Süddeutsche Zeitung

Wir öffnen Türen:Das Klavier-Spital

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In einer eher unscheinbaren Tutzinger Werkstatt widmet sich Alexander Becker Flügeln, Pianos und Cembalos. Der Instrumentenbauer muss sein Handwerk beherrschen und seine Kunden umsorgen - sogar im Konzert

Von Bettina Sturm, Tutzing

Die Tür zur kleinen Werkstatt liegt versteckt hinter Garagen in einer unscheinbaren Hofeinfahrt. Drinnen ein leichter Geruch von Lack, an einer Wand stehen hochkant zwei verpackte Flügel. Erst auf den zweiten Blick werden die Klangkörper erkennbar. Daneben ragen Metallsaiten aus Kisten. Unter der Werkbank spitzen weiße Tasten aus ihrer Verpackung hervor: eine Flügelklaviatur. Alexander Becker, einer von nur knapp 1000 Klavier- und Cembalobauern in Deutschland, ist der Inhaber der Werkstatt.

Seit knapp vier Jahren ist Becker selbstständig, nach Stationen bei Bechstein und Steinway wollte er dann aber auf eigenen Beinen stehen. Er wünscht, er hätte mehr Platz zum Expandieren, Ausstellungsfläche für Instrumente, irgendwann. Aber zunächst will er sich noch etablieren. Er ist viel unterwegs, an einem Tag stimmt er vier bis sechs Klaviere, Flügel und auch Cembali, die wieder im Kommen sind. Zudem bietet er Konzertbetreuung an: Er ist anwesend und stimmt das Instrument nach, wenn etwas nicht passt.

Becker ist wichtig, dass er sorgfältig arbeitet - gerade in einer Zeit, in der alles immer schnell gehen soll. Es gibt Flügel, die bis zu 160 000 Euro kosten, da wäre Pfusch fatal. Auch sind die Instrumente oft sehr alt, oft hängen Erinnerungen daran. So wie an jenem Klavier, das in der Werkstatt steht: Der Klangkörper mit der frisch renovierten Resonanzplatte: 28 Risse hatte die Platte. Becker musste alle vorsichtig ausfräsen und mit passgenau zugeschnittenen Holzstücken neu verleimen. Das Holz ist abgegriffen, der Lack an den Kanten abgerieben. Das wird er auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden nicht ausbessern: das Klavier soll sein Alter verraten. Daneben liegt frisch lackiert der Rahmen, auf den die Saiten gezogen werden. Innen jedoch, sagt der Handwerker, soll das Instrument vollständig funktionstüchtig werden.

Dass so etwas Arbeit ist, wird deutlich, als er auf die Löcher oberhalb der Resonanzplatte zeigt und dann auf die Stifte, die am Rahmen herausstehen: 300 sind es, auf die Saiten von Hand aufgezogen werden. Bei dem Musikinstrument musste er auch noch den Steg reparieren, über den die Saiten umgelenkt werden. Das Holz war an den Nägeln gesprungen, die Saiten stehen unter Zug. Reparieren kann man das aber nur, wenn man das Klavier auseinanderbaut. Zwei Monate dauert die Reparatur bei diesem Instrument, weil so viel zu tun ist. Aber das ist es auch, was Becker so an seinem Beruf reizt: dass er sich ganz auf ein Instrument konzentrieren muss. Dazu der Umgang mit Menschen, wenn er jährlich zum Stimmen vorbeischaut, den Konzerten und Aufnahmen, die er betreut. Auch der Umgang mit Holz war ein Grund, der ihn bewogen hat, diesen ungewöhnlichen Beruf zu ergreifen. Das ist meistens grobe Arbeit, wenn er die möbelstückgroßen Instrumente herumschieben und auseinanderbauen muss.

Aber dann ist da auch noch die Feinarbeit, wenn er die Befestigungen der Saiten selbst herstellt, die Einzelteile zusammenbaut, bis schließlich die Mechanik von den Tasten bis zu den Hämmerchen, die auf die Saiten schlagen, ganz zusammengesetzt ist. Es ist ein umfassendes Handwerk, und sicherlich keines, das häufig ausgeübt wird. Aber er könnte sich keinen schöneren Beruf vorstellen.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2017
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