist die teuerste Miete im Haus. Damit ist selbst diese meilenweit entfernt von den Preisen, zu denen Wohnungen in München mittlerweile vermietet werden. Der Durchschnitt liegt bei knapp 18 Euro pro Quadratmeter.

Das Haus in der Aurbacherstraße liegt aber nicht auf einem anderen Planeten und auch nicht in einer anderen Stadt; es liegt mitten in einem beliebten Münchner Stadtteil, in der Au. Nicht weit von der Isar und nicht weit vom ehemaligen Paulanergelände am Nockherberg, wo die Bayerische Hausbau gerade teure und sehr teure Eigentumswohnungen baut, die auf großen Schildern beworben werden.

Das Haus gehört Wolfgang Donhärl und seiner Schwester; sie haben es von ihrer Mutter geerbt. Beide wohnen auch im Haus. Die Mieten spiegeln wider, wie lange jemand schon in seiner Wohnung lebt und in welchem Umfang sie im Laufe der Zeit modernisiert worden ist. Eine Mieterin lebt seit 1956 in ihrer Wohnung, sie hat noch einen alten Gasofen. Der letzte Mieterwechsel fand im vergangenen Jahr statt.

Erbschaftssteuer für Immobilien: Wolfgang Donhärls Vorfahr Josef Schmid wurde reich, weil er Pferde verkaufte. Von dem Geld baute er Häuser.

Wolfgang Donhärls Vorfahr Josef Schmid wurde reich, weil er Pferde verkaufte. Von dem Geld baute er Häuser.

(Foto: Robert Haas)

Besucht man Donhärl, 52, in seiner Wohnung, macht er einen erst einmal mit einem zweiten Herrn bekannt. Ernster Blick, Schnauzbart, Kleidung aus feinem Tuch - das Porträt des Herrn ist auf einem Ölgemälde verewigt, das im Wohnzimmer an einer Schranktür lehnt. Es handelt sich um einen Mann namens Josef Schmid, Pferdehändler aus Rott am Inn, ein Vorfahr von Wolfgang Donhärl. Schmid hatte es als Händler zu großem Wohlstand gebracht, er war nach München gezogen und hatte für jedes seiner zehn Kinder im damaligen Neubaugebiet Haidhausen ein Haus bauen lassen. Donhärl muss so weit ausholen, denn sein Haus in der Aurbacherstraße, 1901 fertig gestellt, ist eines davon.

"Ich weiß, dass wir privilegiert sind"

Seitdem ist es in der Familie weitergegeben worden. Wolfgang Donhärl ist bis zum Grundschulalter in der Aurbacherstraße aufgewachsen und später wieder in das Haus gezogen, als er eine Familie gründete. "Ich weiß, dass wir privilegiert sind", sagt er, "wir wohnen in einer tollen Wohnung." Die Hausgemeinschaft ist über Jahrzehnte gewachsen. Kinder sind miteinander groß geworden. Der Friseur im Erdgeschoss nimmt die Pakete an, und für die älteste Mieterin, die im vierten Stock wohnt, haben sie auf jeder Etage einen Stuhl aufgestellt, damit sie sich beim Treppensteigen zwischendurch ausruhen kann.

All das will Wolfgang Donhärl erhalten, damit seine Mieter weiterhin gut und bezahlbar bei ihm wohnen können. Damit das funktioniert und er als Eigentümer gleichzeitig noch gut wirtschaften kann, brauche es allerdings "viel Enthusiasmus und guten Willen", sagt Donhärl - und das hat mit dem Finanzamt zu tun. In den Achtzigerjahren hat seine Mutter das Haus geerbt. Sie beließ die Mieten, wie sie waren, renovierte Fenster und Fassade. Einen Teil des Hauses schenkte sie ihren beiden Kindern schon zu Lebzeiten; vor einem Jahr ist sie gestorben. Das Finanzamt verlangt nun eine Nachzahlung der Schenkungssteuer: 230 000 Euro. Dazu kommt die Erbschaftssteuer, 760 000 Euro. Macht zusammen eine knappe Million.

Erbschaftssteuer für Immobilien: Heute wird man reich, wenn man Häuser verkauft - aber Donhärl will nicht verkaufen.

Heute wird man reich, wenn man Häuser verkauft - aber Donhärl will nicht verkaufen.

(Foto: Robert Haas)

Die Erbschaftssteuer berechnet das Finanzamt anhand des Bodenrichtwerts des Grundstückes, acht Millionen Euro ist es aktuell wert. Die Schenkungssteuer hingegen richtet sich nach den Mieten - aber nicht nach den tatsächlich erzielten, sondern nach den potenziell erzielbaren, nach dem Mietspiegel also. Jenem Mietspiegel, in den nur Neumieten aus den vergangenen vier Jahren einfließen und der dadurch vielmehr ein Mieterhöhungsspiegel ist. Das Finanzamt rechnet auch mit ein, dass der Dachboden ausbaubar wäre. Es betrachtet das Wertsteigerungspotenzial der Immobilie; es behandelt den Eigentümer, als würde er verkaufen wollen.

