Sterben in Würde:Menschlich bis zum Schluss

Die Helfer des Christophorus-Hospizvereins begleiten Sterbende und ermöglichen ihnen einen würdevollen Tod - nicht anstelle von Freunden und Verwandten, sondern gemeinsam mit ihnen

Von Stephan Handel

Ist wohl eine traurige Nachricht, die der Mann gerade am Telefon entgegennimmt: "Gestorben. Am Samstag. Okay, ich geb' das weiter." Dann hört er noch einen Moment in den Hörer hinein und sagt: "Das freut mich."

Herzlos? Eher nicht. Vielleicht hat er gerade erfahren, dass der Mensch, um den es geht, in Frieden aus dem Leben geschieden ist. Vielleicht, dass seine Angehörigen - "Zugehörigen" sagen sie hier - bei ihm waren und dass das tröstlich und voll Liebe für alle war. Vielleicht hat sich auch jemand bedankt für das, was der Mann und seine Kollegen getan haben, bis der Mensch, um den es geht, sterben durfte. Bei jeder dieser Möglichkeiten hätten sie getan, was sie als ihre Aufgabe sehen: beim Sterben helfen und helfen, den Tod als etwas zu sehen, das zum Leben gehört.

Diese Arbeit macht der Christophorus-Hospizverein (CHV) nun seit genau 30 Jahren: 1985 gründeten einige Laien, Amateure, Hilfswillige den Verein nach dem Vorbild der Engländerin Cicely Saunders, die in London das erste Hospiz eröffnet hatte. Zunächst ehrenamtlich, dann mehr und mehr professionell arbeitet der CHV an der einen großen Idee: Dass die Menschen ein Recht darauf haben, einen menschenwürdigen Tod zu erleben, ein Gehen aus dieser Welt, dem der Schrecken genommen ist, so weit es eben geht.

Vor 30 Jahren hatten die ersten Sterbehelfer dabei einen schweren Stand: Ihre Einrichtungen wurden als "Sterbehäuser" verrufen, in die Menschen abgeschoben werden, bei denen sowieso nichts mehr hilft. Das lag auch an der Haltung vieler Ärzte zu der Zeit, die ihren Auftrag insofern missverstanden, als sie auch noch zu heilen versuchten, wo nichts mehr zu heilen war - immer noch eine Chemotherapie, und noch eine Operation und noch eine Bestrahlung, die das Leben vielleicht um ein paar Wochen verlängerten, aber mit ihm auch das Leiden, die Schmerzen, die Angst.

Die Mediziner fingen da gerade erst an, umzudenken, zu erkennen, dass es nicht Aufgabe des Arztes sein kann, unheilbares Leiden zu verlängern. Sondern dass Menschen in ihrem Leben einen Punkt erreichen, wo es Zeit ist, zu gehen - und dass Ärzte dann gut daran tun, ihr Wissen, ihr Handwerk, ihre Kunst dafür einzusetzen, den Patienten diesen Zeitpunkt so schmerzfrei wie nötig, so wach wie möglich, so bewusst wie gewünscht erleben zu lassen. Das waren die Anfänge der Palliativmedizin, heute eine anerkannte ärztliche Disziplin.

Sterben in Würde: Im Garten erinnern bemalte Steine an die Gestorbenen.

Im Garten erinnern bemalte Steine an die Gestorbenen.

(Foto: Mario Fichtner)

Die Hospizvereine - der CHV in München war einer der ersten in Deutschland - fügten dieser fachlichen, der wissenschaftlichen Seite eine weitere hinzu, eine, die über Morphium, Angstlöser, Beruhigungsmittel hinausgeht: die menschliche. Aus der Erkenntnis heraus, dass ein Mensch am Ende seines Lebens nicht nur ärztliche Betreuung benötigt, sondern vielleicht psychologische, soziale und spirituelle, vielleicht auch einfach nur menschliche Zuwendung, begannen die Sterbebegleiter mit ihrer Arbeit, oftmals mehr nach dem Gefühl als nach Expertise, nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Sie waren erfolgreich dabei, und sie scheinen ein Bedürfnis zu stillen: Fast 2500 Mitglieder hat der CHV, fast 200 arbeiten ehrenamtlich als Hospizhelfer.

Zwei Fahnen wehen vor dem Haus in der Effnerstraße in Bogenhausen, "Hospiz" steht darauf, als hätten sie nichts zu verbergen. Haben sie ja auch nicht - den Tod zurück ins Leben holen wollen sie ja, Sterben als den Endpunkt einer Reise, als das Ziel allen menschlichen Daseins. Seit 2006 steht das Haus an der Effnerstraße, mehr als 2500 Menschen wurden in dieser Zeit betreut, und ja, der allergrößte Teil von ihnen ist in diesem Haus gestorben, denn dafür ist es da.

