SZ-Serie S(ee)aisonarbeiter:Herr über 30 Millionen Eier

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Gastl-Pischetsrieder beim Abstreifen von Fischeiern. (Foto: Privat)

Im Bruthaus der Fischereigenossenschaft Würmsee überwacht Andreas Gastl-Pischetsrieder die Aufzucht von Fischnachwuchs. Die geschützte Umgebung trägt auch zum Erfolg des Laichfischens bei.

Von Sabine Bader, Berg

Wer das Bruthaus der "Fischereigenossenschaft Würmsee" betritt, der fröstelt unweigerlich ein wenig. Wohl weil man schon beim Wort Bruthaus an Wärmelampen mit gedämpftem Rotlicht und an Behaglichkeit denkt. Doch hier in Allmannshausen nahe der Seeburg ist alles anders. Es ist feuchtkalt im Bootshaus am Wasser. In einigen der großen grünen Bottiche schwimmen ausgewachsene Karpfen, die meisten Tröge aber sind leer. Sie warten auf die Renkenlarven.

Mehr zu begutachten gibt es im nächsten Raum: Da stehen hohe durchsichtige Gefäße, in denen orangefarbene, befruchtete Renkeneier im Wasser treiben. Das 14-tägige Laichfischen ist beendet. Die Ausbeute in diesem Jahr: 30 Millionen befruchtete Fischeier. "80 Prozent davon sollten schlüpfen", hofft Andreas Gastl-Pischetsrieder, der Vorsitzende der Genossenschaft. Wer nun glaubt, das sei eine riesige Menge Fisch, der irrt: Nur höchstens zwei Prozent davon wachsen zu stattlichen Tieren heran. "Dann wäre es ein gutes Jahr." In den Räumen ist es nahezu ebenso kalt wie draußen. "Wir haben hier Kühlanlagen eingebaut." Die optimale Wassertemperatur im Bruthaus betrage nämlich zwischen zwei und vier Grad.

Das Bruthaus der Fischereigenossenschaft. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Seit den frühen 1970er Jahren betreiben die Fischer am Starnberger See das Laichfischen. Künstlich befruchtet werden hier Renken- und Hechteier. Laut Gastl-Pischetsrieder würde man das Prozedere gerne auch auf Saiblinge und Seeforellen ausweiten, aber das scheitert an den zu geringen Fangquoten in der Laichzeit. "Da ist von Natur aus zu wenig da."

Anfang der 1970er Jahre wurde an den größeren bayerischen Seen nicht nur mit dem Laichfischen begonnen, auch das Bruthaus in Allmannshausen wurde in dieser Zeit errichtet. Es ist das Hauptbruthaus der Fischereigenossenschaft am See. Ein zweites, etwas Kleineres, steht noch am Nußberger Weiher zwischen Bernried und Seeshaupt. Dort gibt es eine private Fischzucht, mit der die Genossenschaft kooperiert und aus der die Karpfen und Schleien im See stammen. Der 40-jährige Gastl-Pischetsrieder nennt den Betrieb zweier Bruthäuser "Risiko-Verteilung". Denn gäbe es in einem der beiden beispielsweise einen technischen Defekt, bliebe noch die Nachzucht aus dem anderen.

Ein Becken mit Karpfen im Fischbruthaus der Fischereigenossenschaft Würmsee in Berg am Starnberger See. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Summa summarum erhöht das Laichfischen den Bruterfolg merklich und damit letztlich die Fangquote der Fischer. Los geht es mit der künstlichen Befruchtung: Dafür streicht Gastl-Pischetsrieder den bei der Laichfischerei gefangenen weiblichen Fischen (Rogner) mit einem leichten Druck über den Bauch, um die Fischeier abzustreifen. Mit dem Sperma der männlichen Tiere (Milchner) geschieht dies in ähnlicher Weise etwas weiter hinten am Leib. In einer Schüssel werden Eier und Sperma vermengt und mit etwas Wasser übergossen. Jetzt muss es schnell gehen, denn den Spermien bleiben nur an die zwei Minuten Zeit, um von den Eiern aufgenommen zu werden.

