Wohnungsbau an Grundschule:Was die Gautinger über den Bürgerentscheid wissen müssen

Wohnungsbau an Grundschule: So sieht der geplante Neubau an der Gautinger Bahnhofstraße in einer Animation des Planers aus.

So sieht der geplante Neubau an der Gautinger Bahnhofstraße in einer Animation des Planers aus.

(Foto: RKW-Architekten/Sontowski (Simulation))

60 Appartements, Geschäfte, aber auch mehr Verkehr: Die Gemeinde stimmt am Sonntag darüber ab, wie es auf dem Gelände an der Bahnhofstraße weitergeht.

Von Michael Berzl

Nach monatelangen Debatten, hitzigen Auseinandersetzungen und einem Schlagabtausch wie in einem Wahlkampf steht bald fest, ob das ehemalige Schulgrundstück an der Bahnhofstraße in Gauting wie geplant bebaut werden kann. Die Entscheidung fällt an diesem Sonntag beim Bürgerentscheid. Knapp 16 000 Wahlberechtigte in der Gemeinde sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben.

Die Entscheidung

Drei Fragen stehen auf den Stimmzetteln. Die Gautinger können sowohl beim Ratsbegehren wie auch beim Bürgerbegehren mit Ja oder Nein antworten, ob sie wollen, dass die Gemeinde die Planungen an der Bahnhofstraße fortsetzt oder stoppt. Zur Sicherheit gibt es eine Stichfrage. Die Gemeinde ist in zehn Bezirke eingeteilt, die Wahllokale sind von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Die Rathausverwaltung weist darauf hin, dass nur derjenige seine Kreuzchen machen darf, wer einen Abstimmungsschein dabei hat. Wer keine Wahlunterlagen erhalten hat, kann sie noch am Sonntag bis 15 Uhr im Einwohnermeldeamt im Rathaus beantragen. Etwa 40 Prozent haben bereits per Briefwahl abgestimmt.

Das Gebäude

Ein durchgehendes Sockelgeschoss mit Edeka, Drogerie und weiteren Läden entlang der Bahnhofstraße, darauf drei aufragende Bauteile mit jeweils vier Geschossen, in denen insgesamt 60 Wohnungen mit ein bis drei Zimmern sowie Büros und Arztpraxen untergebracht sind. Der Investor Sontowski betont, dass Mieten im ortsüblichen Bereich liegen sollen - im Schnitt bei etwa 13,50 bis 15 Euro pro Quadratmeter. Später will das Unternehmen das ganze Ensemble verkaufen.

Zu groß, zu massiv, zu städtisch, finden die Kritiker den geplanten Neubau. Sie sehen darin "Baukolosse in gesichtsloser Rasterarchitektur". Auch die oberirdisch vorgesehenen Parkplätze lehnen sie ab. Sie formulieren unterschiedliche Verbesserungsvorschläge. Zum Beispiel ein Stockwerk weniger oder mehr Abstand zur Straße. Einen konkreten Alternativentwurf gibt es aber nicht.

Die überwiegende Mehrheit der Gautinger Gemeinderäte sieht in dem vorliegenden Konzept hingegen eine überzeugende Lösung, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Die Verdichtung in Bahnhofsnähe sei verantwortbar, heißt es in einer Erklärung. "Eine gewisse städtebauliche Dichte ist an dieser Stelle gewollt und von Fachleuten empfohlen", betont die Gemeinde. Zudem werde der geplante Neubau nur eineinhalb Meter höher als das abgerissene Schulhaus war.

Der Verkehr

Die Bahnhofstraße in Gauting ist jetzt schon stark belastet, immer wieder bilden sich dort Staus. Zusätzlicher Autoverkehr durch Supermarkt-Kunden werde die Situation noch verschärfen, mahnen die Kritiker. Die Grünen warnen sogar vor einem "kaum vorstellbaren Verkehrschaos". Gutachter Helmuth Ammerl rechnet mit bis zu 1800 Fahrten pro Tag durch die geplanten Nutzungen sowie mit 40 Lastwagen. Die Gemeinde will Straßen und Kreuzungen umbauen, Ampeln verbessern, Radwege in Bahnhofstraße einrichten und den Gehweg auf vier Meter verbreitern.

Parkplätze

Bei der Ausschreibung der Gemeinde war die Firma Sontowski die einzige Baufirma, die oberirdische Parkplätze anlegen will. Bei der Supermarkt-Kette Edeka hält man dieses Angebot für notwendig. Die Grünen im Gemeinderat, die geschlossen das Neubauprojekt ablehnen, sehen darin ein "fatales verkehrspolitisches Signal". In einer Tiefgarage unter dem Gebäudekomplex stehen weitere 94 Stellplätze zur Verfügung. Die Planung an der Bahnhofstraße steht in engem Zusammenhang mit dem Parkplatz beim Bahnhof. Denn dort soll ein Parkdeck mit zwei Etagen und bis zu 300 Stellplätzen entstehen. Die Zufahrt von der Ammerseestraße aus führt zum Teil unterirdisch in einem Tunnel durch das Sontowski-Grundstück.

