Klar halten die meisten sie für verrückt. Weil sie morgens um sechs, noch vor dem Frühstück, zum Inlineskaten oder Schwimmen geht. Oder nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause "eine kleine Runde um den Stausee" in Kaufering läuft und danach noch zwei Kilometer im Lechtalbad Bahnen zieht. Claudia Bregulla-Linke ist Extremsportlerin, 16 bis 18 Stunden Training packt die 56-Jährige jede Woche in ihren Alltag, im Sommer ein paar Stunden mehr. Neben Beruf und Familie, Freunden, Haus und Garten. Und natürlich hat sie sich selbst schon gefragt: Warum mache ich das eigentlich? Nun, es macht ihr eben Spaß. Und den Sport empfindet sie zudem als Hilfe im alltäglichen Leben.
Sie spüre sich gerne, erklärt sie. "Wenn der Körper sich bewegt, bewegt sich auch der Geist." Im Training könne sie gut nachdenken und Lösungen finden. Doch viel mehr noch liebt sie es, sich Ziele zu stecken und diese konsequent zu verfolgen. Claudia Bregulla-Linke ist wahnsinnig ehrgeizig. Egal, ob im Job oder im Sport: Wenn sie sich etwas vornimmt, zieht sie es durch. "Den Fokus nicht verlieren", nennt sie das. Dranbleiben und Durchkämpfen ist für die Uttingerin ein elementarer Bestandteil des Erfolgs. Sie hat das so verinnerlicht, dass sie niemals auf die Idee käme, einen Wettkampf abzubrechen. Auch, wenn es nicht nach Plan läuft. "Egal, dann ist halt das Ergebnis nichts. Aber ich hab's durchgezogen."
Claudia Bregulla-Linke hat erfahren, dass sich ihr Einsatz lohnt: Sie ist siebenfache Weltmeisterin in ihrer Altersklasse im Wintertriathlon, zweifache Weltmeisterin im Winterduathlon (den es erst seit zwei Jahren gibt), fünffache Europameisterin im Wintertriathlon, achtfache Deutsche Meisterin im Speedskating auf der Marathondistanz und zehnfache bayerische und oberbayerische Meisterin im Duathlon und Crosstriathlon.
Der Wintertriathlon setzt sich aus den Disziplinen Laufen (sieben bis neun Kilometer), Radfahren (zwölf bis 14 Kilometer) und Skilanglauf (zehn bis zwölf Kilometer) zusammen. Beim Duathlon entfällt das Radfahren. Das Winterformat des Ausdauerwettkampfes gibt es seit 1995 organisiert im Wettkampfformat, in der Altersklasse von Claudia Bregulla-Linke kämpfen international zwischen fünf und zehn Sportlerinnen um die Titel.
Wie die Uttingerin in dieser Randsportart landete? "Mich hat die Vielseitigkeit gereizt." Sie habe schon immer die Abwechslung beim Sport geschätzt: Surfen und Skifahren, Laufen und Skaten. Alban Vetterl vom SC Riederau war es, der die Hobby-Sportlerin eines Tages für seine Triathlon-Abteilung gewann. Sie ging eben gerne laufen und schwimmen und hatte von ihrer Mutter ein Rennrad geschenkt bekommen. Gleich ihr zweiter Triathlon war ein Bundesliga-Wettkampf. Sie landete auf den hinteren Plätzen. "Ich war das Obst der Woche", erinnert sie sich an ihr Debüt. Jedenfalls erwachte damals ihr Ehrgeiz, und sie beschloss, so gut zu werden wie die anderen. "Ich habe richtig viel trainiert." So kämpfte sich die dreifache Mutter an die Spitzenathletinnen heran. Bald konnte sie mithalten. "Meine Schwäche ist die Ungeduld", sagt sie.
Sie habe sich schon immer gerne bewegt, erzählt die 56-Jährige daheim in Utting am großen hölzernen Esstisch in der Wohnküche. Keine Lust auf Sport, das kennt sie nicht. "Ich will eigentlich immer, das ist ja das Problem." Die Kindheit in Bonn war geprägt von Nachmittagen auf den Rollschuhen im überdachten Freibereich gegenüber ihres Elternhauses. "Ich war stundenlang draußen", erinnert sie sich. Ein Rollschuh-Anhänger an ihrer Halskette erinnert an den Start ihrer Sportkarriere. Mit zwölf Jahren lernte sie Windsurfen, später turnte sie im Verein und spielte in der Regionalliga Volleyball. Auch Rolltanz und Eistanz gehörten zu ihrem sportlichen Repertoire. Im Winter ging es außerdem zum Skifahren und Snowboarden in die Berge. "Logisch, dass ich zum Studium nach München musste", sagt sie. Logisch auch, dass sie Lehramt studiert mit den Fächern Sport, Deutsch und Geografie. Und dass sie schließlich an der Mittelschule in Utting vorrangig für den Sportunterricht eingeteilt wurde.
Sich nur für eine Disziplin zu entscheiden, kam für Claudia Bregulla-Linke nie in Frage. Viel zu langweilig und zudem einseitig in der körperlichen Belastung. Außerdem merkte die Hobby-Sportlerin schnell: "Ich war überall gut, aber in keiner Disziplin herausragend." Da boten sich kombinierte Wettkämpfe an. Schnell tauchte sie in die Triathlon- und Duathlon-Szene ein, Wettkämpfe waren für sie immer mehr, als nur ein Kräftemessen. "Es war wie bei Familientreffen." Weil sie gut im Ski-Langlauf war, landete sie beim Wintertriathlon und -duathlon. Doch auch bei Crosstriathlon, Speedskating und Aquabike-Wettkämpfen war sie dabei.
