Sterben ohne Angehörige:"Auch wenn sie das Erbe ausschlagen - sie kommen aus dieser Nummer nicht raus"

Sterben ohne Angehörige: Sigrid Diether kümmert sich um Bestattungen von Menschen, die einsam sterben.

Sigrid Diether, Detektivin der Verstorbenen. 1,653 Millionen Euro musste die Stadt für Beerdigungen von Amts wegen 2017 zahlen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sigrid Diether kümmert sich um Bestattungen von Menschen, die einsam sterben. Meistens findet sie doch noch Familienmitglieder, die dann das Begräbnis bezahlen müssen.

Interview von Gerhard Fischer

Der Kasten, der zweimal wöchentlich zwischen den Todesanzeigen der Münchner Zeitungen steht, macht auch Leser traurig, die nicht von Todesfällen betroffen sind. Dort steht nämlich: "Die Städtischen Friedhöfe München bitten um telefonische Mitteilung, wenn Sie Angehörige von nachfolgend genannten Verstorbenen kennen." Da ist also jemand einsam gestorben. Sigrid Diether ist bei den Städtischen Friedhöfen Sachgebietsleiterin für "Bestattungen von Amts wegen". Ihr Team, das aus fünf Mitarbeitern besteht, ist auch zuständig für die Suche nach Angehörigen.

SZ: Frau Diether, wie viele Bestattungen haben Sie, bei denen es keine Angehörige oder Freunde gibt?

Sigrid Diether: 2017 waren es 1407.

Das ist viel.

Ja, Sie glauben gar nicht, wie viele alleinstehende Menschen es in München gibt. Und die Tendenz ist steigend. Die Single-Haushalte nehmen zu, auch der Zuzug von außen wird größer. Und die Menschen werden immer älter, heute sind Über-90-Jährige an der Tagesordnung; da sind häufig schon alle Familienmitglieder gestorben. Die Verstorbenen sind teilweise finanziell gut gestellt, aber da ist einfach niemand mehr da. Oder die Familie lebt woanders. Es ist ja nicht mehr so wie früher, dass man an dem Ort, wo man geboren ist, auch aufwächst, studiert, eine Familie gründet und dann auch stirbt.

Ab wann werden Sie tätig?

Wenn die Angehörigen von den Pflegekräften oder von der Polizei nicht sofort erreichbar sind, kommt relativ schnell ein Anruf bei uns. Die biologischen Prozesse bei den Verstorbenen stoppen ja nicht, im Sommer ist es noch brisanter als im Winter.

Sie sind seit 22 Jahren Sachgebietsleiterin für Bestattungen von Amts wegen. Da haben Sie bei der Suche nach Angehörigen sicher skurrile Geschichten erlebt.

Es gab mal ein altes, nicht verheiratetes Paar. Erst starb die Frau, dann beging der Mann Suizid. Die Tochter der Frau sagte, er sei Geheimagent gewesen. Deshalb ließ er sich nie fotografieren, und es gab auch keine Unterlagen von ihm. Ein Nachbar sagte der Polizei, er habe beobachtet, wie der Mann einen Tag vor seinem Tod Plastiktüten in den Container geworfen hat, offenbar mit seinen Unterlagen. Die Müllabfuhr hätte sie dann mitgenommen.

Und? Haben Sie dann Angehörige gefunden?

(lächelt) Ja ... 13 Kinder. Die Polizei hatte von ihm Fingerabdrücke, weil er mal straffällig geworden war. Er war also registriert, und unter Familienstand stand "geschieden". Wir haben die Ex-Frau gefunden - und die Kinder.

Zu denen er keinen Kontakt mehr hatte.

(lächelt) Nach dem 13. Kind war er Zigaretten holen gegangen und ist nicht mehr zurück gekommen.

Der Mann war also gar kein Geheimagent.

Ach woher. Der konnte oder wollte keinen Unterhalt zahlen und wollte nicht gefunden werden.

Die Kinder mussten die Bestattung bezahlen?

Ja. Die haben sich natürlich erst mal geweigert und gesagt: Er hat ja für uns auch nicht gezahlt. Aber sie sind dazu verpflichtet. Nach ein paar Tagen hat der zweitälteste Sohn angerufen und gefragt, was es kosten würde. Ich sagte, 3400 Euro für die Erdbestattung und 2600 für die Feuerbestattung. Als er gemerkt hat, dass das nicht jedes Kind bezahlen muss, sondern durch 13 geteilt werden kann, hat er zugestimmt.

Wer muss denn eigentlich für eine Bestattung aufkommen, egal, ob er will oder nicht - Kinder, Ehepartner ...?

Der Gesetzgeber hat das festgelegt, in dieser Reihenfolge: Ehepartner, Kinder, Eltern, Großeltern, Enkel, Geschwister, Kinder der Geschwister und Verschwägerte ersten Grades.

Was sind Verschwägerte ersten Grades?

Stiefkinder und Schwiegereltern. Die Angehörigen kommen übrigens aus dieser Nummer nicht raus - auch wenn sie das Erbe ausgeschlagen haben.

Nach drei Jahren sind die Ansprüche verjährt

Und wenn die Angehörigen nicht zahlen können?

Dann können sie beim Sozialhilfeträger beantragen, dass die Kosten übernommen werden.

Sie sagten, es habe 2017 mehr als 1400 Bestattungen von Amts wegen gegeben. Wie viele Angehörige haben Sie über die Zeitungsanzeigen noch gefunden?

Mehr als die Hälfte. Wir haben in 802 Fällen entweder Angehörige oder Vorsorgeverträge der Verstorbenen gefunden. Aber wir suchen nicht nur über diese Zeitungsanzeigen, sondern auch über Standes- und Einwohnermeldeämter. Wenn da bei Familienstand "verheiratet" oder "geschieden" steht, dann könnte es eine Frau oder Kinder geben.

Es geht dabei vor allem auch um Geld. Was bezahlte denn die Stadt 2017 für die Bestattungen von Amts wegen?

1,653 Millionen Euro.

Wie viel davon haben Sie wieder bekommen?

Zwei Drittel. Ein Drittel aus dem Nachlass und von freiwilligen Zahlungen der Angehörigen, die wir finden. Und ein Drittel von Angehörigen, die nicht zahlen wollen, wo wir es aber über Leistungsbescheide eintreiben. Das letzte Drittel können wir nicht geltend machen, weil wir niemanden finden.

Wie lange suchen Sie denn?

Drei Jahre. Danach sind unsere Ansprüche verjährt.

Sind Sie bei den Bestattungen dabei?

Ganz selten. Wir schaffen das vom Arbeitsaufwand her nicht - und ich brauche auch Distanz dazu.

Aber Sie waren schon einmal dabei?

Ja. Das war traurig. Da war ein Pfarrer, ein Vertreter aus der Pfarrgemeinde und eine Aufsichtsperson vom Friedhof. Und ich.

Keiner kannte den Verstorbenen. Keiner hatte ihn je gesehen.

Richtig. Das ist bei den meisten dieser Bestattungen so. Der Pfarrer sagt dann ein paar Worte ...

... Allgemeines.

Meistens. Manchmal meldet sich auf unsere Zeitungsanzeige auch jemand aus dem Sportverein, in dem der Verstorbene gewesen ist, und erzählt uns ein bisschen was. Dann haben wir wenigstens ein paar persönliche Sätze.

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