Die Finanzen

Für neun Millionen Euro hat die Gemeinde das Grundstück an der Bahnhofstraße an den Bauträger Sontowski verkauft. Eine Rückzahlung eines Teils der Summe würde die Kommune in finanzielle Schwierigkeiten bringen, warnt Bürgermeisterin Brigitte Kössinger. Die Gemeinde werde in Schwierigkeiten geraten, müsse Zuschüsse für Kultur und Sport kürzen. Einen Teil des Geldes hat die Kämmerin schon wieder ausgegeben, um Schulden zu tilgen. Die Gegner sind aber überzeugt, es gebe weitere Kaufinteressenten, angesichts der Lage auf dem Immobilienmarkt sei bestimmt ein ähnlicher Preis zu erzielen.

Zwei Bürgerinitiativen streiten sich

Die Schule

Direkt neben dem derzeit brach liegenden Gelände steht die Grundschule. Kritiker befürchten daher, dass Abgase von der Tiefgaragenzufahrt und vom ebenerdigen Parkplatz hinüber zum Pausenhof ziehen könnten. Die Gemeinde verweist aber in einem Informationsblatt auf eine "klare Abgrenzung zum Pausenhof" durch begrünte Pergolen. Der Anlieferbereich für den Einzelhandel soll im Gebäude liegen und mit Toren geschlossen werden können. Ein Vorteil für die Schüler wäre künftig ein direkter Zugang vom Busbahnhof zum Schulgelände, ohne eine Straße überqueren zu müssen.

Die Initiativen

Zwei Bürgerinitiativen in Gauting vertreten die gegensätzlichen Standpunkte. Im vergangenen November hat sich "Gauting aktiv" unter Federführung von Angelika Siegmund und Eckhard Müller-Guntrum formiert, die den Neubau nach den jetzigen Plänen verhindern wollen und per Unterschriftensammlung den Bürgerentscheid erzwungen haben. Seit Januar vertritt "Zukunft Gauting" mit den Wortführern Andreas Albath und Fred Rauscher die Gegenposition und unterstützt die Linie der Gemeinde, die die Planungen vorantreiben will.

Die Politik

Die überwiegende Mehrheit der Gemeinderäte unterstützt die Neubau-Pläne. Der Verkauf an die Firma Sontowski war mit 21 zu zwei Stimmen beschlossen worden. Einen Appell für ein Ja am Sonntag haben 16 Kommunalpoltiker unterzeichnet. Nur die Fraktion der Grünen ist geschlossen gegen das Projekt. Die SPD ist gespalten: Die drei Gemeinderäte sind dafür, der Ortsvorstand dagegen. Vize-Bürgermeister Jürgen Sklarek hat darum den Vorstand verlassen, Gemeinderätin Stephanie Pahl ist sogar aus der Partei ausgetreten. Der stellvertretende Ortsvorsitzende Eberhard Brucker teilt dagegen mit, in einer Befragung hätten sich 90 Prozent der 85 Mitglieder gegen das Projekt ausgesprochen.

Der Wahlabend

Vertreter beider Initiativen und viele Gemeinderäte werden am Abend im Rathaus eintreffen, um dort mitzuerleben, wie die Abstimmung verläuft und wie die ersten Auszählungsergebnisse verkündet werden. Mit einem Ergebnis wird gegen 20 Uhr gerechnet. Die SZ berichtet im Internet unter www.sz.de/starnberg. Am Montag um 15.30 Uhr trifft sich im kleinen Sitzungssaal des Rathauses der Abstimmungsausschuss zur offiziellen Feststellung des Ergebnisses. Diese Sitzung ist öffentlich.

Die Folgen

Die Auswirkungen eines Baustopps sehen Kritiker und Befürworter ganz unterschiedlich. Von maximal einem Jahr Verzögerung ist in einer Mitteilung von "Gauting aktiv" die Rede. Bürgermeisterin Brigitte Kössinger hingegen befürchtet einen langen Stillstand, eine Rückabwicklung des Verkaufs und eine Neuausschreibung. Sie warnt: "Eine Baubrache würde für Jahre das Ortsbild prägen". Die Verantwortlichen der Firma Sontowski setzen auf ein Ergebnis in ihrem Sinne. Von einer Alternativplanung für einen Fall einer Niederlage ist bisher nicht die Rede. Die Fertigstellung werde sich aber durch das Bürgerbegehren um ein halbes Jahr verzögern.

Andere Bürgerentscheide

In Gauting gab es schon eine ganze Reihe von Bürgerbegehren, nur ein Teil davon führte aber zu einem Entscheid. Zuletzt ging es um die Bebauung des sogenannten Grill-Grundstücks am Hauptplatz, zu einer Abstimmung kam es aber nicht, weil sie nicht zulässig gewesen wäre. Weitere Themen, bei denen Bürgerbegehren gestartet wurden, waren unter anderem das Schlosscafé, der Bau von Wohnhäusern im Wald bei Königswiesen oder der Bau einer zweiten Brücke über die Würm, die sogenannte Nordbrücke.

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