Neben der künstlichen Befruchtung trägt auch die Tatsache, dass Eier und Larven im Bruthaus Fressfeinden entgehen, zum Erfolg des Laichfischens bei. Ganz zu schweigen davon, dass die Eier im See an einen Platz fallen könnten, an dem sie vom Schlamm überdeckt werden. Alles Risiken, die man im Bruthaus ausschließen kann. Bis in den Februar bleiben die befruchteten Eier in den Gefäßen.

Sobald die Renkenlarven schlüpfen, können sie über ein Rohrsystem selbständig heraus und in eines der großen Becken schwimmen. Die Larven sehen übrigens noch gar nicht aus wie Fische. Man muss sie sich laut Gastl-Pischetsrieder wie kleine, einen Zentimeter lange Bleistiftstriche mit Augen und Schwänzchen vorstellen. In den Becken halten sich die Larven die ersten Tage auf, bis sie stabil selbständig schwimmen können. Erst dann, meist im März, werden die Jungtiere mit einem feinen Köcher herausgefischt und an verschiedenen Stellen im See ausgesetzt, da die Futtermengen im See und das Vorkommen von Raubfischen nicht an allen Stellen gleich ist.

Ein Mitarbeiter der Genossenschaft saugt abgestorbene Renkeneier aus Gläsern. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Nach den Renken sind die Hechte an der Reihe. Ihre Laichzeit ist im April und Mai. Das Prozedere beginnt von vorn. Das Allmannshauser Bruthaus wird also das gesamte Winterhalbjahr über belegt - es ist quasi eine Art Fisch-Kita, die Kinderstube für Seefische. Seit September ist ohnehin Schonzeit für die Renken. Bis zum 11. Januar dürfen sie nicht gefangen werden. Die einzige Ausnahme ist, wenn ihr Fang "dem Zweck der Vermehrung dient", sagt Gastl-Pischetsrieder. Die gefangenen Tiere dürfen die Fischer dann auch verwerten. Für viele Fische sei der Stress durch ihren Fang einfach zu groß, sagt der Genossenschaftschef. Außerdem gingen beim Abstreifen der Eier oder des Spermas häufig Schuppen verloren, so dass die Tiere das Prozedere ohnehin oft nicht überleben würden.

34 aktive Berufsfischer gibt es am Starnberger See. Wer vom Fischfang lebt, der muss nicht nur ausgebildeter Fischmeister sein, sondern auch Mitglied in der Fischereigenossenschaft. Und zu den erklärten Pflichten der Mitglieder gehört auch das Laichfischen. Doch nicht alle Fischer am See beteiligen sich daran. Manche haben gesundheitliche Probleme oder sind zu alt, um täglich hinaus zu fahren. Es gibt vielerlei Gründe, die angeführt werden. Dass nur etwa die Hälfte der Mitglieder beim Laichfischen mit von der Partie ist, drückt auf die Stimmung in der Genossenschaft. Denn an den Aktiven bleibt zwangsläufig die Arbeit hängen. "Ja natürlich, es gibt immer wieder Diskussionen über dieses Thema", deutet Gastl-Pischetsrieder an. Er weiß, wovon er spricht. Schließlich steht er der Genossenschaft seit nunmehr acht Jahren vor.

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Nachwuchssorgen plagen die Seefischer obendrein. Denn viele junge Leute setzen heute nicht mehr auf den Fischfang als Broterwerb und suchen sich Stellungen in anderen Berufen, in denen man weder so früh aufstehen muss noch Wind und Wetter ausgesetzt ist. Hat man als Fischmeister aber keinen Nachfolger, der den Beruf erlernt, erlischt das Fischrecht für den Hof. Übrigens: "Das Fischrecht am Starnberger See gehört nicht den Fischern, sondern dem Freistaat Bayern. Die Fischereigenossenschaft hat das Fischrecht vom Freistaat gepachtet. Mitglied der Genossenschaft kann nur derjenige einer Familie werden, der das Fischrecht und das Anwesen übergeben bekommt", erklärt Gastl-Pischetsrieder.

Um zu einer stattlichen Renke heranzuwachsen, muss der Fisch übrigens mindestens drei Jahre im See schwimmen. Aus Sicht des Fisches ist also Vorsicht angesagt. Er muss große Bögen um Fangnetze schlagen.

© SZ vom 05.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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