In ihrem Keller liegen mehrere Paar Langlauf- und Alpinski im Regal, am Boden Taschen mit Rollschuhen und Inlineskates, daneben Kartons mit Energie-Gels. "Darauf schwöre ich", sagt sie. Ihre drei Fahrräder hängen an der Wand. Das erste, das Geschenk ihrer Mutter, fährt sie nur noch im Winter. Für das Training und die Wettkämpfe hat Bregulla-Linke moderne, ultraleichte Rennräder, die zwischen 12 000 und 17 000 Euro kosten und an ihren Körper angepasst sind. Auf Top-Niveau sind Wettkämpfe eben immer auch Materialschlachten.
Morgens um neun öffnet die 56-Jährige barfuß und in Sportleggings und Trägertop die Tür, die blonden, schulterlangen Haare zum Zopf gebunden. Homeoffice. Bregulla-Linke arbeitet am Staatsinstitut für die Ausbildung von Fachlehrern in Augsburg. Ihr erster Sohn war gerade einmal ein Jahr alt, da promovierte die engagierte Lehrerin in Schulpädagogik. Inzwischen ist sie für die bayerischen Sport-Fachlehrer zuständig; das sind die nicht-akademischen Lehrer, die diesen Beruf auch mit Mittlerer Reife ergreifen können. Bregulla-Linkes Ziel ist es, alle Anwärter gut auszubilden und zu motivieren. "Für mich ist der Sportunterricht das wichtigste Fach", sagt sie. Hier gehe es um Kopf, Herz und Hand.
Für die sichtlich durchtrainierte Frau ist Sport ist kein Ausgleich, es ist ihr Leben. Natürlich steht sie auch beruflich immer wieder in Sport- und Schwimmhallen und absolviert gleich am Institut nach Feierabend noch eine Trainingseinheit, auf dem Weg nach Hause oder daheim am Ammersee. Im Sommer fährt sie regelmäßig mit dem Rad nach Augsburg. Im Homeoffice ist sie flexibel; heute hat sie bereits eine halbe Stunde Stabilitätstraining auf der Matte mit Gewichten, Medizinball und ihrem Hula-Hoop-Reifen hinter sich. "Das ist das beste Bauchtraining", sagt sie.
Beim Training folgt sie keinem strengen Plan. "Ich höre auf meinen Körper", sagt die Sportlerin. Wie das geht? Eine Garmin-Uhr überwacht permanent ihre Vital-Werte, wertet die Schlafzeit und -qualität aus und ermittelt die Trainingsbereitschaft. Für sie ein wichtiger Hinweis, aber keine Religion. "Wenn ich mich nicht nach einer langen Distanz in Wettkampfzeit fühle, dann laufe ich die Strecke eben langsamer." Sie macht den achtsamen Umgang mit ihrem Körper dafür verantwortlich, dass sie sich noch nie ernsthaft verletzt hat. Klar gehöre auch das Schinden mit zum Leistungssport. "Manchmal muss es weh tun, sonst erreicht man nicht das nächste Level."
Doch die Signale des Körpers müsse man immer berücksichtigen. Nach dem gleichen Prinzip ernährt sie sich. Wenig Fleisch, viel Fisch und Gemüse. Und Nudeln. "Kohlenhydrate sind wichtig". Milchprodukte schmecken ihr nicht. Deshalb trinkt sie Protein-Shakes. Und jeden Tag gibt es Ingwer pur oder als Tee aufgebrüht. Süßigkeiten isst sie auch, "ich mag gerne Kuchen". Und auch mal ein Bier oder ein, zwei Gläser Wein am Abend. Allerdings nicht allzu spät, denn gegen 21 Uhr geht Claudia Bregulla-Linke ins Bett. "Ich schlafe eigentlich immer sofort ein." Zeit für Familie und Freunde ist am Wochenende. Die drei Söhne sind längst ausgezogen, das erste Enkelkind ist eineinhalb Jahre alt.
Auf Mallorca hat sie sich über Ostern auf die neue Saison vorbereitet, ist 1300 Kilometer Rad gefahren, knapp 80 Kilometer gelaufen und 30 Kilometer geschwommen. Dabei ist die vorherige Saison gerade erst vorbei: Im März holte sie sich im norwegischen Skeikampen die jüngsten Weltmeistertitel; die Medaillen hat sie noch gar nicht in die Glasvitrinen mit den Pokalen und Auszeichnungen legen können. "Durch den Sport komme ich ganz schön rum", sagt sie. In den vergangenen Jahren fanden die Europa- und Weltmeisterschaften zum Beispiel in Andorra oder auf dem Ätna statt. Nicht nur sportlich sind das besondere Erlebnisse.
Anfang Mai startet schon die neue Saison mit der der bayerischen Duathlon-Meisterschaft in Krailling. Dann geht es weiter, mal national, mal international. Ihre Höhepunkte werden in diesem Jahr das "Stoneman"-Radrennen durchs Erzgebirge zusammen mit einem ihrer Söhne sein und der "Ironman" im schwedischen Kalmar im August. Nach vielen Jahren mal wieder eine Langdistanz. Vier Mal hat sie die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen schon geschafft, das letzte Mal 2007. "Ich mach' das für den Kopf", sagt sie. Klar, körperlich sei das eine enorme Belastung, doch letztlich entscheide die mentale Fitness, ob sie es schaffe. Der Plan jedenfalls steht: Ihr Sohn wird sie coachen, und im Zieleinlauf wird sie der eineinhalb Jahre alte Enkelsohn Leander erwarten.