Vorne in der Effnerstraße brummt der Verkehr, aber Leonhard Wagner hat sein Büro im zweiten Stock hinten raus, da singen die Vögel im Grünen. Wagner ist Geschäftsführer des CHV, und zusammen mit seinem Stellvertreter Sepp Raischl kann er viele Geschichten erzählen vom Leben und vom Sterben in ihrem Haus: Von der jungen Türkin, die in ihren letzten Tagen so viel Besuch bekam, Hunderte Freunde und Verwandte, dass das Team und das Haus fast an die Grenze gekommen sind. Von der Erleichterung, wenn ein schwer pflegebedürftiger Mensch zu ihnen kommt und die Angehörigen, vorher gefangen im Strudel von Pflicht, Verantwortung und Trauer, nun endlich durchatmen können und Zeit finden zum Abschiednehmen.

Es sind bittersüße Geschichten, die die beiden erzählen, weil es ja immer um den Tod geht. Das heißt aber nicht, dass die Geschichten nicht auf eine heitere Weise anrührend sind - und dass manchmal Angelegenheiten mitgebracht werden, die jahrzehntelang vergraben, versteckt waren und nun, im Angesicht des Todes, herauskommen. Das muss nicht immer so schlimm sein wie bei den beiden Schwestern, die ihre Mutter herbrachten und erklärten: Diese sei ihr ganzes Leben lang böse zu ihnen gewesen und habe sie immer geschlagen. Nun solle sie doch möglichst schnell sterben. So etwas machen sie glücklicherweise nicht, aber andere, durchaus häufigere Familienkonstellationen bringen neue Probleme mit sich.

Sterben in Würde: Leonhard Wagner leitet den Christophorus-Hospizverein.

Leonhard Wagner leitet den Christophorus-Hospizverein.

(Foto: Catherina Hess)

Patchwork. Der Mann stirbt, er hat Kinder mit der einen Frau, die aber schon lange verlassen und eine neue Familie gegründet - wer darf am Sterbebett sitzen? Das ist der Grund, warum sie von Zugehörigen sprechen und nicht von Angehörigen: Hier wie stets hat der Sterbende das Recht der Selbstbestimmung - das auch das Recht einschließt, Menschen eben nicht sehen zu wollen, und seien sie dadurch noch so verletzt.

Doch das sind Einzelfälle. Ein anderes Problem jedoch macht den Hospizleuten zu schaffen, eine gesellschaftliche Entwicklung, die ihre ursprüngliche Idee nun sozusagen von hinten überholt hat: Dass zwar mittlerweile viele Menschen den Tod akzeptieren - dass sie aber doch bitte möglichst nichts damit zu tun haben wollen. Dass diese unangenehme Angelegenheit doch bitte von Profis erledigt werden soll. Sepp Raischl, der stellvertretende Geschäftsführer und im Gespräch eher zuständig für die ewigen Fragen, findet die Hospiz-Idee dadurch nachgerade konterkariert. Wo der Tod in früheren Jahren verdrängt wurde, verschwiegen, damit er nicht existiert, ist, so Draischl "uns das Sterben jetzt fremd geworden": Der Prozess ist nun, wenn auch auf andere Art als früher, abgespalten von der Person und ihrem Leben, ein nicht zu vermeidendes Übel, das am besten outgesourced und in fachkundige Hände gegeben wird.

So haben sie das natürlich nicht gemeint, und sehr oft gelingt es ja auch: "Wir wollen den Menschen nicht nur etwas abnehmen, wir wollen ihnen auch etwas zutrauen", sagt Raischl. Vor diesem Hintergrund ist auch die aktuelle Frage nach Sterbehilfe und die Haltung der Hospizbewegung dazu schnell erklärt: "Wenn Palliativ- und Hospizversorgung ausreichend und flächendeckend zur Verfügung stehen", sagt Geschäftsführer Wagner, "dann wird die Zahl der Menschen rapide sinken, die sich wünschen, ihren Tod herbeizuführen."

Dazu bedarf es aber noch einiger Anstrengung. Hospiz, das ist ja nicht nur das Haus an der Effnerstraße. Das ist auch der ambulante Pflegedienst, das spezialisierte ambulante Palliativ-Team, die Palliativ-geriatrische Versorgung, und bei all diesen Säulen geht es, wie immer im Gesundheitswesen darum, wer was und wie viel bezahlt. Leonhard Wagner, zum Jubiläum gefragt, wie denn der CHV in noch einmal 30 Jahren aussehen könnte, wünscht sich eine Kultur des Sterbens, und dafür ausreichend Ressourcen und Kompetenz. Dann könnte es normal sein, was unten, am Empfang in der Effnerstraße, jetzt schon passiert: Dass die Nachricht vom Tod eines Menschen eintrifft und sich jemand darüber freuen kann.

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