Würmtal:"Es ist keine Geschichte einer Emanze"

Die Kraillinger Gemeindechefin Christine Borst über Frauen in der Politik und einen Kongress für Bürgermeisterinnen

Interview von Christiane Bracht, Würmtal

Nur in jedem zehnten Rathaus in Deutschland regiert eine Frau. In Bayern ist das Missverhältnis sogar noch eklatanter: Lediglich vier Prozent aller Bürgermeister sind dort weiblich. Woran liegt das? Und wie kann man das ändern? Mit diesen und ähnlichen Fragen hat sich der erste Bürgermeisterinnen-Kongress in Berlin auseinander gesetzt. Die Kraillinger Rathauschefin Christine Borst war dort und ist noch immer auf der Suche nach Antworten. Die SZ sprach mit ihr darüber.

SZ: Von Gräfelfing bis Starnberg sind alle Rathäuser in weiblicher Hand. Da ist die Frauenquote doch eigentlich kein Thema mehr, oder?

Christine Borst: Unsere Situation scheint einmalig zu sein. Wenn ich mich so umhöre, sind andere Kolleginnen froh, wenn sie im Landkreis nicht allein unter Männern sind. Bei uns bekommt man das gar nicht so mit. Im Schatten der Großstadt liegt auch in Gemeinderäten oder im Kreistag der Frauenanteil bei etwa 50 Prozent, auf dem Land ist das völlig anders. Aber wir haben deshalb vielleicht auch eine Vorbildfunktion. Auf jeden Fall war es interessant, bei dem Treffen über den Tellerrand hinauszuschauen.

Aber was haben Sie von dem Kongress mit nach Hause genommen?

Ich bin mit einem Auftrag meiner Kolleginnen nach Krailling zurückgekommen. Ich soll nach Möglichkeiten suchen, ob wir in Bayern einen solchen Kongress für Bürgermeisterinnen anstoßen können. Deshalb habe ich mich demnächst ein Gespräch mit Jürgen Busse vom Bayerischen Gemeindetag. Er steht dem Thema offen gegenüber.

Was war in Berlin so gut, dass es jetzt in Bayern noch einmal wiederholt werden soll?

Die Stimmung war einfach gut, die Vorträge sehr informativ und die Gespräche interessant, teilweise anders als mit Männern. Meiner Erfahrung nach sind Frauen unter sich offener. Sie geben es zum Beispiel eher mal zu, wenn sie Schwierigkeiten haben und man redet auch mal über Privates, nicht nur über Fachliches. Natürlich geht es nicht darum Kochrezepte auszutauschen. Man bekommt aber neue Impulse und es macht Spaß.

Ein solches Treffen ist aber auch wichtig, damit wir uns besser vernetzen können. Die Männer haben uns da einiges voraus. Sie sind traditionell besser vernetzt, Frauen dagegen meist Einzelkämpferinnen. Wenn es uns gelingt eine solche Plattform zu schaffen, könnte man vielleicht auch den Nachwuchs fördern und wir könnten Frauen ein Podium bieten. Das ist längst überfällig.

Bürgermeisterin Christine Borst im Amtszimmer

Gute Vernetzung ist viel Wert, das hat auch Kraillings Bürgermeisterin Christine Borst schon festgestellt.

(Foto: Fuchs)

Wie viele Bürgermeisterinnen könnten denn von solch einem Vorhaben profitieren? Und wie viele waren eigentlich in Berlin?

In Bayern gibt es rund 2100 Kommunen, vier Prozent haben eine Frau an der Spitze. Das sind vielleicht 100. Auf dem Kongress in Berlin waren insgesamt auch etwa 100 aus ganz Deutschland. Allerdings kamen die meisten aus dem Umkreis von Berlin, viele auch aus dem Osten. Aus Bayern sind nur wenige angereist, schon wegen der Entfernung. Brigitte Kössinger aus Gauting war übrigens auch dabei.

Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass nur wenige Frauen, den Bürgermeisterposten anstreben?

Den Grund dafür haben wir auf dem Kongress nicht so richtig gefunden. Viele Frauen haben durch die Geburt ihrer Kinder Brüche in der Karriere. Die meisten fangen erst nach der Familienpause damit an. Aber in Berlin gab es auch Bürgermeisterinnen, die sogar kleine Kinder zu Hause haben. Die jüngste war 27 Jahre alt. Allerdings haben die meisten nicht die Unterstützung zu Hause, wie ihre männlichen Kollegen. Trotz aller Emanzipation ist es nämlich nicht selbstverständlich, dass der Mann daheim bleibt, wenn sie Karriere macht. Die Frauen sind meist für Beruf und Familie zuständig und haben noch ein schlechtes Gewissen dazu abonniert. Mein Vorgänger Herr Hager zum Beispiel hatte früher immer ein fertiges Essen auf dem Tisch, wenn er nach der Arbeit nach Hause kam. Bei mir ist vielleicht noch ein Joghurt im Kühlschrank, weil ich gar keine Zeit hab', einzukaufen. Aber es gibt sicher noch andere Gründe, warum sich so wenig Frauen für die Kommunalpolitik entscheiden. Viele scheuen wahrscheinlich die Konflikte oder schrecken vor der Öffentlichkeit, der Presse zurück. Auffällig ist jedenfalls, dass in Bundes- oder Landtag eine wesentlich höhere Frauenquote ist als in der Kommunalpolitik.

Warum sind mehr Frauen auf kommunaler Ebene so wichtig?

Es gehen Potenziale verloren. Denn in der Kommunalpolitik werden die Lebensbedingungen von Menschen gestaltet - von der Kindertagesstätte bis zu öffentlichen Freiräumen. Da ist es wichtig, dass sich die Bevölkerungsstruktur auf der Führungsebene widerspiegelt. 96 Prozent Männer ist aber kein Spiegelbild. Außerdem haben Frauen einen anderen Führungsstil. Sie sind diplomatischer und das ist von Vorteil, denn heutzutage ist oft mehr Verhandlungsgeschick gefordert als früher. Wir müssen nach Strategien suchen, wie wir mehr Frauen für das Bürgermeisteramt begeistern können, ihnen zeigen, dass das kein Hexenwerk ist und dass ganz normale Frauen in diesen Positionen sind. Als Angela Merkel Kanzlerin wurde, hat es auch einen Schub gegeben. Mehr Frauen haben sich für politische Ämter interessiert.

Verhandeln Sie lieber mit Frauen als mit Männern? Oder warum setzen Sie sich so für mehr Kolleginnen in den Rathäusern ein?

Das möchte ich nicht sagen. Es ist keine Emanzengeschichte oder so. Ich bin dafür, dass die Ämter gemischt verteilt sind. Wichtig ist, dass die Person für ihre Aufgabe geeignet ist. Ich komme mit Harald Zipfel in Neuried genauso gut zurecht wie mit Uta Wüst in Gräfelfing. Frauen sind nicht besser oder schlechter als ihre männlichen Kollegen. Man muss nur die Potenziale wecken, die da noch schlummern.

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