Wörthsee:Angst und immer wieder Angst

Sie sind jung, doch ihre Jugend wird überschattet von Krieg und Hunger. Heute sind sie 85 Jahre und älter und blicken zurück. Wörthsee gedenkt als einzige Gemeinde im Landkreis der Opfer des Nationalsozialismus.

Christine Setzwein

Alte Bürgerinnen erinnern sich

Zeitzeuginnen erinnern sich in Wörthsee an die Schrecken der Naziherrschaft.

(Foto: Franz X. Fuchs)

Eleonore Schmidt war 18 Jahre alt, als die Nationalsozialisten der Welt den Krieg erklärten. Jutta Vaupel gebar 1939 ihren ersten Sohn, da war sie 21 und lebte in Westpommern. Martina Polz und Rosa Hentschel erlebten den Kriegsbeginn in Walchstadt, ein idyllisches Dorf am Wörthsee, weit weg von all den Gräueltaten. Sie waren elf und 16 Jahre alt. Sie alle haben den Zweiten Weltkrieg überlebt. Heute sind sie 94, 96, 85 und 90 Jahre alt und bewundernswert rüstig und geistig fit. Trotz der schlimmen Zeiten, die sie mitgemacht haben. Oder vielleicht gerade deshalb? Wörthseer Jugendliche wollten es wissen, wie es war in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. "Damals in meiner Jugend - Wörthseer Zeitzeugen erinnern sich" lautete das Motto des Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus, den als einzige im Landkreis Starnberg die Gemeinde Wörthsee begeht. Zum sechsten Mal insgesamt, zum dritten Mal im Jugendhaus. Kevin Kavan, Caro Schindhelm, Jessica Erling und Kilian Stinglhammer haben sich mit den vier Zeitzeuginnen unterhalten und die Gespräche gefilmt. Etwa 80 Bürger kamen am Montagabend ins Jugendhaus, wo der Film im Beisein von Jutta Vaupel, Eleonore Schmidt und Rosa Hentschel vorgeführt wurde.

Vier Frauen, vier Lebensläufe. Schmidt zum Beispiel, die ins Generalkommando in München kriegsdienstverpflichtet wird und die mit ihrer Familie nach dem Einzug der Alliierten das Haus in Steinebach verlassen muss, weil sich dort Amerikaner einquartieren. Vaupel, die vertrieben wird und auf der Flucht Schnee isst, damit sie ihren neugeborenen Sohn stillen kann. Hentschel, der es bei den Jungmädeln sehr gut gefällt, weil Sport und Wanderungen angeboten werden. Und Polz, deren Familie in den letzten Kriegstagen noch deutsche Soldaten auf dem Speicher versteckt, die sich lieber den Amerikanern ergeben wollen als von den Nazis umgebracht zu werden. Hunger haben sie alle gelitten, "aber wir haben das nicht so tragisch genommen, weil es allen so ging" sagte Schmidt. Das schlimmste war die Angst. Angst vor Denunzianten, Angst, das falsche zu sagen oder zu tun. Haben sie von den Konzentrationslagern gewusst? Von der Massenvernichtung der Juden? Gewusst nicht, heißt es übereinstimmend, geahnt schon. "Wenns'd net hörst, kommst nach Dachau", lautete eine Drohung, an die sich Polz erinnert. Nazis gab es natürlich auch in Wörthsee. Man traf sich gerne beim Fleischmann und wollte hinterher immer schon gegen das Hitlerregime gewesen sein. "Nie wieder Krieg!" lautete die Botschaft der alten Damen an die Jugend. Freundschaften pflegen und sich nicht wegen Parteipolitik in die Haare kriegen, eine andere. "Und lernen Sie Fremdsprachen", riet Vaupel, die dank ihrer Englischkenntnisse für einen russischen Kommandeur dolmetschen durfte und so dem Schlimmsten entging.

Organisiert haben die Gedenkveranstaltung wie die Jahre zuvor Christel Muggenthal, Beate Schnorfeil und Jochen Diederichs. Und wie immer war auch Bürgermeister Peter Flach da, der nicht, wie manch anderer, der Meinung ist, dass irgendwann Schluss ein müsse mit dem Erinnern. "Es geht nicht um Schuldzuweisungen", sagte er, "sondern um die Übernahme von Verantwortung für die Zukunft."

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