Der Kasten, der zweimal wöchentlich zwischen den Todesanzeigen der Münchner Zeitungen steht, macht auch Leser traurig, die nicht von Todesfällen betroffen sind. Dort steht nämlich: "Die Städtischen Friedhöfe München bitten um telefonische Mitteilung, wenn Sie Angehörige von nachfolgend genannten Verstorbenen kennen." Da ist also jemand einsam gestorben. Sigrid Diether ist bei den Städtischen Friedhöfen Sachgebietsleiterin für "Bestattungen von Amts wegen". Ihr Team, das aus fünf Mitarbeitern besteht, ist auch zuständig für die Suche nach Angehörigen.
SZ: Frau Diether, wie viele Bestattungen haben Sie, bei denen es keine Angehörige oder Freunde gibt?
Sigrid Diether: 2017 waren es 1407.
Das ist viel.
Ja, Sie glauben gar nicht, wie viele alleinstehende Menschen es in München gibt. Und die Tendenz ist steigend. Die Single-Haushalte nehmen zu, auch der Zuzug von außen wird größer. Und die Menschen werden immer älter, heute sind Über-90-Jährige an der Tagesordnung; da sind häufig schon alle Familienmitglieder gestorben. Die Verstorbenen sind teilweise finanziell gut gestellt, aber da ist einfach niemand mehr da. Oder die Familie lebt woanders. Es ist ja nicht mehr so wie früher, dass man an dem Ort, wo man geboren ist, auch aufwächst, studiert, eine Familie gründet und dann auch stirbt.
Ab wann werden Sie tätig?
Wenn die Angehörigen von den Pflegekräften oder von der Polizei nicht sofort erreichbar sind, kommt relativ schnell ein Anruf bei uns. Die biologischen Prozesse bei den Verstorbenen stoppen ja nicht, im Sommer ist es noch brisanter als im Winter.
Sie sind seit 22 Jahren Sachgebietsleiterin für Bestattungen von Amts wegen. Da haben Sie bei der Suche nach Angehörigen sicher skurrile Geschichten erlebt.
Es gab mal ein altes, nicht verheiratetes Paar. Erst starb die Frau, dann beging der Mann Suizid. Die Tochter der Frau sagte, er sei Geheimagent gewesen. Deshalb ließ er sich nie fotografieren, und es gab auch keine Unterlagen von ihm. Ein Nachbar sagte der Polizei, er habe beobachtet, wie der Mann einen Tag vor seinem Tod Plastiktüten in den Container geworfen hat, offenbar mit seinen Unterlagen. Die Müllabfuhr hätte sie dann mitgenommen.
Und? Haben Sie dann Angehörige gefunden?
(lächelt) Ja ... 13 Kinder. Die Polizei hatte von ihm Fingerabdrücke, weil er mal straffällig geworden war. Er war also registriert, und unter Familienstand stand "geschieden". Wir haben die Ex-Frau gefunden - und die Kinder.
Zu denen er keinen Kontakt mehr hatte.
(lächelt) Nach dem 13. Kind war er Zigaretten holen gegangen und ist nicht mehr zurück gekommen.
Der Mann war also gar kein Geheimagent.
Ach woher. Der konnte oder wollte keinen Unterhalt zahlen und wollte nicht gefunden werden.
Die Kinder mussten die Bestattung bezahlen?
Ja. Die haben sich natürlich erst mal geweigert und gesagt: Er hat ja für uns auch nicht gezahlt. Aber sie sind dazu verpflichtet. Nach ein paar Tagen hat der zweitälteste Sohn angerufen und gefragt, was es kosten würde. Ich sagte, 3400 Euro für die Erdbestattung und 2600 für die Feuerbestattung. Als er gemerkt hat, dass das nicht jedes Kind bezahlen muss, sondern durch 13 geteilt werden kann, hat er zugestimmt.
Wer muss denn eigentlich für eine Bestattung aufkommen, egal, ob er will oder nicht - Kinder, Ehepartner ...?
Der Gesetzgeber hat das festgelegt, in dieser Reihenfolge: Ehepartner, Kinder, Eltern, Großeltern, Enkel, Geschwister, Kinder der Geschwister und Verschwägerte ersten Grades.
Was sind Verschwägerte ersten Grades?
Stiefkinder und Schwiegereltern. Die Angehörigen kommen übrigens aus dieser Nummer nicht raus - auch wenn sie das Erbe ausgeschlagen haben.