SZ-Serie: Bühne? Frei!:Neustart im Kuhstall

SZ-Serie: Bühne? Frei!: Stefanie Zoche, geboren 1965 in München, war von 1998 bis 2014 Teil des Künstlerduos Haubitz + Zoche. Ökologie, Architektur und öffentlicher Raum sind zentrale Themen ihres fotografischen und installativen Werks.

Stefanie Zoche, geboren 1965 in München, war von 1998 bis 2014 Teil des Künstlerduos Haubitz + Zoche. Ökologie, Architektur und öffentlicher Raum sind zentrale Themen ihres fotografischen und installativen Werks.

(Foto: Stefanie Zoche)

Kultur-Lockdown, Tag 102: Die Künstlerin vollzieht für sich den Systemwandel

Gastbeitrag von Stefanie Zoche

Mein ganzes Leben lang habe ich in Städten gewohnt, bin von München nach Coimbra, Rom und London gezogen, habe in Perpignan und Lissabon gelebt, aber niemals auf dem Land. Und dann: Zu Beginn des Corona-Sommers habe ich einen Mietvertrag für einen ehemaligen Kuhstall unterschrieben, eine Stunde östlich von München, Einödhof. Wie ist es dazu gekommen? Eine kurze Rückblende.

März 2020: Ich renoviere mit fünf Künstlerinnen und Künstlern meine Arbeit "Treppenauge" bei der Allianz, pünktlich zum ersten harten Lockdown-Tag sind wir fertig. Alle Ausstellungen sind abgesagt, ich fahre aufs Land zu meinem Lebensgefährten. Seine Schwester wird auf der Coronastation eingeliefert, Lungenkrebs. Besuch nur mit Ganzkörperschutzanzug. Wir möchten sie auf die Palliativstation verlegen lassen. Der Coronatest braucht eine Woche, das Ergebnis kommt zu spät, am Vorabend ist sie verstorben. Wir sind sehr traurig.

Ich übernehme ihre Räume, Umbauhilfe kommt aus Berlin: Mein Sohn reißt Wände ein, ich zerschlage den Boden unter den Füßen. Ich rufe den Container-Sepp an, seine Frau am Telefon, der "Mo" sei beim Heumachen. Am nächsten Tag "auf'd Nacht" kommt er im Sonntagsg'wand vorbei, und trifft mich, die Stadtpomeranze, an. Keiner versteht, sprachliche Verwirrung. Der Einheimische, mein Liebster, übersetzt, der 20-Kubik-Container wird geliefert.

Der Elektro-Hans verzweifelt schier an den alten Elektroleitungen im Kuhstall. Er ist ein schräger Vogel. Der Zimmerer-Hare, der mit dem Schreiner-Peter die Kieferdielen verlegt, teilt meine Meinung und meint liebevoll: "Der gehörat ausgstopft!", der stumme Willi verwechselt derweil Grundierung mit Anstreichfarbe.

Es geht prächtig voran. Der Corona-Sommer ist schnell vorbei, und ich stehe in meinem neuen Atelier, fantastischer Blick über glyphosatverseuchte Maisfelder.

Soweit die äußeren Umstände. Doch auch innerlich hat sich einiges getan. Ich habe mich voll und ganz auf eine Verlangsamung auf dem Land eingelassen, plötzlich, wie ein bisher nicht wahrgenommenes Gewicht, das sich in Luft aufgelöst hat, ist nicht mehr das ständige Gefühl da, irgend etwas zu verpassen - Kunst, Kino, Konzerte, Theater, Freunde und Freundinnen treffen. Die meisten Dinge, die das urbane Leben attraktiv machen, sind dem Coronamodus zum Opfer gefallen. Ich lese, dass es während des Lockdowns weltweit eine Stadtflucht gibt, in Paris und New York mehr als ein Viertel der Bevölkerung!

Der erzwungenen Entschleunigung gewinne ich viel Positives ab. Die Hoffnung, dass diese Chance von der Politik aufgegriffen wird, weicht schnell einer Ernüchterung - Milliarden für die Lufthansa ohne Auflagen, der Online-Handel blüht und auch ich bestelle meine Klamotten im Internet. Im Vergleich zur Klimakrise ist die Pandemie trotz aller harten und leidvollen Einschnitte, die sie mit sich bringt, nur ein Schnupfen von der Dauer eines Wimpernschlags - dem müssen wir ins Auge blicken und endlich konsequenter handeln: Die Zeit wird knapp für den nötigen Systemwandel! Dass wir Reserven haben und handlungsmächtig sind, hat das letzte Jahr immerhin gezeigt.

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