Natürlich könnten Wolfgang Donhärl und seine Schwester das tun. An einen Investor verkaufen, so wie es ständig geschieht in dieser Stadt, in Haidhausen und Schwabing, in der Isarvorstadt und in Sendling. Der Investor würde das Wertsteigerungspotenzial voll ausschöpfen, er würde modernisieren, das Dachgeschoss ausbauen und neu vermieten. Viele von Donhärls Mietern könnten sich ihre Wohnungen dann wohl nicht mehr leisten. Ein Verkauf käme ihm aber niemals in den Sinn - er will ja selber hier wohnen bleiben. "Was würde ich mit acht Millionen Euro machen? Eine Villa in Poing kaufen?" Donhärl lacht. Er will das Haus behalten, das seit fast 120 Jahren seiner Familie gehört. "Da hängen so viele Geschichten dran."

Einen Kredit aufnehmen, um die Steuern zu bezahlen

Stattdessen werden seine Schwester und er einen Kredit aufnehmen, um die Steuern zu bezahlen, den Kredit werden sie von den Mieteinnahmen wieder abbezahlen: 115 000 Euro im Jahr, "von denen wir ja auch Reparaturen bezahlen wollen und müssen". Er wolle mit dem Haus kein Geld verdienen, sagt Donhärl, "nur bei null rauskommen". Dass seine Schwester und er mietfrei wohnen können, ist ihnen Lohn genug. Was er nicht versteht: dass der Staat einerseits eine Mietpreisbremse einführt, die bis heute kaum greift, und andererseits private Eigentümer wie ihn indirekt auffordere, mehr Miete zu verlangen. Weil es der Markt ja hergebe.

Agnes Fischl ist Fachanwältin für Erbrecht und Expertin für die steuerliche Bewertung von Immobilien. Jedes Jahr begleitet sie bei 20 bis 30 Häusern die Übertragung auf die nächste Generation. Natürlich gebe es private Vermieter, die herausholen wollten, was geht. Es gebe aber auch "ganz viele, die die Miete gar nicht erhöhen wollen". Dass das Haus im Familienbesitz bleibt, sei vielen enorm wichtig. Eigentlich. Seit drei Jahrzehnten ist Fischl in der Immobilienübergabe tätig, und sie sagt: "So viele Verkäufe von Mehrfamilienhäusern wie zurzeit habe ich in München noch nie erlebt". Das werde noch zunehmen. In den kommenden Jahren werde "erheblicher Immobilienbesitz" seitens privater Eigentümer auf die nächste Generation übertragen. Immer mehr Familien würden sich gezwungen sehen, zu verkaufen, auch, weil sich die Steuerbelastung an einem Markt orientiert, auf dem die Bodenpreise in absurde Höhen klettern.

Dass die Stadt München nun das Instrument der Abwendungserklärung verschärft hat, das Investoren in den sogenannten Erhaltungssatzungsgebieten strengere Auflagen macht, um die Gentrifizierung zu verlangsamen - "schön und gut", sagt Fischl, "aber da ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen". Also, das Haus ist verkauft.

Mietshäuser könnten ähnlich betrachtet werden wie Unternehmen

Auch der frühere Stadtrat Georg Kronawitter hat in einem Beitrag im Magazin Standpunkte des Münchner Forums vor einiger Zeit auf das Dilemma hingewiesen. "Vorsicht, Provokation", stand warnend über dem Text. Es handle sich um mehr als ein Luxusproblem. "Klar können die Erben auf Jahrzehnte hinaus zusehen, wie die Erbschaftssteuerlast jeden Monat das Mietkonto plündert und wenig Mittel für fällige Modernisierungen und Reparaturen übrig lässt", schreibt Kronawitter. Sie könnten aber auch verkaufen. "Staatlich geförderte Gentrifizierung" nennt er das - "eine klare Folge einer Steuergesetzgebung, die nicht auf die Lage in den Wohnungsbrennpunkten eingeht".

Und nun? Rechtsanwältin Agnes Fischl will nicht die Erbschaftssteuer abschaffen. Stattdessen schlägt sie vor, Mietshäuser ähnlich zu betrachten wie Unternehmen. Letztere sind von der Erbschaftssteuer befreit, wenn die Erben das Unternehmen weiterführen und somit Arbeitsplätze erhalten. Darüber sollte die Politik auch bei Mietshäusern nachdenken, fordert Fischl, etwa verbunden mit der Auflage an private Eigentümer, bestehende Mieten für einen gewissen Zeitraum unangetastet zu lassen. So wie Wolfgang Donhärl es ohnehin tun will. Trotzdem hat er nun die Mieten um 15 Prozent erhöht. Der Staat, so sagt er, habe ihm keine andere Wahl gelassen.

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