Ein paar enge Treppenstufen führen in die Werkstatt von Oliver Scheller hinab. Auch Meister Eder und sein Pumuckl würden sich hier sicherlich wie zu Hause fühlen. Aus dem alten Radio klingt leise knisternd der gefühlige Siebziger-Jahre-Song "Riders on the Storm". Scheller fährt mit der Hand über eine große hölzerne Schranktür, die er gerade auf der Werkbank bearbeitet. Seit 1980 hat er im Keller eines Hauses im Wörthseer Ortsteil Steinebach seine Werkstatt, über vier Jahrzehnte hobeln, schleifen, restaurieren. Ginge es nach dem 72-Jährigen, könnte es hier ewig so weitergehen. "Bis ich 90 bin", sagt er. Doch das wird schwierig, denn aus der Hauptstraße 18 wird wohl ein Kindergarten.
Ein Jahr ist es her, dass die Eigentümerin des Geschäftshauses verstarb. Das Haus hat sie der Gemeinde vermacht, mit der Auflage, es für gemeinnützige Zwecke zu nutzen. Längst laufen Gespräche mit dem Montessori-Kindergarten aus Walchstadt. Das Ende des langen Geschäftsbetriebs naht also, den Scheller mit seiner Frau Gabi aufgebaut hat. "Es ist schon mit einer gewissen Wehmut verbunden", sagt sie. "Wir waren ja so lange hier drin", sagt er. Was macht das mit einem Paar, wenn sich das gemeinsame Lebenswerk dem Ende zuneigt?
"Riders on the Storm" also. Reiter im Sturm? Wenn Oliver Scheller im Keller von seinem Werdegang erzählt, scheinen die stürmischen Zeiten eher schon vorübergezogen. Er ist mit ihnen aufgewachsen, "den alten Dingen", wie er sie nennt, in einem schönen Haus in Planegg, Antiquitäten vom Keller bis zum Speicher, schon seine Großeltern waren Sammler. "Ihr mit euerm alten Glump", hänselten seine Mitschüler ihn damals.
Eben dieses alte Glump machte Scheller zu seiner Berufung. Sein Vater, Jürgen Scheller, war Schauspieler und Kabarettist bei der berühmten Münchner Lach- und Schießgesellschaft, seine Schwester ist Kunsthistorikerin. Noch während seines eigenen Kunsthistorikstudiums begann er mit der Ausbildung zum Schreinermeister. Schon bald machte er sich in der Szene einen Namen, erhielt prestigeträchtige öffentliche Aufträge und wurde vereidigter Sachverständiger bei der Handelskammer, für die er noch immer Gutachten vor Gericht erstellt, für Versicherungen und in Erbschaftsangelegenheiten.
Das Ehepaar spielte sich gegenseitig Aufträge zu, das Geschäft florierte zu einer Institution
Über dem Keller liegt das Reich seiner "Gabi". Auf dem alten Jugendstil-Schreibtisch im vorderen Raum ihres Antiquitätenladens hat sie aufwendig bemalte Teller, Alabaster-Gefäße und allerlei kleine Silberdöschen drapiert. "Früher hat man die als Puderdosen mit in die Oper genommen", sagt sie. Als 1991 der Molkereibetrieb im Erdgeschoss aufgegeben wurde, zog sie ein. Das Ehepaar spielte sich gegenseitig Aufträge zu, das Geschäft florierte zu einer Institution. Er restaurierte teure Sammlerstücke für ein mitunter illustres Publikum, scheute aber auch keine kleineren Reparaturaufträge für Freunde und Bekannte. Sie tourte durch die Messen, verkaufte die Fundstücke an örtliche und überregionale Liebhaber. "Eine perfekte Kombi", sagt sie.
Seit Beginn ihres Berufslebens hat sich der Markt jedoch stark verändert. Ein vollständiges Biedermeier- oder Barockzimmer zusammenzustellen, das entspreche heutzutage nicht mehr dem gängigen Geschmack, erklärt das Ehepaar. Möglichst günstig, möglichst wenig Aufwand soll es heute sein, nicht umsonst regiert der schwedische Möbelbauer Ikea in den Zimmern der Welt. Und dennoch findet man sie in Wohnzeitschriften und Einrichtungsinspirationen im Internet, die alten Biedermeierschreibtische, Wirtshausstühle und Bauernschränke - "als Eyecatcher eben", so Oliver Scheller.
Dafür müssen Liebhaber oftmals einiges hinblättern. Auf den einschlägigen Verkaufsseiten im Internet findet man Jugendstil-Schreibtische für meist um die 1000 Euro - in Zeiten der Inflation nicht gerade eine naheliegende Investition. Doch sind sie verhältnismäßig robust. Im Gegensatz zur Ikea-Wohnlandschaft aus Pressspan können sie über Generationen hinweg immer wieder umgezogen, vererbt und restauriert werden. "Das hier", sagt Oliver Scheller, "ist wirklich Nachhaltigkeit."
Die Schellers lassen den Blick durch ihr Geschäft wandern. Über die hoch gestapelten alten Wirtshausstühle, bunt bemalten Bauernschränke und ein antikes Schaukelpferd. In Zukunft dürften hier wohl Kinder toben. Davor muss das teils marode Gebäude erst einmal saniert werden, im Erdgeschoss fehlen Heizung und fließend Wasser. Noch im Laufe dieses Jahres ziehen die Schellers aus - so die einvernehmliche Einigung mit der Gemeinde.
Im Mai wird Gabi Scheller deshalb einen Räumungsverkauf starten, "zu fairen Preisen", wie sie sagt. Den Jugendstil-Schreibtisch zum Beispiel gibt es für etwa 250 Euro. Hauptsache, die Sachen landen nicht im Container. Im September wollen sie ausziehen. Und dann? Ab in den Ruhestand? Mehr Zeit für die Familie, darauf freuen sich beide. Während sie recht in Frieden wirkt, sieht sie ihren Mann nicht so recht still sitzen. Sicher werde er sich über kurz oder lang ein neues Refugium zum Werkeln suchen, sagt sie.
An den vier Samstagen im Mai findet jeweils von 10-15 Uhr der große Räumungsverkauf in der Hauptstraße 18 in Steinebach statt, außerhalb dieser Zeiten auch nach telefonischer Vereinbarung unter 08153/78 37.