Wirtschaftspreis Starnberg:Mehr Birgits für die Chefetagen

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Vom Starnberger Wirtschaftspreis soll ein Signal für mehr Frauen in Führungspositionen ausgehen (v.l.): GWT-Chef Christoph Winkelkötter, Ann-Sophie Hartlapp, Ulrike Pontius, Annette von Nordeck, 3M-Chefin Bettina Richter, Annette Scharf, IHK-Chefin Katja Lindo und der stellvertretende Landrat Matthias Vilsmayer. (Foto: Arlet Ulfers)

Bei der Preisverleihung in Tutzing wird nicht nur 3M für sein Diversity-Programm geehrt - die Firmen wollen auch ein Signal für echte Gleichberechtigung im Berufsleben setzen.

Von Florian Zick, Tutzing

Um dem Problem gleich mal einen Namen zu geben: Es heißt Stefan. Denn als wäre Chancengleichheit nicht ohnehin ein dringliches Thema, so gibt es ausgerechnet in Familienunternehmen offenbar ein besonders gravierendes Defizit, was Geschlechtergerechtigkeit angeht: Gerade in diesen uns so sympathischen Firmen, den kleinen Familienbetrieben von nebenan, sind Führungspositionen nur zu 8,3 Prozent mit Frauen besetzt - eine viel niedrigere Quote als in den großen Konzernen. So hat es im Frühjahr die deutsch-schwedische Allbright-Stiftung herausgefunden. Je privater ein Unternehmen ist, umso männlicher ist also die Chefetage besetzt. Und weil das in den Sechziger- und Siebzigerjahren ein besonders beliebter Vorname war, haben sich in den höchsten Firmenebenen nun eben vor allem die Stefans breit gemacht.

Katja Lindo, die IHK-Regionalchefin, setzte bei der Verleihung des Starnberger Wirtschaftspreises aufgrund dieses offensichtlichen Ungleichgewichts an der Spitze der Karriereleiter zu einem emotionalen Appell an. Sie habe "einfach mal was zu sagen", erklärte sie am Mittwochabend in der Evangelischen Akademie in Tutzing sehr nachdrücklich. Ihre eindeutige Botschaft an die versammelten Vertreter aus Politik und Wirtschaft: So, wie es ist, kann es nicht bleiben.

"Das ist erst der Anfang", sagte Lindo. "Wir müssen jetzt die Geschichte weitererzählen."

Damit es nicht vergessen wird, muss man gleich mal erwähnen: Auf Lindos Vorschlag war das entscheidende Kriterium für die Preisvergabe dieses Jahr die Frage, wie aktiv sich Firmen für die Frauenförderung einsetzen. Gewonnen hat den Starnberger Wirtschaftspreis wegen seines breiten Diversity-Programms letztlich der international aufgestellte Zahnarzttechnikhersteller 3M aus Seefeld. Vielleicht noch bedeutender als die Ehrung dieses einen schillernden Sterns am Starnberger Equality-Firmament ist aber das Signal, das von dieser Veranstaltung ausgehen soll.

"Das ist erst der Anfang", sagte Lindo. Sie wolle die führenden Köpfe der Unternehmen aus der Region zu sich in ihr Tagungshotel "La Villa" in Niederpöcking einladen. Flexible Arbeitszeiten, das Durchbrechen hierarchischer Strukturen, gezielte Förderprogramme - es sollen konkrete Möglichkeiten ausgelotet werden, um Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt abzubauen. "Wir müssen jetzt die Geschichte weitererzählen", so Lindo.

Dass die Geschichte der Gleichberechtigung trotz vieler Fortschritte in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten tatsächlich noch lange nicht auserzählt ist, konnte man bei der illustren Preisverleihung vielen anderen Wortbeiträgen entnehmen. Da rechnete Lisa Bittighofer vom Naked-Minds-Club in Herrsching vor, dass es beim jetzigen Tempo weitere 136 Jahre dauern werde, bis Männer und Frauen tatsächlich gleichgestellt sind. Die Diversity-Expertin Sissi Banos sprach als Gastrednerin vom "unconscious bias", den unbewussten Vorurteilen darüber, was eine Frau kann oder eben nicht kann.

Und Cornelia Pierach, die Personalchefin des Inhalatorenherstellers Pari aus Starnberg, erinnerte sich an eine Studie, an der sie in jungen Jahren mitgewirkt hatte. In der kam raus, dass die eigentlich gleiche Qualifikation in der Außenwirkung sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Tritt ein Mann entschlossen auf, legt man ihm das als durchsetzungsstark und bosstauglich aus - eine Frau kommt beim gleichen Auftreten dagegen eher bärbeißig und unangenehm daher.

"Role-Model-Preis" für die Naked Minds: Gründerin Lisa Bittighofer. (Foto: Arlet Ulfers)

Selbst bei den neun wegen ihrer frauenfreundlichen Unternehmensphilosophie für den Preis nominierten Firmen gibt es bei den Gleichstellungsparametern noch enorme Steigerungsmöglichkeiten. Unter den Lasertechniktüftlern bei Raylase zum Beispiel sind nur 25 Prozent Frauen. "Da ist noch ganz viel Luft nach oben", gestand auch Miriam Leimpek, die Assistentin der Geschäftsführung. Und bei den Messtechnikern von Vectoflow, da arbeitet neben der Gründerin Katharina Kreitz fast gar keine Frau. Dass es auf dem Ingenieursmarkt aber fast nur männliche Kollegen gibt, das sei eben ein strukturelles Problem, so die Firmenchefin. Kreitz geht deshalb auch aktiv an die Schulen, um gegen das Vorurteil anzugehen, dass technische Berufe nichts für Mädchen sind.

Die Chefin des Vorjahressiegers warb als Unternehmensstruktur für ein hierarchieloses Ringmodell

Tatjana von Quadt vom erneut nominierten Vorjahressieger Fortschritt, der in der Region 38 Kitas betreibt, warb in einem emotionalen Beitrag für ein hierarchieloses Ringmodell als Unternehmensstruktur. Auch das sei eine gute Möglichkeit, das Stefan-Problem in den Entscheidungsgremien der Firmen zu durchbrechen. Und apropos Stefans - da hat von Quadt einen Gegenvorschlag als Ersatz: "Mehr Birgits!" Denn Kolleginnen mit diesem Namen hat sie bei Fortschritt momentan selbst drei in wichtigen Positionen.

Neben dem Preisträger 3M wurde dieses Jahr übrigens noch ein zweites Unternehmen ausgezeichnet. Zwar nicht mit dem für den Wirtschaftspreis üblichen Hirschgeweih aus Glas. Für ihren Ansatz, mit dem Naked-Minds-Club speziell Frauen auf dem Weg in die Selbständigkeit zu unterstützen, bekam Lisa Bittighofer aber zusätzlich einen Anerkennungspreis - ein T-Shirt mit der Aufschrift "Role Model". Denn danach wurde beim Wirtschaftspreis schließlich gesucht: nach einem echten Vorbild für die Frauenförderung.

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