Asylpolitik:Mehr Platz, aber kein Luxus

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Modern, in Holzoptik – und endlich mit Briefkasten: die neue Gemeinschaftsunterkunft in Wörthsee. (Foto: Arlet Ulfers)

Der Landkreis stellt in Wörthsee eine neue Gemeinschaftsunterkunft in Holzoptik für Geflüchtete vor. In Zukunft sollen sie alle so aussehen.

Von Max Fluder, Wörthsee

Am Anfang, noch bevor man Zeit hat, sich umzuschauen, hängt da dieser Geruch in der Luft. Fast wie bei einem Neuwagen, nur ein wenig beißender. Vermutlich ist es der Boden aus Vinyl, es könnte aber auch alles andere im Raum sein: die blanke Küchenzeile, die kargen Stühle, etwas im strahlend weißen Kühlschrank oder den mannshohen Spinden.

In den drei Nebenräumen stehen jeweils zwei metallene Bettgestelle. Auf diesen liegen je ein Kissen und eine Decke, Bettbezüge, beides noch originalverpackt, Handtücher, Waschlappen. Klar ist: Bald zieht hier jemand ein. Läuft alles nach Plan, fährt kommende Woche Mittwoch der erste Bus zum Blumenfeld bei Etterschlag, einem Ortsteil von Wörthsee. Und ein Bus, das ist in der Sprache derjenigen, die hier den Hut aufhaben, eine Größenangabe: Gemeint sind etwa 50 Flüchtlinge, die dann in die erste Gemeinschaftsunterkunft in Wörthsee einziehen. Am Ende werden in den 22 Wohneinheiten à sechs Betten 132 Menschen unterkommen.

Statt wie in anderen Unterkünften zu dritt, leben in den neuen Einrichtungen nur noch zwei Menschen in einem Zimmer. (Foto: Arlet Ulfers)

„Es ist kein Luxus, den wir hier gebaut haben“, sagt Sabine Neumann, die den Fachbereich Asyl, Migration und Integration beim Landratsamt Starnberg leitet. Hier, das ist eine kleine Grünfläche, unmittelbar über der Autobahnröhre der A 96. Nebenan sind Felder, auf der anderen Straßenseite liegt ein Fußballfeld des SC Wörthsee. Für den Landkreis ist die Fertigstellung dieses Baus nichts anderes als der Beginn von etwas Großem, etwas Neuem. Aber dazu gleich mehr.

Und die Bedeutung des Ganzen zu unterstreichen, ist gleich eine Menschenmenge in der Größe einer Basketballmannschaft zugegen, um die neue Anlage zu präsentieren. Ein Auszug: allen voran Landrat Stefan Frey (CSU) und Fachbereichsleiterin Neumann. Christel Muggenthal, die parteilose Bürgermeisterin von Wörthsee. Iris Fedchenheuer und Antonela Vidakovic, zwei Sozialpädagoginnen, die zum Einzug der Menschen jeden Tag und in der Folgezeit zwei Tage die Woche in der Einrichtung sein werden. Azam Badawi, der Anlagenbetreuer, der dreimal die Woche da sein wird.

Zwei zweistöckige Wohnriegel hat der Landkreis hier hochziehen lassen, sie sind in modularer Holzbauweise und nach den neuesten Energiestandards gebaut. Damit stehen sie Modell für alle zukünftigen Unterkünfte im Landkreis. Nach vorne und hinten sind die Gebäude mit Holz verkleidet, an den Seiten sind sie in einem dunklen Grau gehalten. Landrat Frey nennt sie „optisch gut gelungen“, und viel besser als Container, die zum Symbol der Zuwanderung nach Deutschland geworden wären, aber sich nie in die Umgebung einfügten.

Was ist alles neu? Jede Wohneinheit hat nun einen Briefkasten und eine dazugehörige Nummer. Im Vergleich zu vorigen Unterkünften stehen statt drei, nur noch zwei Betten in einem Zimmer. Zudem sind die neuen Wohneinheiten größer, für sechs Personen sind etwa 60 Quadratmeter vorgesehen, also zehn pro Kopf. „Die Unterbringung von heute ist anders als noch vor zehn Jahren“, sagt der Landrat.

In anderen Unterkünften haben Flüchtlinge überdachte Fahrradständer vermisst. Hier gibt es sie. (Foto: Arlet Ulfers)

Die größte Neuerung dürfte aber eine andere sein: Denn verglichen mit anderen Gemeinschaftsunterkünften, die der Landkreis an die Regierung von Oberbayern vermietet und von der Diakonie betrieben werden, unterstehen die neuen Einrichtungen der Kontrolle des Landkreises. „Da haben wir Wert darauf gelegt“, sagt Frey. Denn so könne man Einfluss darauf nehmen, wer in die Einrichtung einziehe. Eine gute Durchmischung von Familien und Alleinreisenden sei das Ziel, sagt Fachbereichsleiterin Neumann. Auch das Personal, etwa die Sozialpädagoginnen Fedchenheuer und Vidakovic, bezahle der Landkreis. Die Kosten würden ersetzt, aus Bundes- oder Landesmitteln.

In gleicher Bau- und Betriebsart entstehen derzeit Einrichtungen in Tutzing und Feldafing, auf der Klosterwiese respektive dem Gelände der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Von Mitte November an sollen in Tutzing 144 Menschen einziehen, kommendes Frühjahr in Feldafing 120 Menschen. Zudem soll Ende Dezember in Percha der Ausbau einer bestehenden Anlage mit Platz für zusätzliche 120 Menschen abgeschlossen werden.

Weil parallel dazu alte Mietverträge ausliefen und damit Unterkunftsplätze wegfielen, kämen nach Abschluss all der Bauvorhaben etwa 450 Plätze für Flüchtlinge hinzu, sagt Neumann. Doch das reiche vermutlich nicht. „Der Druck ist gerade sehr hoch“, sagt sie. Und der Freistaat Bayern sei derzeit in der „Untererfüllung“, habe also weniger Flüchtlinge aufgenommen, als es der bundesweite Verteilungsschlüssel, auch „Königsteiner Schlüssel“ genannt, vorschreibe.

Für den Landkreis gelte das allerdings nicht, sagt Landrat Frey, Starnberg erfülle seine Quote. Trotzdem bleibe die Migration eine „Daueraufgabe“, die man „gemeinsam schultern“ müsse. „Wir brauchen Unterkünfte und Grundstücke.“ Vor allem Letzteres zu bekommen, dürfte sich als schwierig erweisen. Auch in Wörthsee, Feldafing und Tutzing dauerte die Suche nach einem geeigneten Ort lange an.

In Lernräumen wie diesem sollen unter anderen Sprachkurse stattfinden. (Foto: Arlet Ulfers)

Und noch etwas werde gebraucht: Ehrenamtliche. „Wir können das nicht allein schaffen“, sagt Frey. Leider würden es tendenziell eher weniger, nicht mehr von ihnen. Die Ehrenamtlichen haben in der Anlage in Wörthsee neben dem Einrichtungsbetreuer und den Sozialpädagogen ein eigenes Büro, sie werden in vielen Fragen auch zusammenarbeiten. Dort ziehen bald die Ehrenamtlichen vom Helferkreis Wörthsee ein.

Sandra „Sassa“ Bäumler ist Vorsitzende des Helferkreises. Auch Bäumler ist bei der Vorstellung der Räumlichkeiten dabei und sagt, der Verein sei bereit, den Ankommenden zu helfen. Erste Flyer mit wichtigen Infos wurden schon gedruckt. „Wir hatten ausreichend Zeit, uns zu organisieren“, sagt Bäumler, was man auch als kleinen Seitenhieb Richtung Landkreis verstehen darf. Immerhin hat sich der Bau nun um Monate verzögert.

Und die Bürger von Wörthsee? Vereinzelt habe sie Post bekommen, sagt Bürgermeisterin Muggenthal. Es seien halt auch Ängste da – und Sorgen, dass die Gemeinde nicht hinterherkomme, etwa mit der Kitabetreuung. „Aber man kann sagen, dass die Stimmung im Ort entspannt ist“, sagt Muggenthal. Die Wörthseer seien es gewohnt, dass hier Menschen aus allerlei Ländern leben, schon deshalb, weil Oberpfaffenhofen samt Flughafen und Technologiepark so nah seien.

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